Chris Niedenthal

Urszula Usakowska-Wolff


Reblog: Der Beruf des Fotografen ist gewissermaßen meine Mission

Die Personale „Chris Niedenthal“ im Warschauer Haus der Begegnungen mit der Geschichte zeigt 200 seiner Fotografien aus fünf Jahrzehnten.

Chris Niedenthal hat mehrere hunderttausend Fotos gemacht, doch eine seiner berühmtesten Aufnahmen „verdankt“ er dem Kriegsrecht, das am 13. Dezember 1981 in Polen verhängt wurde. Am Tag darauf fuhr der Fotoreporter mit einem Bekannten durch die fast menschenleeren und vom Militär patrouillierten Straßen Warschaus. Neben dem Kino Moskwa, auf dessen Fassade ein Banner mit der Reklame des Antikriegsfilms Apocalypse Now in der Regie von Francis Ford Coppola hing, stand ein Scott Panzer, aus dem Soldaten ausstiegen. Diese Fotografie von Niedenthal ist das wohl am meisten zitierte Bilddokument der damaligen Zeit, ihre düstere und zugleich tragikomische Metapher, über die der Autor schrieb:

„Für mich symbolisiert dieses eine Bild das ganze Kriegsrecht. Aber damals hatte ich keine Ahnung, dass ich etwas so Wichtiges mache: Eine Ikone für die Polen.“

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Bravo fürs Qui pro quo!

Urszula Usakowska-Wolff

Die Rache der Fledermaus an der Komischen Oper Berlin (Reblog)

Das Taschenformat der Operette von Johann Strauss (Sohn) in der Inszenierung von Stefan Hubert an der Komischen Oper ist ein wahrer Genuss.

Die am 5. April 1874 im Theater an der Wien uraufgeführte «Fledermaus» von Johann Strauss (Sohn), ist die wohl bekannteste, meist gespielte und geistreichste Operette der Welt, ein musikalisches und sprachliches Meisterwerk der goldenen Operetten-Ära, das immer noch Millionen begeistert, Champagnerlaune versprüht und deshalb zu Silvester und Karneval gern gespielt wird. Obwohl dem Libretto ein französisches Lustspiel zugrunde liegt, gilt diese Operette als Inbegriff des Wiener Schmäh. Das kommt vor allem in der Sprechrolle des Gefängniswächters Frosch zum Ausdruck, weil sie viel Platz für Improvisation und Anspielungen auf aktuelle Ereignisse bietet. Da die «Fledermaus» eine Satire ist, sind die Figuren überspitzt; sie bedienen brillant und amüsant Klischees über die feine und weniger feine Gesellschaft, die bürgerliche Ehe, die Doppelmoral und andere Probleme, die Weib, Wein und Gesang anrichten. Die Handlung der Operette dreht sich um ein Qui pro quo, das seinen Höhepunkt auf dem Kostümball erreicht. Am Ende fliegt die Maskerade auf, doch alles geht gut aus, denn «Champagner hat’s verschuldet, tralalalala».

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Lallende Laute à la Lunologie

Urszula Usakowska-Wolff

Zusammenstellung und Foto Urszula Usakowska-Wolff, Berlin-Wedding, 20.04.2019

…in des Lichtes und des Dunkels Flaute

Für einen uneinschätzbaren unnachtdichtbaren Poeten

I. Des Dichters seine Welt

alles quält ihn den fremden im eigenen land
und darüber hinaus
auch wenn er schläft macht er kein auge zu
wacht auf wie ich und du huhu
eine fratze
lacht haha vor dem besten hause am platze
victoria leider ohne gloria lala mehr meer mehr sand
sonne kratzer der schreibenden hand
am strand ist er der nachbarbar mal mit rosshaar mal mit glatze
glotzt verdutzt miaut haut auf die katze duzt die maus
husch husch hinterm busch
liegt unter spaniens schnee o weh beißt ins gras
kein ade schade reißt die wade
die ihn nährt
reich hihi macht ihn lunas himmelreich nicht
von dieser welt gell
so dunkel wie hell er gern chichi schi bergauf fährt
und sich quält und sich in dieser rolle soso gefällt
dass er unaufgefordert staccato lallt & bellt
au au… wau wau … ciao ciao … mau

II. Poète maudit sans esprit

mondäner mond mit mohn im mund
firmiert am firmament malmt
manchen mumpitz minuziös
comme un vin de vigueur
noch so ein vager
ein versager assis au bord des routes
träumt dass er
(die
linke himmelsklinke?)
putzt
so blass & händenass und sans couleur
wie die bösen blumen mösen damen buben im öden land
sich nach altem brauch ohne schminke schmiegen
an lunas feurigen schoss an des mondes vollmohnbauch
und fliegen un doux frou-frou verweht vom eisigen windes stoß
er / der / die / das / greift zu kurz ach so fern
nach dem pulverstern und schnee und einer nachtschippe ohne beule
ER WER ICH WILL MEHR – MALHEUR – HEULE LOS?!
jetzt aber STOP
stutzt eine ameise Muse! le plus horrible denn ein wal
beißt sich durch wie diese miese vom mumpitz maliziöse
und kranke (voll?)schlanke schranke wird sie schlucken allemal
befleißt und (mit paradontose?) ohne pardon bis zum fanal
wie ich wie du wie er wie sie auf der kippe
in einem flip-flop und dreiviertelknall im al

III. Irr im Wirrwarr

er steht da
harrt wie ein held aus zweiter hand
weißer mann mit weißem haar
bart schulterlang gewellt brust und bauch geschwellt
er steht da
und ist sich selbst schirm herr
über die ahnen tyrannen
malt satanas und thanatos an die wand
glotzt in den spiegel putzt die zähne
der frühe hat die meiste zeit migräne
denkt nachher an vorher
an das nacheinander übereinander
an die behüteten heldentaten
als die andren nachsicht in der nachtschicht hatten
er harrt da
narrt irrt im wirrwarr der stilblüten
schreibt ungeschriebene drehbücher
über namenlose ähren und tempotaschentücher
schreibt sich in rage
missglückt ohne punkt semikolon komma
pflegt seine marotten in obsttüten
ein drama samt uniform ohne sinn und norm
das sogar die sprotten nebeneinander verspotten
er steht da
ein poet umkränzt von motten glänzt
in der garage und tritt nicht aus
was komplett geboten

IV. Didaskalia aus der damaligen Damaligkeit

Vor pi mal Auge XXXL Jahren

man nähme ein rosa ross samt rüstung und reiter
stelle sie in die manege tombe la neige
schicke sie in den kampf
kohl dampf zieht durch die gassen
ameisen frösche bestien grimassen u.s.w.
bilder erblassen und bleichen zu beige
chimären kuscheln sich unter die massen
zerschmettern zitate mit zweischneidigen tassen
in einer spelunke haust ein halunke
er trinkt er sinkt er träumt
dass er das nichts nicht versäumt
er purzelt er runzelt die stirn
gedanken an gerüche geistern durch sein gehirn
hin und her an die haare der gräser
volle champagner gläser
an das kreuz am hügel
in der weinplantage tombe la neige
man blicke in den spiegel wo die nacht
sich sacht
auf den sattel schwingt
wo ein stummer statist erklingt und so singt:
die zeit ist gereift
wenn die peitsche nicht pfeift
wächst dem ross ein flügel
rosa und beige wie neige in der manege

V. Adieu, monsieur

dass die blütenlese auf der wiese genese
kämpft er wie ein riese
rezitiert kleinoden ohne grund und boden
eine schwarze katze leckt an seiner tatze
begegnet einer mujere auf der mondlandefähre
eine diligence bringt ihn fix in trance
gerät in extase bei jeder fiesen phrase
sieh dich vor – haucht ein chor in sein ohr – sonst adieu
du steckst bis zum hals im moor – monsieur

VI. Viel Tamtam am Damm

einer dame dämmert es am damm
dass sich vaganten mutanten
und revolutionstanten
alle über ihren kamm scheren
schwamm drüber bleib munter
geh mit ihnen den bach runter
und ernte lorbeeren

2022

My trzy i Urszula

Czyli jutro kolejne nasze spotkanie w Sprachcafé Polnisch.

Trzeci piątek miesiąca, 20 stycznia 2023
o godzinie 19:00

Polska Kafejka Językowa
Schulzestr. 1
13187 Berlin

Dojazd do stacji S-Bahn Wollankstraße

Uwaga – wokół Friedrichstrasse konunikacja zastępcza! Lepiej jechać kolejką albo metrem nr 8 do Gesundbrunnen!

