liebe ewa,
vielleicht was für den blog?
in einer rezension im tagesspiegel, samstag vielleicht, fand ich was von einem amerikanischen autoren den namen hatte ich mir nicht notiert. das war sicher noch vor trumps erfolg geschrieben. die systematisierung könnte auch was für eine persönliche strategie des umgangs mit diesem grausamen wahlergebnis bieten. es ging um die diskussion des machtbegriffs und er fand, mensch müsse die verengung auflösen, die seit machiavelli besteht: da geht es um zwang und gewalt und gerne auch um lug und betrug, wenn es dem machterhalt dient.
er will die definition erweitern auf: fähigkeit etwas zu bewirken, das ist natürlich sympatisch.
dafür sind individuelle fähigkeiten, sowie interpersonelle und systemische einflussmöglichkeiten zu bedenken.
- selbstvertrauen, ich kann etwas ausrichten
- auf dem teppich bleiben, wahrnehmen, dass die fähigkeiten bzw. die möglichkeit haben, sie auszuleben auch ein geschenk sind
- teilen und sich gegenseitig stärken
- respektvoll bleiben, lob, komplimente, höfliche worte, auch nonverbal respektvoll bleiben: fragen, zuhören, neugierig sein, anerkennen
- machtlosigkeit verhindern! also gegen ungleichheit vorgehen, armut nicht dulden, gegen bedrohung und einengung anderen menschen wert verleihen, gegen diskriminierung und rassismus auftreten. also die strukturellen settings sichtbar machen und bearbeiten.
ja, das stimmt alles, wir dürfen uns nicht erlauben, uns als machtlos zu sehen. wir bewirken was. und wir glauben ja auch zurecht, dass alles patriarchalische nicht nur frauen sondern auch männern schadet. und krieg sowieso keine lösung ist. und doch ist all dieses unter punkt 1-4 nur stückwerk, wenn wir gesellschaft nicht dazu bekommen, die weniger mächtigen zu stärken, immer wieder. bildung natürlich zuallererst, aber auch gesunderhaltung, gleichwertigkeit immer wieder einüben. wir können im eigenen leben wirksam werden, wir dürfen aber die strukturellen bedingungen nicht vergessen.
in diesem sinne ist sicher auch der angehängte artikel zu lesen.
liebe grüße
christine (Christine Ziegler)
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Artikel auf Seite 37 der Zeitung Tagesspiegel vom So, 13.11.2016
Barbara Nolte
Festung der Ehefrauen
Manch einer verfolgte seine Partnerin mit der Axt bis vor die Tore dieser
Berliner Villa – 1976 wurde das erste Frauenhaus gegründet. Ein Modell für viele deutsche Städte.
Nachdem das mit den Zähnen passiert ist, das war das Schlimmste. Dass er mir im Hausflur wirklich die Faust ins Gesicht gehauen hat, und ich habe gemerkt: Meine Zähne vorne sind nicht mehr da, beziehungsweise einer war – wie hat die Ärztin geschrieben? – in den Oberkiefer gestaucht.
Bis zur Schließung 1999 war die Adresse geheim. Ein Eisenzaun sollte Eindringlinge abwehren.
Danach habe ich nur noch lautlos geweint. Er hat mich dann am Kragen genommen, die Treppen hochgeschleppt. Die Kinder haben oben so geschrien, die waren ja vollkommen außer sich. Er hat dann immer wieder gerufen: „Ich bin
mit eurer Mutter noch nicht fertig, die bringe ich heute noch um.“ Der Kleene hat auf der Couch gesessen und gesagt: „Papa, du bringst Mama nicht wirklich um, nein?“ Und dann hat er zu dem kleinen Kind, der war drei Jahre, hat er gesagt: „Doch. Heute noch.“ Angelika, 44.
In einem ehemaligen Kartoffelladen in der Yorckstraße standen sie manchmal in der Tür: Frauen, die Schutz vor ihren prügelnden Ehemännern suchten. „Damals wussten die nicht, wohin“, sagt Roswitha Burgard, die dort Anfang der 70er Berlins erstes Frauenzentrum mitbegründet hat. Aktivistinnen aus der Yorckstraße verbrachten deshalb einmal 14 Tage reihum bei einer Frau zuhause, die um Hilfe gebeten hatte, weil sie regelmäßig von ihrem Mann und ihrem erwachsenen Sohn misshandelt worden war. Roswitha Burgard selbst hatte weder in der Familie noch im Freundeskreis gewalttätige Männer erlebt.