Tym razem zapraszamy na spotkanie z Urszulą Usakowską-Wolff, poetką, publicystką, zbieraczką sztuki ludowej, tłumaczką, menadżerką kultury. Tak naprawdę Urszula po prostu jest i już samo jej bycie przynosi człowiekowi radość, choć jej cięte riposty i komentarze mogą też przyprawić o niepokój.
Urszula w Sprachcafé Polnisch podczas jubileuszu dziesięciolecia bloga. Fota: ktoś z uczestników wieczoru (przepraszam, nie wiem, kto?). W tle obraz Wiesława Stefana Fiszbacha.

Na swojej stronie internetowej Urszula pisze o sobie / auf ihrer Internetseite schreibt Urszula über sich:

Urszula Usakowska-Wolff wurde am 30. September 1954 in Warschau geboren. Sie lebte von 1964-1966 in Bern, dann von 1970-1974 in Bukarest, wo sie an der dortigen Universität Germanistik und Romanistik studierte.

Ihr Studium setzte sie am Institut für Germanistik der Warschauer Universität fort, das sie 1977 mit dem Grad eines Magisters beendete.

Von 1977-1981 war sie Redakteurin des Polnischen Rundfunks in Warschau.

Nach der Verhängung des Kriegsrechts am 13.12.1981 wurde sie entlassen und mit Publikationsverbot belegt.

Sie lebte von 1984-1986 in Schwaz (Tirol) und Wien.

1986 heiratete sie Manfred Wolff. Von 1986 bis 2006 lebte sie in Bad Oeynhausen. Von 1989 bis 1990 war sie Inhaberin der Galerie Usakowska-Wolff in Herford. Bis 2019 kuratierte sie über 60 Ausstellungen, vorwiegend polnischer und osteuropäischer Kunst, in Deutschland.

Seit Mai 2006 lebt sie in Berlin.

Urszula Usakowska-Wolff ist freie Journalistin, Lyrikerin, Herausgeberin und Übersetzerin polnischer Literatur; seit Mitte der 1990er Jahre publizierte sie in Polen und Deutschland hunderte Beiträge über die deutsche und internationale Kunstszene.

Von 2007 bis 2016 war sie Mitarbeiterin der Berliner Straßenzeitung strassen|feger, wo sie als freie Kulturredakteurin zweimal im Monat in der Rubrik »art strassenfeger« ihre Ausstellungskritiken und Texte über die zeitgenössische Kunst veröffentlicht.

Bis Ende 2022 war sie Korrespondentin der Vierteljahresschrift des Polnischen Skulpturenzentrums in Orońsko, für die sie seit 1998 jährlich vier umfangreiche Texte im Jahr über die deutsche und internationale Objekt- und Installationskunst schreibt. Sie war freie Mitarbeiterin der Kunstmagazine art in berlin und stayinart – und arbeitet mit dem Portal Porta Polonica in Bochum zusammen.

2006-2011 – Vizepräsidentin des PEN-Zentrums der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil deutschsprachige Länder (Exil-PEN)

2009-2011 – Mitglied des Programmrats des Polnischen Skulpturenzentrums in Orońsko.

Preise und Auszeichnungen:

Ökumenischer Preis »Schafe Davids« der Stiftung Sacro-Art & der Stiftung Merkuryusz der Krakauer Journalisten für Aktivitäten zur deutsch-polnisch-jüdischen Aussöhnung

Pegasus-Medaille der Akademie der Schönen Künste in Warschau für die Popularisierung der polnischen Kunst in Deutschland

Kavalierskreuz des Verdienstordens der Republik Polen für die Popularisierung der polnischen Kultur und Literatur in Deutschland

ART & POETRY BY URSZULA USAKOWSKA-WOLFF

Bring Poems to Athens

Noch zum Blogjubiläum / Jeszcze z okazji jubileuszu bloga

Urszula Usakowska-Wolff

(from the series “Poetry in Progress”)

uma hija humba gaga
manga haja gamba haha
figo fago lobster zgaga
halli galli ubu flacha

bingo bungo bouboulina
hipster homer troja ares
deus zeus ex machina
feta kreta gaia mores

platon pindar politea
hejza hola hi witkacy
common mammon amaltheia
gadu gadu cacy cacy

surmelina sneaker nike
gyros eros maces pita
samothrake raki psyche
nick titania hippolyta

nikab kebab burka trendy
menetekel mama mia
baba jaga bomba handy
ali baba skype sharia

listerine lysistrata
pallas callas la divina
ola boga trata tata
mnemosyne heroina

börek burek charon error
dali dada zoom sirtaki
tshador rumor horror terror
ouzo vodka gin suflaki

zorba zebra zorro zero
odysseus kirke moly
epos ethos hades hero
penelope really holy

kogel mogel kebab selfie
smartphone ip apple center
social media pythia delphi
login password crisis enter

tablet themis tinder twitter
hocus pocus google gender
bara bara aphrodite
hello hellas chat me tender

daimon chaos minotaurus
ticktok hashtag mask chimaera
virus morbus universus
hybris hypnos pyrrhus aera

magic tragic crime medea
calamari kaliméra
eos eon deo theia
bye bye byron et cetera

Reblog: Lyrische und drastische

Urszula Usakowska-Wolff

Feministische Kunst aus Indien

Die in der Ausstellung »Facing India« gezeigte Kunst ist ohne Zweifel feministisch, politisch und engagiert. Aber unabhängig davon, wie man sie nennt, ist es eine Kunst, die äußerst suggestiv wirkt und lange im Gedächtnis bleibt. Der Einfallsreichtum, das Wissen und der Weitblick der Künstlerinnen, die Dynamik und Energie, mit der sie ihre perfekt ausgeführten Werke realisieren, die Vielzahl von Techniken, Materialien und überraschenden Lösungen kommen in allen Arbeiten, die im Erdgeschoss des Kunstmuseums Wolfsburg präsentiert werden, zum Ausdruck.


Reena Saini Kallat, Woven Chronicle

Die von mehr als 1,3 Milliarden Menschen bewohnte Republik Indien ist die bevölkerungsstärkste Demokratie der Welt. Dieses riesige Land, das den größten Teil des südasiatischen Subkontinents einnimmt, ist ein nationales, religiöses und sprachliches Konglomerat voller Kontraste. Es gibt dort extreme Armut und unvorstellbaren Reichtum, das Kastensystem ist vor allem in ländlichen Gebieten gang und gäbe. Trotz der in der Verfassung verbrieften Gleichberechtigung ist die Situation der Frauen tragisch: Sie werden erniedrigt, vergewaltigt, verbrannt oder auf andere grausame Art umgebracht. Blutige ethnische- und Grenzkonflikte dauern bis heute an, religiöser Fanatismus und Nationalismus breiten sich aus. In den Metropolen gibt es kaum Luft zum Atmen und selbst heilige Flüsse sind kontaminiert. Andererseits ist Indien eine der sich am dynamischsten entwickelnden Volkswirtschaften der Welt, die indische IT-Industrie wird seit vielen Jahren international als konkurrenzlos angesehen, während ein Drittel der indischen Bevölkerung Analphabeten sind. Die Nutznießer der Globalisierung, die soziale Ungleichheiten festigt und vertieft, ist die Mittel- und Oberschicht.

Blick in die Ausstellung „Facing India“ mit Arbeiten von Vibha Galhotra 

Sechs Frauen im fast gleichen Alter

Weniger bekannt ist, dass in diesem großen Land auch Kunst gedeiht, nicht nur die Koch- oder die Filmkunst aus Bollywood und Tollywood, sondern auch die zeitgenössische Kunst, in der vor allem Frauen den Ton angeben. Während die japanische und chinesische Kunst schon seit längerer Zeit international ausgestellt und gesammelt wird, hat die indische erst jetzt begonnen, sich im Westen zu etablieren. Das liegt vor allem an der Unsichtbarkeit dieser Kunst, denn in Indien gibt es kaum Ausstellungsorte und Ausstellungsmöglichkeiten. Um sich also eine Meinung über die indische Kunst zu bilden, muss man nicht nach Mumbai, Delhi oder Bengaluru fahren, sondern in die etwas kleinere Stadt Wolfsburg in Niedersachsen. Dort befindet sich bekanntlich der Hauptsitz des VW-Konzerns, der Autos auch in Indien produziert. Aber das ist mitnichten der einzige Grund, warum die erste so umfangreiche Schau der indischen Kunst gerade im Kunstmuseum Wolfsburg stattfindet. Als sein Direktor vor zwei Jahren Ralf Beil wurde, versprach er, das Museumsprogramm globaler zu gestalten und vor allem den Künstlerinnen und ihrer Sicht auf die Dinge dieser Welt mehr Platz als bisher einzuräumen. Er hielt sein Wort, was die Ausstellung »Facing India« vorführt, in der sechs indische Künstlerinnen das Gesicht, konkreter: die vielen Gesichter ihres Landes zur Schau stellen.
Bharti Kher (* 1969), Mithu Sen (* 1971), Reena Saini Kallat (* 1973), Vibha Galhotra (* 1978), Tejal Shah (* 1979) und Prajakta Potnis (* 1980), von der Kuratorin Uta Ruhkamp während ihrer drei Indienaufenthalte ausgewählt, gehören größtenteils der Generation der 30- und 40jährigen an. Obwohl sie aufgrund ihrer Herkunft zur privilegierten Klasse zählen, behandeln sie in ihren Werken mehr oder weniger radikal soziale, politische, ökologische und moralische Probleme, die an der Schnittstelle zwischen Modernisierung und Tradition auftauchen: Das ist in der Tat eine recht explosive Mischung, nicht nur in Indien.