Jedenfalls nicht, dass sie davon gewusst hätte. „Häusliche Gewalt wurde Anfang der 70er totgeschwiegen“, sagt sie, „als Ehekrach verharmlost, als Umgang von Asozialen weggeschoben.“
Davon erzählt Burgard heute in ihrem Behandlungszimmer einer Gemeinschaftspraxis. Um den Hals trägt sie ein elegantes Seidentuch, an den Füßen Pantoffeln, Straßenschuhe müssen an der Tür ausgezogen werden.
Anfang der 70er hatte sie gerade mit dem Psychologiestudium begonnen und war in Berlins feministischer Szene engagiert. „Als damals in London das weltweit erste Frauenhaus eröffnete, dachten wir uns: So was brauchen wir auch.“ Ein solches Haus würde die Fraueninfrastruktur, die sie in diesen Jahren begründet hatten, Frauencafés, Frauenbuchverlage, Frauenseminare an Unis, auf eine fast romantische Weise
ergänzen: Frauen helfen Frauen, die unter dem Machtgefälle zwischen den Geschlechtern am meisten leiden. Doch der Senat blockte ab. Erst müsse ermittelt werden, ob in Berlin Bedarf für eine solche Einrichtung bestünde. Für die Verwaltung schien es ein Problem, dass der Gruppe der Gründerinnen kein Mann angehörte. „Die trauten uns nicht zu, mit ihren Fördergeldern richtig zu wirtschaften.“, sagt Burgard.
SCHUTZENGEL. Ilona Böttcher (links) und Roswitha Burgard nahmen im ersten Jahr 615 Frauen auf.
Erst als sechs arrivierte Frauen dem Trägererein beitraten, darunter die damalige Vizepräsidentin des Roten Kreuzes, stellte das Land Berlin eine Villa für das Projekt zur Verfügung. Ein Gründerzeitbau in der Richard-Strauss-Straße 22 Grunewald, mit riesigen Aufenthaltsräumen in Erdgeschoss und Souterrain, aber nur 13 Zimmern im ersten Stock und der Mansarde. „Nicht perfekt geschnitten für unsere Zwecke“, sagt Burgard.
Die Adresse wurde unter Taxifahrern gestreut und vor Außenstehenden geheim gehalten. Um den Garten wurde ein Eisenzaun errichtet. Dahinter durfte kein Mann.
Im November 1976 war Eröffnung. Die erste Bewohnerin klingelte bereits am Abend zuvor. Es war die Ehefrau eines hohen Richters, sagt Burgard. Das Asozialen-Klischee war damit widerlegt.
Auch Ilona Böttcher erinnert sich an diese erste Bewohnerin: eine schmale Frau um die 40. Ihr Ehemann hatte ihr Geld, Schlüssel und Ausweis weggenommen. Ilona Böttcher und Roswitha Burgard übernachteten mit ihr im Frauenhaus. Sie wollten sie in der riesigen, leeren Villa nicht allein lassen.
Ilona Böttcher war als Verwaltungsfrau eingestellt worden. Sie habe sich ganz profan auf eine Jobanzeige beworben, erzählt sie beim Treffen in ihrer Tempelhofer Wohnung. Doch im Frauenhaus packte sie – wie alle anderen – überall mit an: Zu jeder Tages- und Nachtzeit klingelten Frauen. Polizisten und Taxifahrer brachten sie. Jede wurde aufgenommen, selbst wenn sie betrunken war. „Wer sind wir denn, dass wir entscheiden,
wer über Nacht bleiben darf!“, sagt Böttcher. Ansonsten war Alkohol verboten. Bereits einen Monat nach Eröffnung waren alle regulären Plätze belegt. Immer neue Stockbetten wurden in die Zimmer, Gänge, Aufenthaltsräume gestellt. Im Haus, das für 70 Frauen und Kinder ausgelegt war, lebten bald bis zu 150. „Es gab Bedarf, und wie!“, sagt Böttcher.
Sie zieht ein lilafarbenes Buch aus ihrem Regal: die erste Jahresbilanz, herausgegeben im
Frauenselbstverlag. Die Gründung des Berliner Hauses war eine Initialzündung, in den meisten größeren Städten wurden fortan ähnliche Projekte geplant, die Berliner lieferten das statistische Material. Von den 615 Frauen, die im ersten Jahr in der Richard-Strauss-Straße betreut wurden, waren drei Viertel von ihren Ehemännern misshandelt worden, ein Fünftel von ihren Freunden, der Rest von Ex-Männern und Verwandten. Jede zehnte Frau hatte die Gewalt zehn Jahre und länger erduldet. 118 waren von ihren Partnern sogar in Lebensgefahr gebracht worden. „Mich hat der Zustand von Beziehungen erschüttert, am
Anfang stand ja mal Liebe“, sagt Ilona Böttcher. Eine Frau habe zu ihr gesagt: „Und dann hat er mich nicht mal mehr geschlagen.“ Schlagen sei für sie Zuwendung gewesen.