Bahrti Kher, Sing to Them that Will Listen, Reiskörner Metallschale und Marmorsockel

Digitalisierung, Degradierung, Globalisierung

Die in der Ausstellung »Facing India« gezeigte Kunst ist ohne Zweifel feministisch, politisch und engagiert. Aber unabhängig davon, wie man sie nennt, ist es eine Kunst, die äußerst suggestiv wirkt und lange im Gedächtnis bleibt. Der Einfallsreichtum, das Wissen und der Weitblick der Künstlerinnen, die Dynamik und Energie, mit der sie ihre perfekt ausgeführten Werke realisieren, die Vielzahl von Techniken, Materialien und überraschenden Lösungen kommen in allen Arbeiten, die im Erdgeschoss des Kunstmuseums Wolfsburgs präsentiert werden, zum Ausdruck. Man kann unmittelbar spüren, dass die Kunst für sie eine Mission, eine Botschaft oder eine Art ist, die verschwiegenen, sorgfältig vor den Augen versteckten, unsichtbaren und nicht ausgesprochenen, also nicht existenten Probleme ans Tageslicht zu bringen. Und, was besonders wichtig erscheint, haben die von den Künstlerinnen in ihren Arbeiten aufgegriffenen und dargestellten Themen einen universellen Charakter, denn es gibt sie schon oder wird es bald auch in unserer Weltgegend geben. »Doch machen wir uns nichts vor: So drastisch all dies von Europa aus auf den ersten Blick wirkt, es sind in jedem einzelnen Punkt auch unsere Probleme und Gegenwartsfragen, die hier – zum Teil sogar für uns – verhandelt werden«, schreibt Ralf Beil, Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, im exzellenten Ausstellungskatalog. »Indien ist eines der Labore für das Gelingen oder Scheitern unserer globalen Zukunft. Ob Geschlechter-, Umwelt-, Digitalisierungs- oder Nationalitätsfragen, alles ist auf das Extremste verdichtet.« Es ist nicht einfach zu verstehen, was in Indien wirklich geschieht, denn, nach Meinung der Schriftstellerin Arundhati Roy, »dreht sich ganz Indien um Grenzen. Im Westen hält man Indien fälschlicherweise für eine anarchische, chaotische Gesellschaft. Dabei ist Indien ein Meister im Grenzziehen. Jenseits des chaotischen Verkehrs ist die Gesellschaft durch ein eisernes Gatter aus Kasten, Regionen, Religionen getrennt.« Die aus der Tradition resultierenden Spaltungen sowie die von der Tradition und Gesellschaft sanktionierte Gewalt sind eines der Themen der Gruppenschau »Facing India« im Kunstmuseum Wolfsburg.

Faktische geografische und metaphorische Grenzen

Das Erste, was direkt am Eingang der Ausstellung ins Auge fällt, ist eine riesige Weltkarte, die aussieht, als sei sie aus farbiger Wolle gehäkelt worden. Beim näheren Hinschauen merkt man jedoch, dass diese riesige kartographische Installation namens »Woven Chronicle«, die die gesamte grau gestrichene Wand einnimmt, aus Elektrokabeln gefertigt wurde. Aus acht Lautsprechern, die auf sechs Kontinenten platziert sind, ertönt eine Kakophonie von Geräuschen, ein Mix aus knisternden Hochspannungsleitungen, blubberndem Wassers, dem Besetztzeichen eines Telefons, heulenden Fabrik- und Schiffssirenen, den Geräuschen der Flügel und Stimmen der Zugvögel. »Die gewebte Chronik« ist, wie ihre Autorin Reena Saini Kallat (Foto oben) erklärt, eine Kartographie historischer und gegenwärtiger Migrationsbewegungen. Obwohl sich heute dank der Mobilität der Menschen und des schnellen Informationsflusses verschiedene Kulturen viel schneller vermischen als je zuvor, wurden die Grenzen paradoxerweise nie so streng kontrolliert und überwacht wie jetzt. » Elektrokabel sind für mich eine ambivalente Metapher: einerseits verbinden sie, andererseits bilden sie lineare Formationen in Gestalt von Netzen und anderen Zäunen, sodass sie teilen. Der Glaube daran, dass dank der globalen, das heißt grenzenlosen Kommunikation die faktischen geographischen, ethnischen und sozialen Grenzen aufhören zu existieren, hat sich als illusorisch erwiesen. Im Gegenteil: Dank fortschrittlicher Technologien können regressive Inhalte umgehend verbreitet werden: Stereotypen, zweifelhafte Ideologien, Nationalismen«.

Die provokanten Mutanten

Reena Saini Kallat, Hyphenated Lives (Installationsfragment)

Reena Saini Kallat ist eine vielseitige Künstlerin: Sie schafft Wand- und Klanginstallationen, ist Malerin, Bildhauerin und Fotografin. Man sieht und hört, dass die Kunst der Erinnerung ihre Leidenschaft ist. In der Fotoserie »Crease / Crevice / Contour« möchte sie das Leid der Frauen vor dem Vergessen bewahren, die nicht nur während der Kriege zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir die erste Kriegsbeute waren. Sexuelle Gewalt, Komponente eines jedes Krieges, hat blutige Male auf der Haut der Frauen hinterlassen. Auch wenn sie unsichtbar sind, erinnert sich der Körper daran. Kallat ist auch Autorin der Installation »Hyphenated Lives«, die wie der Saal eines Naturkundemuseums anmutet, mit Bildern der Fauna und Flora an den Wänden und Fossilien in den Vitrinen. Wenn man sie genauer betrachtet, handelt es sich um Porträts von Mutanten, die die geteilten, aber historisch miteinander verbundenen Länder symbolisieren, welche um die Kontrolle über natürliche Ressourcen kämpfen, hauptsächlich über das Wasser. Sie tragen doppelte Namen, zum Beispiel Sun-Poe, eine Kreuzung zwischen dem palästinensischen Sonnenvogel (Sunbird) und dem Wiedehopf (Hoopoe), dem Nationalvogel Israels. Auf diese farbigen Gouachen, die mit handschriftlichen Kommentaren der Künstlerin versehen sind, klebt sie Stacheldraht. Geopolitik teilt Länder, obwohl es schwer ist, die Natur in streng nationale Teile zu zerlegen. »Diese Bindestrich-Porträts können als poetische Provokationen einer Spezies, die es in der Vergangenheit nicht gegeben hat – oder als ein Vorschlag für die Zukunft verstanden werden«, sagt Reena Saii Kallat.

Äquilibristik der (Un)linguistik

Auch Mitu Sen (Foto) liebt Provokationen. Die begnadete Sprachkünstlerin, Bildhauerin und Malerin begann ihre künstlerische Laufbahn als bengalische Dichterin. Nachdem sie 1997 nach Delhi gezogen war, musste sie Hindi und Englisch lernen, was ihr zunächst recht schwer fiel. Die meisten ihrer Werke tragen Titel, in denen die Vorsilbe »un« steht. Sie ist eines der Hauptelemente ihrer Un- oder Nichtsprache. Es ist offensichtlich, dass es mit eigenen Zähnen oder mit dem Zahnersatz leicht fällt, sich in jeder Sprache oder Nichtsprache zu artikulieren. Wie alle Arbeiten von Mitu Sen ist auch die Installation »Border Unseen« Ausdruck eines absurden Sinns für Humor. Im Deutschen klingt »Unseen« phonetisch ein wenig wie Unsinn. Künstliches Zahnfleisch, in dem künstliche Zähne stecken, sieht natürlich wie eine Grenze aus, die im geschlossenen Mund unsichtbar ist, aber man kann sie nicht übersehen, wenn sie an einer Wand als Zahnrad hängt.

Mithu Sen, Phantom Pain 2

Mitu Sen nennt ihre Zeichnungen und Skulpturen Performances, denn das Publikum soll sich daran aktiv beteiligen. Eine großartige Idee ist zum Beispiel die Serie der 40 Grafiken und Zeichnungen unter dem Titel »The Same River Twice« (Derselbe Fluss zweimal), die in einem geschlossenen Raum betrachtet werden kann. Es ist eine Kunst der Camouflage, die sich vielleicht vor dem Auge des Zensors tarnt, denn nur, wenn man mit einer Taschenlampe weiße Papierblätter beleuchtet, sieht man ihren zweiten Boden: erotische, leicht pornografische Spiele nicht heterosexueller Paare. Die benachbarte Installation »Mou (Museum of Real Estate) beherbergt eine Sammlung von Kitschartikeln, Souvenirs und anderen Nippes in einer runden Vitrine, die einer leicht zu transportierenden Wunderkammer gleicht.

Mithu Sen, Mou (Museum of Real Estate)

Symphonie der Zeit oder Kakofonie

»Wir leben in einer sich schnell verändernden Welt und betrachten uns als anpassungsfähig«, sagt Vibha Galhotra (Foto oben). »Gleichzeitig berücksichtigen wir kaum das Ausmaß der Umweltverschmutzung und akzeptieren sie passiv als die neue Realität.« In multimedialen Rauminstallationen, in Filmen und Fotografien stützt sich die Künstlerin auf die platonische Theorie der fünf Elemente und zeigt, was mit dem Wasser des heiligen Flusses Yamuna, mit Luft, Erde, Äther und Feuer geschieht. Nach dem Eintauchen eines weißen Tuchs in Yamuna wird es sofort schwarz. Neu-Delhi ist die am meisten verschmutzte Stadt der Welt, die, wie Vibha sagt, einer Gaskammer gleicht, sodass die Menschen ständig Masken tragen müssen, in denen sie aussehen, als ob ihnen, wie in Nostradamus’ Prophezeiung, anstelle der Nasen Schweinerüssel wachsen würden. In den Städten ist jedes Stückchen Boden zugebaut, und sogar in den Vierteln, die von getarnten Sicherheitsmännern bewacht werden (Installation »Neo Camouflage«), liegen die Häuser extrem dicht beieinander: Das ist eine bunte Betonwüste, ohne einen Grashalm. Eine große Weltkarte unter dem Titel »Time Symphony Or Cacophony« wird immer dunkler, schreckliche Geräusche dringen aus ihr nach Außen: Die klassische Symphonie der Zeit verschwindet, ersetzt durch eine Kakophonie der Zerstörung.




Vibha Galhotra, Neo Camouflage (Installationsfragmente)

Gedemütigte, schweigende und gequälte Frauen

Wenig optimistisch sind auch die Arbeiten von Bharti Kher (Foto), der einzigen Teilnehmerin der Wolfsburger Ausstellung, die nicht in Indien, sondern in Ostlondon geboren wurde, und seit 1992 dauerhaft in der Hauptstadt Indiens lebt. Die Künstlerin, deren Werk um die Situation der indischen Frauen kreist, ist eine Perfektionistin und Ästhetin, die die sogar in den überraschendsten Materialien verborgene Energie und Schönheit an die Oberfläche zaubert. Neben Skulpturen aus Bronze, Kleiderstoff, Reis und Reliefs aus Bindis zeigt sie in Wolfsburg auch eine Säule aus roten Armreifen, den Bangles, unter dem Titel »Bloodline« (Stammbaum): Frauen sind zwar die Stützen und die treibende Kraft der indischen Gesellschaft, leben aber oft in einem »Deaf Room« (Tauben Zimmer), das von einer Mauer des Schweigens umgeben ist. Diese beindruckende Plastik besteht aus zehn Tonnen Glasziegeln, die Bharti Kher aus geschmolzenen Armreifen und Ton errichtete. Das Schicksal der Frauen, die im ältesten Beruf der Welt arbeiten, ist auch nicht einfach, wie die Gipsskulptur der sechs Sitzenden unter dem Titel »Six Women«, also sechs Sexarbeiterinnen aus Kolkata, zeigt. Bharti Khers Werke sind Monumente für die extrem müden, gequälten und tagtäglich gedemütigten Frauen in Indien.

Bharti Kher, Six Women

Dem dritten Geschlecht geht es häufig sehr schlecht

Tejal Shah ist auch vielseitig begabt, sie macht fantastische Zeichentrickfilme, sie zeichnet und fotografiert meisterhaft, wovon die Fotoserie » Women like us« zeugt. Sie stellt »Frauen wie wir« dar, also solche, die nicht einverstanden sind, die ihnen zugeschriebenen Geschlechterrollen zu spielen, weil sie sich wie Männer fühlen. Die Genderfrage ist das, was diese Künstlerin, die lange Zeit in Indien nicht ausstellen durfte, am meisten interessiert. Sie befasst sich nämlich mit Themen, die verschwiegen werden sollen wie die Gewalt gegen Hijras, die offiziell als Göttinnen des dritten Geschlecht verehrt werden, aber in Wirklichkeit den Massenvergewaltigen zum Opfer fallen, verletzt, bepisst und umgebracht: zu sehen in der erschütternden Foto- und Videoinstallation »Untitled (On Violence)«.

Prajakta Potnis mit Dr. Uta Ruhkamp (links)

In der Ausstellung »Facing India« gibt es auch weniger drastische, witzige und ironische Arbeiten. Ihre jüngste Teilnehmerin, die 28jährige Prajakta Potnis, arrangiert und fotografiert seltsame Landschaften und Stillleben in spezifischen Interieurs. Die Digitaldruckserie »Capsule« wartet mit Rollteppen auf, die auf einer Plastikserviette im Kühlschrank stehen. Eines der »Still Lifes« zeigt Blumenkohls in Gefrierfächern, die wie Atompilze aussehen. Kann die Natura (morta) eines Blumenkohls explosiv sein oder nicht explosiv sein, das ist hier die Frage.

Prajakta Potnis, Capsule

Alle Fotos © Urszula Usakowska-Wolff


FACING INDIA
Kunstmuseum Wolfsburg
29.04-7.10 2018
Katalog, 38 Euro
www.kunstmuseum-wolfsburg.de

Irena-Sendler-Jahr 2018

Menschenleben retten ist Pflicht und keine Heldentat

Text und Fotos © Urszula Usakowska-Wolff

Besuch bei Irena Sendler am 26. 12. 2005 in Warschau: mit Anna Mieszkowska und Manfred Wolff.

Am 12. Mai 2008 starb in Warschau Irena Sendler, eine Frau, die heute weltweit als Heldin verehrt wird, deren Namen Schulen, Straßen und Parks tragen, eine Frau, die mit höchsten polnischen und israelischen Auszeichnungen bedacht und die 2007 und 2008 für den Friedensnobelpreis nominiert wurde.
An den Rollstuhl gefesselt – eine Folge ihrer Folterungen durch die Gestapo im berüchtigten Pawiak-Gefängnis im von den Deutschen besetzten Warschau im Herbst 1943 –, wurde ihr am Ende ihres Lebens, als sie ihr kleines Zimmer im Warschauer Pflegeheim der Barmherzigen Brüder nicht mehr verlassen, geschweige denn reisen konnte, das Interesse der Öffentlichkeit zuteil. Ihre Erlebnisse und ihre außerordentliche Haltung während des Zweiten Weltkriegs blieben lange Zeit im Verborgenen, denn sie habe nur ihre Pflicht getan und wollte darüber keine Worte verlieren. Dass ihre Geschichte, die Geschichte einer mutigen Frau, die zur Rettung von 2500 jüdischen Kindern und etlichen Erwachsenen aus dem Warschauer Ghetto beigetragen hatte, öffentlich bekannt wurde, verdankte sie vier Schülerinnen aus der 300-Seelen-Gemeinde Uniontown im amerikanischen Bundesstaat Kansas, die Ende der 90er Jahre im Rahmen einer Projektarbeit herausgefunden haben, dass sie während der Naziherrschaft doppelt so vielen Juden das Leben rettete als Oskar Schindler. Darüber verfassten sie den zehnminütigen Einakter „Life in a Jar“ (Das Leben im Glas), der sich bis heute großer
Popularität erfreut, vieltausendmal aufgeführt wurde und noch immer aufgeführt wird. Als sie erfuhren, dass ihre Heldin in Warschau lebt, besuchten sie sie dort zum ersten Mal 2001, was das Interesse der polnischen Medien auf die mutige Polin lenkte, sodass sie ihre Geschichte an die Öffentlichkeit brachten. 2003 lernte die polnische Theaterwissenschaftlerin und Autorin Anna Mieszkowska Irena Sendler kennen. Das war eine schicksalhafte Begegnung: Zehn Monate lang trafen sie sich fast jeden Tag und Irena erzählte Anna ihr Leben. 2004 wurde im Warschauer Verlag Muza das Buch „Die Mutter der Holocaust-Kinder. Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto“ veröffentlicht. Dank Anna Mieszkowska, deren Sendler-Biografie mein Mann Manfred Wolff und ich 2006 für die DVA ins Deutsche übersetzt hatten, lernten wir Irena kennen und konnten sie einige Male in Warschau besuchen. Anna Mieszkowska und ich hatten die Gelegenheit, das Leben und die Taten dieser außerordentlichen Frau Erwachsenen und Jugendlichen unter anderem in Leipzig, Detmold, Düsseldorf, Berlin, Unterwaltersdorf (Österreich), Wien, Nürnberg, München, Stuttgart, Stockholm, im
belgischen St. Vith, Kelmis, Eupen und Brüssel vorzustellen. Die über zwanzig Lesungen, zu denen Hunderte von Menschen erschienen, dauerten nicht selten über drei Stunden und könnten noch länger sein, denn das Interesse an dieser mutigen, bescheidenen Frau war ungebrochen. Am 19. April 2009 strahlte die CBS den Film „The Courageous Heart Of Irena Sendler“ aus, dem Mieszkowskas Buch zugrunde lag, den über acht Millionen Zuschauer in den Vereinigten Staaten sahen. Am 1. Mai 2009 wurde nach Irena Sendler eine vom Niederländer Jan Ligthart gezüchtete Tulpenart benannt, am 4. Mai 2009 wurde ihr in Berlin posthum der Audrey Hepburn Humanitarian Award verliehen. Und das
Jahr 2018 wurde vom polnischen Parlament in Gedenken an ihren zehnten Todestag zum IrenaSendler-Jahr erklärt.