Böttcher erinnert sich, dass viele Frauen sich schämten. Sie hatten sich diesen gewalttätigen Partner ja ausgesucht. Verbreitet waren auch Schuldgefühle. Einige glaubten, dass ihr Mann nicht ausgerastet wäre, wenn sie selbst anders reagiert hätten. Im Frauenhaus hörten sie die Geschichten anderer Frauen und erkannten dabei mitunter Verhaltensmuster ihres eigenen Mannes wieder und die Unvermeidbarkeit seines
Zorns. Eine Frau habe es mal so ausdrückt: „Habe ich Salz rangemacht, habe ich eine gewischt gekriegt, habe ich kein Salz rangemacht, habe ich auch eine gewischt gekriegt.“ Oft steigerte sich der Jähzorn der Männer noch, wenn die Frauen ins Frauenhaus zogen.
12.3.77, 20.30 Uhr: Ein Herr läutet an. Er will das Haus in die Luft sprengen, sich aber zeitlich nicht festlegen. Gabi informiert die Polizei. 21.45 Uhr: Ein Herr ruft an. Er steht mit einer Pistole in der Telefonzelle gegenüber und will sich das Leben nehmen, wenn er nicht mit seiner Frau sprechen kann. Die Frau ist nicht bei uns. Da er unter Strom steht, hat Gabi Mühe, ihm das klarzumachen. Vorsichtshalber benachrichtigen wir
die Polizei. 23.15 Uhr: Ein Mann fährt mit einem Fahrrad in unserem Garten. Gabi ruft 110. Auszüge aus dem Protokoll einer Bewohnerin mit Telefondienst.
Häufig lungerten Männer vor der Tür herum, die die Adresse herausbekommen hatten. Mehrfach ist es ihnen tatsächlich gelungen einzudringen. Ilona Böttcher erinnert sich an einen Vorfall, als ein Mann eine Füllung aus der Haustür herausgebrochen hat, durchs Loch geklettert und mit der Axt ins Haus gestürmt ist. Eine Kollegin stellte sich ihm in den Weg, die Hausbewohnerinnen versteckten seine Frau. Für Mitarbeiterinnen und Bewohnerinnen des Frauenhauses war die Umgebung hinter dem Zaun feindlich: Während die Männer
mit roher Gewalt drohten, drohten die Grunewalder Nachbarn mit ihren Anwälten. Sie gründeten sogar eine Bürgerinitiative gegen das Projekt.
Erforderlich ist, dass das Lärmen der Kinder ab Freitag bis Sonntagabend unterbleibt. An diesen Tagen suchen die Anwohner nämlich absolute Ruhe in ihrem Garten. Die Wohngegend haben sich Anwohner ausgesucht, die in der Woche ganz besonders hart arbeiten. (…) Mehrmals habe ich die Feststellung treffen müssen, dass Kinder, soweit sie zu einem Spaziergang ausgeführt werden, auf meinen niedrigen Zaun balancieren. Mein Zaun stellt persönliches Eigentum dar, und das sollte eigentlich schon Kindern deutlich
gemacht werden, dass das Eigentum anderer zu schätzen ist. Aus einem Brief von Horst Sandner, Königlich Norwegischer Konsul (31.10.77), an Roswitha Burgard.
Der Tagesspiegel berichtete damals von einer Aussprache beider Seiten. „Wir sind gar nicht so verrückt, wir sind bloß nervlich am Ende“, habe dabei eine Bewohnerin an das Mitgefühl der Nachbarn appelliert, das aber ausblieb. Häufig, sagt Böttcher, seien sie damals zusammen mit Bewohnerinnen in der Öffentlichkeit aufgetreten. „Die wollten sich nicht verstecken.“ Die Heimlichkeit von häuslicher Gewalt, die den Tätern in die
Hände spielt, sollte durchbrochen werden. Deshalb fanden im ersten Frauenhaus die Beratungsgespräche im Aufenthaltsraum statt. Andere Frauen sollten daran anknüpfen können. „Die Betroffenen sollten sich gegenseitig unterstützen“, sagt Böttcher. In
Zweierteams wurden sie außerdem zu nächtlichen Telefondiensten eingeteilt, das sollte ihr
Selbstbewusstsein stärken. Viele, in der ersten Statistik waren es 30 Prozent, kehrten trotzdem zum Ehemann zurück. „Da konnten wir nur Wege aufzeigen, wie sie beim nächsten Mal die Situation schneller verlassen können“, sagt Böttcher. „Eine Frau war 13 Mal da, ist immer wieder zurückgegangen, bis wir in der Zeitung lasen, dass man sie tot aufgefunden hat.“
Ilona Böttcher arbeitete bis 1998 im Frauenhaus. Dann ging sie in Rente, im Jahr drauf schloss das erste Frauenhaus. Damals gab es bereits fünf weitere, rund 350 sind es mittlerweile in Deutschland. Obwohl sich das Gleichberechtigungsideal innerhalb ihres Arbeitslebens weit verbreitet hatte, habe sich dies auf die Gewalt gegen Frauen wenig ausgewirkt, sagt Böttcher. Nur der Anteil der Migrantinnen habe zugenommen.