Irena Sendler am 26.12. 2005 im Pflegeheim der Barmherzigen Brüder in Warschau.

Liebe, Demut und Toleranz

Die am 15. Februar 1910 in Warschau geborene Irena Krzyżanowska stammte aus einer
patriotischen, sozialdemokratischen polnischen Familie. Ihre Eltern brachten ihr bei, dass man die Menschen nur in gute und schlechte einteilt und dass Herkunft, Religion und Hautfarbe dabei keine Rolle spielen. „Einem Ertrinkenden muss man die Hand reichen“, lernte sie von ihrem Vater, der als Arzt vor allem Arme behandelte, sich von einem Patienten mit Typhus ansteckte und starb, als Irena sieben Jahre alt war. Liebe, Demut und Toleranz waren die drei Grundsätze, denen sie immer treu blieb. Irena Sendler war zeit ihres Lebens eine sozial engagierte Frau, die sich bereits im Vorkriegspolen – als Mitarbeiterin des Sozialamts im Warschauer Magistrat – für die Rechte alleinerziehender Müttern von unehelichen Kindern einsetzte. Gleich nach dem Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs im September 1939 gründete sie mit anderen zehn Kolleginnen und einem Kollegen vom Warschauer Sozialamt eine Untergrundorganisation, die den Juden zu Hilfe eilte, obwohl die Deutschen in Polen, im Gegensatz zu den anderen besetzten Ländern, die kleinste, einem Juden geleistete Hilfe mit dem Tod bestraften. Angesichts des Elends der Kinder im Warschauer Ghetto, das von den deutschen Besatzungsbehörden im Herbst 1940 als „jüdischer Sperrbezirk“ errichtet wurde, in dem eine halbe Million Menschen, darunter viele Freundinnen und Freunde Irenas, unter unvorstellbaren Bedingungen zusammengepfercht leben mussten, begann sie unter dem Decknamen Schwester Jolanta und mit einem Passierschein, der ihr jederzeit freien Zutritt zum Ghetto ermöglichte, diese Kinder auf zum Teil abenteuerlichen Wegen – in Säcken und Kartons – auf die „arische Seite“ zu schleusen, um sie vor dem sicheren Tod im Vernichtungslager Treblinka zu retten. Die Kinder erhielten eine neue Identität und wurden in polnischen Familien, Waisenhäusern oder Klöstern untergebracht. Ihre Namen notierte sie auf dünnen Papierstreifen und versteckte sie in einem Einmachglas unter einem Apfelbaum im Garten. Das war Irena Sendlers Liste, jenes „Leben im Glas“, wo die Vergangenheit der geretteten Kinder bewahrt wurde, sodass sie sich nach dem Krieg wieder ihrer wahren Identität vergewissern und den Weg zu ihrer Angehörigen finden konnten.

Sean H. Ferrer (r.), Sohn von Audrey Hepburn, überreicht am 4. Mai. 2009 in Berlin dem Botschafter der Republik Polen, Dr. Marek Prawda, den Audrey Hepburn Humanitarian Award 2009 posthum für Irena Sendler

Im Herbst 1943 wurde Irena Sendler von der Gestapo verhaftet und zum Tod verurteilt. Trotz schrecklichster Folterungen gab sie keinen Namen preis, auch nicht, um ihr Leben zu retten. Durch Bestechung eines Gestapobeamten, der sie von der Liste der Todeskandidatinnen entfernte, kam sie frei und lebte bis zum Ende des Kriegs in verschiedenen Verstecken, da sie von den Deutschen gesucht wurde. Sie gab aber ihre Arbeit nicht auf und half als Leiterin des Kinderreferats des Judenhilferats Żegota in
Warschau, der Finanzmittel des polnischen Untergrundstaates an die verfolgten Juden verteilte, den jüdischen Kindern weiter.

Anna Mieszkowska, Die Mutter der Holocaust-Kinder. Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto, DVA, 2006

Beeindruckende Zivilcourage
„Die Rettung der jüdischen Kinder war meine Pflicht und keine Heldentat. Sie war die Berechtigung meiner Existenz. Mein Vater brachte mir nämlich bei, dass man den Schwachen und Gefährdeten helfen muss. Wenn sich damals deutsche Kinder in einer solchen Situation befänden wie die jüdischen Kinder, hätte ich ihnen auch geholfen“, sagte Irena Sendler. Sie war sehr darüber erfreut, dass ihre Biografie in Deutschland erschien und verfolgte mit Spannung die Resonanz darauf.
„Ständig höre ich das Echo, das der Inhalt des Buchs ‘Die Mutter der Holocaust-Kinder’ in
Deutschland hervorruft“, schrieb sie mir am 27. Februar 2008. „Mit Frau Mieszkowska sind wir zum Schluss gekommen, dass Ihre Übersetzung besser gefällt und mehr Interesse weckt, als das Buch in Polen.“ Und tatsächlich war das Interesse an Irena Sendler im deutschsprachigen Raum enorm. Vor allem Jugendliche waren von ihrer Zivilcourage beeindruckt. An den Lesungen, die in Deutschland, Österreich und in Belgien stattfanden, beteiligten sich Hunderte von Schülerinnen und Schülern, alleine an den Schulen der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens über 500! Daraus entwickelten sich langfristige Projekte, die von Jugendlichen initiiert und durchgeführt wurden. So geschehen an
der Robert-Jungk-Oberschule in Berlin, deren Lehrerinnen und Schülerinnen im Februar 2008 nach Warschau reisten, um Irena Sendler zu besuchen, und ihre Eindrücke in einer multimedialen Präsentation festhielten; die im Juli 2007 eingeweihte Irena-Sendler-Schule im bayerischen Hohenroth, die erste Irena-Sendler-Schule weltweit, deren Schülerinnen und Schüler zur Eröffnung eine große Ausstellung ihrer Patronin organisierten und deren Rektorinnen im September 2007 einen Apfelbaum im Park vor dem Ghetto-Denkmal in Warschau pflanzten; das Theaterstück „Tor zum Leben. Die Rettung von 2500 Kindern aus dem Warschauer Ghetto“, dargestellt von geistig
behinderten Schülern und Schülerinnen aus Deutschland (Bodelschwingh-Schule in Soest), Polen (Zespół Szkół im. Aleksandra Kamińskiego in Strzelce Opolskie) und Israel (Morasha School in Netanya) sowie die Projektarbeit „Die Mutter der Holocaust-Kinder. Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto“, an der drei Schulklassen des César-Franck-Athenäums in Kelmis in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens sieben Monate lang arbeiteten. Über 50 Schülerinnen und Schüler, darunter viele Muslime, beschrieben jede Straße und jede Person, die in diesem Buch vorkommen und versammelten die Ergebnisse ihrer Arbeit in einer beeindruckenden
Ausstellung, die bis Mitte Mai 2009 in ihrer Schule besichtigt werden konnte.
Im November 2010 wurden zwei weitere Schulen in Deutschland nach Irena Sendler benannt: in Hamburg-Wellingsbüttel und in Euskirchen.

Irena Sendler am 11. 09. 2007 im Pflegeheim der Barmherzigen Brüder in Warschau.

Vorbild für viele Menschen

„Irena Sendler war eine Frau, die anderen das Leben rettete und nicht an sich selbst dachte“, fassten die Schülerinnen und Schüler des CFA Kelmis ihre Erkenntnisse, die sie während der Projektarbeit gewonnen haben, zusammen. „Irena Sendler wurde durch das Buch ‘Die Mutter der Holocaust-Kinder’ weltweit bekannt und einige gerettete Kinder erfuhren so, dass sie noch lebt. Es ist schade, dass sie erst so spät berühmt wurde. Wir kannten Irena Sendler vorher gar nicht. Wir wussten auch nicht, wie ein Ghetto aussieht und wie unmenschlich Menschen sich verhalten können. Irena Sendler hatte viele Helfer, die ihr bei der Kinderrettung halfen. Was Irena Sendler gemacht hat, war Zivilcourage.
Heutzutage gibt es auch viele sozial engagierte Menschen, die Menschen helfen, aber sie riskieren nicht ihr eigenes Leben. Uns hat dieses Projekt die Erfahrung gebracht, jeden Krieg vermeiden zu wollen. Wenn man Streit hat, soll man darüber reden oder sich gegenseitig ignorieren. Wir wissen jetzt auch viel mehr über den Krieg, Irena Sendler und die anderen Helfer. Irena Sendler kann stolz auf ihre menschliche Würde sein. Sie ist ein Vorbild für viele andere Menschen.“

Ja, das stimmt: Irena Sendler vertrat Werte, die sie dazu veranlassten, auch in Zeiten größter Menschenverachtung, die zur Menschenvernichtung führte, die Menschlichkeit zu bewahren und zu verteidigen. Irena Sendler hat mit ihrem ganzen Leben bewiesen, dass man auch in fürchterlichsten Zeiten Gutes tun muss, weil das die Pflicht eines jeden anständigen Menschen ist. Und das bleibt gültig – über ihren Tod hinaus.

Mehr Infos unter:
www.irenasendler.org (Englisch)
http://roksendlerowej.pl/ (Rok Ireny Sendlerowej)


Unsere Autorin, Urszula Usakowska-Wolff wird am 2. September Irena Sendler im Café Regenbogenfabrik vorstellen. Dazu schrieb sie:

Irena Sendler, die Retterin der Kinder aus dem Warschauer Ghetto

Vortrag von Urszula Usakowska-Wolff aus Anlass des Irena-Sendler-Jahres 2018

Am 12. Mai 2008 starb in Warschau im Alter von 98 Jahren Irena Sendler, eine Frau, die heute nicht nur in Polen als Heldin verehrt wir. Erst am Ende ihres Lebens wurde bekannt, dass sie unter dem Decknamen Schwester Jolanta zusammen mit einem von ihr gegründeten und vorwiegend aus Frauen bestehenden Netzwerk hunderte von jüdischen Kindern aus dem Warschauer Ghetto gerettet, mit falschen Papieren versorgt und in polnischen Familien, Waisenhäusern und Klöstern untergebracht hatte. Als die Gestapo sie im Herbst 1943 verhaftete und folterte, gab sie keinen Namen preis. Sie wurde zum Tode verurteilt, doch sie konnte unmittelbar vor der Vollstreckung der Todesstrafe fliehen. Irena Sendlers fast unbekannte Geschichte schrieb 2003 Anna Mieszkowska auf und veröffentliche sie in einem Warschauer Verlag. 2006 erschien ihre „Die Mutter der Holocaust-Kinder. Irena Sendler und die geretteten Kinder aus dem Warschauer Ghetto“ betitelte Biografie in der DVA. Die Übersetzer Urszula Usakowska-Wolff und Manfred Wolff lernten Irena Sendler 2005 kennen und besuchten sie mehrere Male in Warschau. Obwohl sie unter der Folgen der Gestapo-Folter zu leiden hatte und auf einen Rollstuhl angewiesen war, strahlte sie Wärme und Bescheidenheit aus. Ihre Geschichte ist ein Beispiel dafür, welche Taten ein Mensch mit Zivilcourage auch in den schrecklichsten Zeiten vollbringen kann. „Die Rettung der jüdischen Kinder war meine Pflicht und keine Heldentat. Mein Vater brachte mir nämlich bei, dass man den Schwachen und Gefährdeten unabhängig von Herkunft, Nationalität oder Religion helfen muss. Wenn sich damals deutsche Kinder in einer solchen Situation befänden wie die jüdischen Kinder, hätte ich ihnen auch geholfen“, betonte Irena Sendler.

***
Urszula Usakowska-Wolff, 1954 in Warschau geboren, studierte Germanistik an den Universität Bukarest und Warschau. Die Journalistin, Autorin und Kuratorin lebt seit 1986 in Deutschland, zuletzt in Berlin. Sie übersetzte zahlreiche Bücher aus dem Polnischen, darunter Lyrik von Erna Rosenstein, Geneowefa Jakubowska-Fijałkowska und Jan Goczoł sowie Prosa von Artur Sandauer. 2009 gab sie ihre Gedichte „Perverse Verse“ im Pop Verlag heraus.

Mehr Infos unter:
www.kunstdunst.com
https://urszulausakowskawolff.wordpress.com/

Engel und Pietas

Manfred Wolff

Ich wohne nicht in einem Museum

Nein, Sie betreten kein Museum, wenn Sie mich besuchen in unserer Berliner Wohnung. Aber Sie betreten Geschichte: die Geschichte meiner Familie, die Geschichte meiner Ehe und auch meine Geschichte. Und diese Geschichte ist nicht museal tot – sie ist unser Leben.

Im Flur werden Sie begrüßt von bunten Wänden. Hinterglasbilder mit Heiligen und Räubern bedecken die Wände. Meine Frau Urszula hat diese Schätze aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gesammelt. Sie stammen in der Mehrzahl aus der polnischen Tatra, aber auch Volkskünstler aus anderen Regionen sind unter den Autoren. Gleich bei der Ankunft begegnen Sie aber auch schon Józef Chełmowski. Von oben, aus einer Ecke heraus begrüßt Sie ein Engel des kaschubischen Künstlers. Auf der Kommode zur rechten stehen einige seiner Engel und links von der Tür zum Wohnzimmer hat dieser Engel seinen Platz, mit dem unsere Sammlung von Chełmowskis Arbeiten begann: „Hominem te esse memento“, sagt er. Über der Wohnzimmertür hängt ein dramatisches Bild von Tadeusz Żak. Engel und Teufel kämpfen um die Seelen der Bewohner eines kleinen polnischen Dorfes. Wie wird das ausgehen?

Wenn Sie nun das Wohnzimmer betreten, lassen Sie den Blick nicht nach links abschweifen, denn dort gibt es nicht viel zu sehen, obwohl es ein Ort künstlerischen Schaffens ist, wo aus einfachen Dingen Werke entstehen, die auf vielfältige Weise die Sinne erfreuen und Menschen stärken, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Es ist die Küche…

Im Wohnzimmer empfängt Sie wieder ein Engel, nun aber fast mannsgroß mit vier Flügeln, ein Erzengel eben. Er trägt die Tracht einer kaschubischen Frau und blickt streng prüfend auf die Eintretenden und auf das, was sich an unserem Tisch so abspielt. Das ist unser Schutzengel, und er hat sich schon deutlich sichtbar den Kopf zerbrochen über all die Narrheiten, die unser Leben so ausmachen. Nüchternere denken da eher, dass das Holz, aus dem Chełmowski ihn geschlagen hat, wohl sehr jung war, sodass es jetzt durch den dauernden Aufenthalt in einer gut beheizten Stube einen Spalt gerissen hat.

Der Engel steht am Tisch, und um den Tisch stehen die Stühle, die meine Großeltern mütterlicherseits erwarben, als sie ihren Ehestand begründeten. Sie sind nun schon 110 Jahre alt. Mein Großvater konnte nur sieben Jahre darauf sitzen. Er fiel zu Beginn des Ersten Weltkriegs am Hartmannsweilerkopf, dem Menschenfresserberg im Elsass. Obwohl zur rechten eine gutbürgerliche Polstergarnitur einlädt, sitzen wir doch meist auf diesen Stühlen. Vielleicht sitzt Großvater ja noch manchmal dabei und freut sich, dass seine damalige Anschaffung noch immer in Ehren gehalten wird, Mittelpunkt eines Familienlebens ist, wie er es sich gewünscht hat.