Insgesamt registrierte die Berliner Polizei im vergangenen Jahr 15 000 Fälle von häuslicher Gewalt. Die größte Veränderung, sagt Böttcher, habe im Arbeitsverständnis der Betreuerinnen gelegen. Zum Beispiel sei eine neue Kollegin „entsetzt“ gewesen, dass es keinen Raum für Einzelberatungen gab. Den nächtlichen Telefondienst sahen manche der Jüngeren wegen einer möglichen Retraumatisierung kritisch. Am Ende, glaubt Böttcher, sei das erste Frauenhaus an einem unterschiedlichen Verständnis von Feminismus
gescheitert, denn als Feministinnen begriffen sich die Jüngeren auch. Einmal habe eine Mitarbeiterin vorgeschlagen, dass ihr Freund doch den Bus des Frauenhauses fahren könne: „Für uns völlig undenkbar: ein Mann am Steuer eines Frauenhausbusses!“
Nadja Lehmann eröffnete das Frauenhaus sozusagen neu. Lehmann war eine der jungen Kolleginnen. Zusammen mit zwei weiteren ehemaligen Mitarbeiterinnen aus dem Frauenhaus hatte sie das Konzept für das Projekt mit dem Namen „Interkulturelle Initiative“ verfasst, zu dem ein Teil der Gelder des geschlossenen Frauenhauses umgeleitet wurde. Im ersten Frauenhaus habe sie Rassismus zwischen deutschen und
migrantischen Frauen erlebt, sagt Lehmann. Deshalb schnitt sie ihr Projekt auf Migrantinnen und deren spezifische Probleme zu.
Er hat gesagt: „Du fühlst dich einfach nicht wohl in Deutschland.“ Ich habe gesagt: „Ich bin nicht in Deutschland. Ich bin in deiner Wohnung.“ Ich war eingesperrt. Ich durfte nicht raus, ich hatte keinen Schlüssel. Ich habe nur vom Fenster geguckt, wir hatten in Neukölln gewohnt, und ich hatte vor meiner Tür einen Spielplatz. () Bis mein Sohn angefangen hat, genauso zu handeln wie sein Vater. Er hat einen Gegenstand genommen und gesagt: „Hier, Papa, du kannst nehmen, und du kannst Mama wehtun, ich möchte, dass sie weint.“ Da habe ich gesagt: „Ich möchte nicht, dass mein Sohn so wird zu seiner Frau oder
seiner Lebensgefährtin. Ich habe zwei Söhne. Ich möchte nicht, dass drei Männer mich terrorisieren.“ Narin, 38, ehemalige Bewohnerin der Interkulturellen Initiative.
Die „Interkulturelle Initiative“ ist ebenfalls in einer Villa im Berliner Süden untergebracht. Da das Leben im Frauenhaus auf die Dauer belastend sei, wie Lehmann findet, bietet ihr Verein zusätzlich ein Wohnprojekt mit abgeschlossenen Apartments an sowie neuerdings Wohnungen speziell für geflüchtete Frauen, die unter häuslicher Gewalt leiden. Viele Migrantinnen bräuchten aufgrund schlechterer Sprachkenntnisse und ausländerrechtlicher Widrigkeiten länger, um eine Perspektive für sich und ihre Kinder zu entwickeln. Nach
einer Weile könnten sie in eigene Wohnungen umziehen. Das unumstößliche Gesetz autonomer Frauenhäuser, dass nämlich Männer draußen bleiben müssen, ist inzwischen nach Gender-Maßgaben umgeformt. Letztens wurde eine Bewohnerin aufgenommen, die zwar biologisch ein Mann ist, sich aber als Frau fühlt.
PS (Mail Nr 2):
liebe ewa,
das buch, von dem ich in der anderen mail schrieb ist von Dacher Keltner „Das Macht-Paradox. Wie wir Einfluss gewinnen – oder verlieren“
ist erschienen im campus verlag und es war tatsächlich am samstag im tagesspiegel vorgestellt, ganz hinten.
liebe grüße
christine