Auch die Kommode und das Vertiko, beide an den Türen mit Jugendstilornamentik geschmückt, sind Erbstücke aus dem Besitz meiner Großeltern. Das Vertiko wird von einer Vielzahl bunter Vögel bewohnt, Schöpfungen polnischer Volkskünstler, und auf der Kommode stehen die Schafe Davids des Bildhauers Bronisław Chromy, in Krakau verliehen für unsere Verdienste um die Jüdisch-Polnisch-Deutsche Verständigung sowie zwei kleine Pegasusfiguren von Adam Myjak, mit denen uns die Warschauer Akademie der Künste für unsere Förderung der polnischen Kunst in Deutschland auszeichnete.

Über der Kommode hängt an der Wand das älteste Stück unserer Wohnung, eine Uhr, die mein Urgroßvater mütterlicherseits seiner Frau zur Silberhochzeit schenkte. Sie geht immer noch zuverlässig. An jedem Sonntag ziehe ich sie auf (klingt ein bisschen wie Tristram Shandy). 129 Jahre ist sie alt. Sie hat die letzten Stunden meiner Urgroßeltern, meiner Großmutter und meiner Eltern geschlagen und sie wird auch unsere letzte Stunde schlagen – hoffentlich nicht so bald…

Eine Halbwand wird von einer Schrankwand im Kajütstil eingenommen, auf der sich auch wieder zahlreiche geschnitzte Vögel tummeln: Eulen und Tukane, Störche und Gänse, und an einer Seitenwand des Schranks hämmert fleißig ein Specht.

Der Raum daneben ist Bildern unseres Freundes Edward Narkiewicz vorbehalten: Surrealistische Kompositionen von verschmitzter Heiterkeit und melancholischer Nachdenklichkeit. Gegenüber eine Wand mit Arbeiten von Jan Dobkowski in geometrischer Strenge und überschäumender Phantasie. Natürlich hängen auch über dem Sofa Bilder, aber kein brüllender Hirsch oder eine Schlittenfahrt im Winter. Es sind Gemälde von Andrzej Węcławski, Jan Aniserowicz, Dorota Grynczel, Apoloniusz Węgłowski, Piotr Lutyński, Paul Rascheja, Ellen Fuhr und Charlotte Petersen.

So viel Kunst verlangt nach einer Ruhezone für das Auge. Die Fensterfront bildet bei geschlossenem Lamellenvorhang eine große weiße Wand, ohne jedwede Kunst.

Im Durchgang zu den hinteren Räumen hängen zeitkritische Bilder des naiven Malers Stanisław Żywolewski aus Hajnówka, oben auf dem langen Bücherregal haben Schnitzereien von verschiedenen Volkskünstlern ihren Platz gefunden mit Szenen aus dem alttestamentarischen Leben. In Urszulas Arbeitszimmer füllen Grafiken und Zeichnungen die Wände. Mehrere Pietas runden hier das vielfältige Bild der polnischen Volkskunst ab. In meinem Arbeitszimmer schmücken Radierungen von Irena Snarska die Wand, und Maximilian Kolbe sowie der heilige Franziskus leisten acht Figuren des Chrystus Frasobliwy Gesellschaft.

Auf den Schränken im Schlafzimmer findet siebenmal die Weihnachtsgeschichte statt in Form von Krippen, und gegenüber den Betten hängt ein buntes Kaleidoskop von Aquarellen, Zeichnungen und Pastellen, darunter Arbeiten von Erna Rosenstein, Jan Dobkowski, Rafał Strent, Marian Nowiński, Kazimierz Furga und Jacek Dyrzyński. So ist unser letzter Blick am Abend und unser erster Blick am Morgen natürlich auf Kunst gerichtet.

Selbst in dem Raum, den andere einer streng geometrisch-konstruktivistischen Keramikkunst widmen, geht es nicht ohne künstlerische Schönheit bei uns ab. Vier Terrakottaplastiken zieren hier das sonst sehr einfallslose Umfeld.

Alles in unserer Wohnung hat eine Geschichte. Wenn man mit diesen Dingen lebt, erzählen sie ihre Geschichte und werden Teil der eigenen Geschichte, jenseits jeder Geschichtspolitik. Die Kunst macht uns Mut, den Geschichten zu lauschen und sie selbst weiter zu erzählen: Ein weiteres Kapitel polnisch-deutscher Geschichte.


Text © Manfred Wolff, siehe Blog
Fotos © Urszula Usakowska-Wolff, siehe Homepage & Blog 

1. Engel von Józef Chełmowski im Flur
2. Siamesischer Engel von Józef Chełmowski
3. Apokalyptischer Engel von Józef Chełmowski im Flur
4. Eckengel von Józef Chełmowski im Flur
5. Kaschubischer Engel von Józef Chełmowski im Wohnzimmer
6. Heinrich Heine von Józef Chełmowski im Wohnzimmer
7. Blick ins Wohnzimmer I
8. Blick ins Wohnzimmer II
9. Heilige und Christusse sitzen auf der Fensterbank in Manfreds Wohnzimmer
10. Pietas in Urszulas Arbeitszimmer

Łużyce w Berlinie…

Urszula Usakowska-Wolff i Ewa Maria Slaska

… a będzie też i o tłumaczeniach z łużyckiego

Od wielu tygodni Tomasz Fetzki, który na użytek tego blogu, przybrał przydomek Viator, wędruje z nami po Zachodnich Kresach Polski i Wschodnich Kresach Niemiec czyli po Łużycach. Ciekawe, że dopiero teraz, dzięki wpisom Viatora, my dwie, Urszula i Ewa, od lat zamieszkałe w Berlinie, ustaliłyśmy, że obie jeździłyśmy na Łużyce, obie organizowałyśmy projekty polsko-niemiecko-łużyckie lub brałyśmy w nich udział i obie kiedyś tłumaczyłyśmy wiersze łużyckich poetek na polski i/lub niemiecki.

Zacznijmy jednak od tego, że w Berlinie te Łużyce nie są aż tak odległe i nieznane jak odległe i nieznane są w Polsce. W Berlinie tradycyjnie jeździ się do Spreewaldu, popływać barkami lub kajakami, pooglądać z wody wiosnę, lato czy jesień, kupić kiszone ogórki, najlepsze w całych Niemczech i szprewaldzką ciemnoniebieską ceramikę w białe kropy, a wiosną piękne pisanki, najpiękniejsze w całych Niemczech. Łużyczanie zwani tu Sorbami przyjeżdżają na polskie festyny do Berlina. Są sorbskie sklepy z lokalnymi produktami. Wszystko razem nie oznacza może jakichś niezwykle ożywionych kontaktów, ale te kontakty są i są nacechowane wzajemną sympatią.

Był jeszcze jeden ścisły związek łączący Berlin i Łużyce.

Poznałam Łużyce w ramach polsko-niemieckiego projektu kulturalnego Statek Literacki (Deutsch-Polnischer Poeten Dampfer) w latach 1995-1999, wtedy też widziałam wsie zniszczone przez wydobycie węgla brunatnego i księżycowy krajobraz jaki pozostawiają po sobie kopalnie odkrywkowe. Ten węgiel brunatny, w Polsce niemal zapomniany, mimo że oczywiście i my mamy jego wychodnie, że wspomnę Konin, Bełchatów i Turów, był w Berlinie i Brandenburgii po prostu wszechobecny. W Berlinie było i nadal jest, choć oczywiście teraz mniej niż przed 30 laty, mnóstwo mieszkań wciąż jeszcze ogrzewanych piecami, a najtańszym opałem był i jest właśnie węgiel brunatny. Sama tak mieszkałam kiedyś dawno temu. Opalane brykietami z węgla brunatnego mieszkania produkowały tony lotnego brązowego popiołu i wysyłały nad miasto kilometry sześcienne dymu w kolorze rdzy, co sprawiało, że zimą cały Berlin przybierał rudawy kolor. Co jakiś czas ogłaszano zagrożenie smogowe i wtedy jeździło trochę mniej samochodów, a to przecież mieszkania produkowały ten brązowy smog a nie samochody i pewnie trzeba by było zakazać palenia w piecach, ale na to by się przecież nikt nie poważył.
Już dawno nie mieszkałam w mieszkaniu z piecami, gdy podczas Polsko-Niemieckiego Statku Literackiego dotarłam na krawędź takiego wyrobiska węgla brunatnego i dopiero wtedy dotarło do mnie, że jego szkodliwość ekologiczna w Berlinie była małym problemikiem w porównaniu z tym, co on oznaczał na Łużycach. Choć oczywiście zanim zaczniemy urągać przemysłowi, przeczytajmy raz jeszcze wpis Tomasza Fetzkiego, który pisze o tym, jak trudno jest zachować równowagę pomiędzy naszymi potrzebami życiowymi a naszymi poglądami ekologicznymi.

Podczas projektu Poetendampfer (Parowiec Poetów – świetna nazwa, znacznie lepsza niż nudna nazwa po polsku!) poznałam też poetkę łużycką Róžę Domašcynę i na bieżąco tłumaczyłam jej wiersze na polski. Urszula z kolei brała udział w 32 Festiwalu Poezji Sorbskiej w Budziszynie w 2010 roku, też tłumaczyła wiersze Róžy i promowała ją w Westfalii. Moje tłumaczenia, wykonywane odręcznie na papierze, odczytywane podczas imprez z karteluszków, z kretesem zaginęły. Również Urszula nie ma wierszy Róžy po polsku, ale znalazła tłumaczenie wiersza Hańžy Budarjowej (1860-1937).

Prządki u kołodzieja w Łazie

W tym pięknym ogrodzie, do którego chętnie chodzę,
rosną kwiaty czarujące,
wszystkie pięknie kwitnące, w blasku wiosny lśniące,
młode, zapatrzone w słońce.
Te kwiaty są tak cnotliwe,
jak nasze wiejskie dziewki,
co u kołodzieja w Łazie zbierają się na prządki i śpiewki.

Może w tym ogrodzie znajdą się trzy róże,
które cudne imiona mają:
miłość, pokój i jedność, bo wszyscy Łużyczanie je znają
i za najpiękniejsze uważają.
Z tych róż przykład brać
i o nie dbać będziemy,
ale teraz sobie w Łazie znowu poprzędziemy.

Chcemy w naszym towarzystwie dalej się gromadzić,
żyć w spokoju i w pokoju, nikomu nie wadzić,
i do środy razem prząść i śpiewać wesoło,
bo już wkrótce słońce wzejdzie i zaświeci wkoło:
nad łąkami, nad lasami, nad polami,
i z ciemności nas wyzwoli,
byśmy mogli pracować na roli i śpiewać ze skowronkami.

A gdy starość nastanie, będzie czas na bajanie
o pięknych latach młodości,
o tym, ile radości sprawiało nam chodzenie
do kołodzieja przy Stawie w Nowym Łazie na przędzenie.
Oj, będą się nam dziwować,
oj, będą się naśmiewać
z naszych bajek, z naszych fraszek – młodzieńczych igraszek.

1927

Przekład z języka górnołużyckiego: Urszula Usakowska-Wolf, 2010

Hańža Budarjowa (1860-1937), aktywistka łużyckiego stowarzyszenia „Handrij Zejler“ w Lohsa (Łaz) i poetka ludowa, autorka 158 opublikowanych wierszy i 13 nieopublikowanych manuskryptów, pisała prawie wyłącznie po łużycku.

Róža Domašcyna, urodzona w roku 1951 w Zerna, mieszka i tworzy w Budziszynie. Foto Jens Domaška.

Zersplittet
den brustkorb an seinem brustkorb halten
mit der rechten hand seine linke herzkammer melken
mit der linken hand seine rechte herzkammer melken
dabei
das eigene vordertürchen verschlüsselt wissen
rücklings eine ferse in die hintertür stellen
und so wie so den hals verstöpselt tragen

Rozfragmentowanie
opierając klatkę piersiową o jego klatkę piersiową
prawą ręką dojąc lewą komorę jego serca
lewą ręką dojąc prawą komorę jego serca
a przy tym
pilnując by własne klapy były dobrze zamknięte
od tyłu wstawiając stopę w kuchenne drzwi
a szyjka i tak zakorkowana

Tłumaczyła Ewa Maria Slaska

A tu jeszcze wiersz Róży po łużycku, pełen gier słownych i gier z różnymi językami. Konia z rzędem temu, kto go przetłumaczy na jakikolwiek język 🙂

Kosycka, Reiherschnabel, Eródium

Rólerkacka: Odin! Mu Bechery heiss.
Reimscheues lobe. Dny corki. Hórka.
Hólce reibe krydu. Kino ma es. Rasch.
Birne, hack Kurioses. A hdy mrócele?
Rohes kusa irr. Cim bóle necke hody.
Hei, bóle minus. Sydk Recher kacora.

Unsterblicher Dichterrebell

https://i0.wp.com/upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/4/4c/Andrzej_Bursa_2.jpg/308px-Andrzej_Bursa_2.jpgUrszula Usakowska-Wolff

ANDRZEJ BURSA

Der polnische Lyriker, Dramatiker und Journalist Andrzej Bursa wurde am 21. März 1932 in Krakau geboren. Er studierte Journalistik und bulgarische Philologie an der Jagiellonen-Universität in Krakau. 1952 heiratete er Ludwika Szemiot, Studentin der Akademie der Schönen Künste in Krakau, kurz danach kam ihr Sohn Michał zur Welt. Vom Dezember 1954 bis zum Sommer 1957 arbeitete er als Reporter der Krakauer Tageszeitung Dziennik Polski. Er starb plötzlich am 15. November 1957 an einer angeborenen Schwäche der Halsschlagader.

Andrzej Bursa, der zur Generation 1956 gezählt wird, also zu den Dichtern und Schriftstellern, die nach dem so genannten Oktober-Tauwetter 1956 in Polen in Erscheinung traten, war wegen seines frühen Todes mit 25 nur drei Jahre schriftstellerisch tätig. Von 1954 – 1957 veröffentlichte er, vor allem in Studentenzeitschriften, 37 Gedichte sowie die Erzählung »Mason«. Er schrieb auch den Roman »Die Tötung der Tante« und das Theaterstück »Karfunkel« sowie die Groteske »Der Drache«.

Andrzej Bursa war ein literarischer Rebell, seine Lyrik ist von Brutalität und Zynismus durchdrungen: Das sind die Spuren, die der Zweite Weltkrieg in der Psyche des Dichters und seiner Generation hinterlassen hat. Seine Gedichte sind naturalistisch und programmatisch antiästhetisch. Doch zugleich sucht er nach festen humanistischen Werten, nach dem Sinn des Lebens und des Leidens von Menschen und Tieren. In seiner Poesie enttarnt er die realsozialistische Wirklichkeit, den Opportunismus der Menschen und die Verlogenheit des Systems. Er lehnt sich gegen die Normen des gesellschaftlichen Lebens, gegen die polnische romantische Tradition, den Märtyrerkult und den vordergründigen Patriotismus, den Machismus und die kleinbürgerlich-katholische Moral und Religion, gegen das Böse auf, das von der Partei oder der Kirche zum Guten erklärt wird. Er ist ein literarischer Einzelgänger, ein wahrer Poète Maudit. Lange Zeit etwas in Vergessenheit geraten, wird er heute als »unsterblicher« Dichterrebell mit einem sanften lyrischen Kern verehrt. In Deutschland ist Andrzej Bursa, abgesehen von einigen wenigen Übersetzungen seiner Gedichte, die in Anthologien polnischer Lyrik erschienen, beinahe unbekannt.

Casanova

Giuseppe Casanova
den du so beneidest
war weder sehr reich
noch sehr stark
und seine Epoche
kannte viele Männer die genauso schön
wie er
oder schöner als er waren
aber er war höflich
……..zärtlich
…..ritterlich
und eroberte immer
obwohl er manchmal einfacher
sein Ziel erreichen könnte
also wenn du willst
erobere
wie er
Frauenherzen
und lass dich von Schwierigkeiten nicht entmutigen
Fang mit der eigenen Frau an

Der Poet

Der Poet leidet für Millionen
von 10 bis 13.20
Um 11.10 drückt ihn die Blase
er tritt aus
macht den Hosenschlitz auf
macht den Hosenschlitz zu
Kommt zurück räuspert sich
und erneut
leidet er für Millionen

Fußtritte

Er kam tatsächlich um etwas zu werden
aber schon in der ersten Tür ein Fußtritt
er lächelte
den Fußtritt fand er ziemlich witzig
versuchte es wieder
ein Fußtritt
beschloss einen Stock höher zu gehen
landete wieder im Erdgeschoss mit einem Fußtritt zu Fall gebracht
duckte sich brav im Flur
ein Fußtritt
ein Fußtritt im Tor
auf der Straße wieder ein Fußtritt

also wünschte er sich wenigstens einen poetischen Tod
warf sich vor ein Auto

dessen Fahrer ihm einen kräftigen Fußtritt verpasste

Sonnabend

Gott was für ein netter Abend
so viel Wodka so viel Bier
und dann ein Tohuwabohu
in den Kulissen dieses Paradieses
zwischen dem plüschigen Vorhang
und der Küche hinterm Gitter
fühle ich wie ich mich
vom Überfluss an Energie befreie
den mir die Jugend bescherte

möglich
dass ich sie anders einsetzen könnte
z.B. 4 Reportagen schreiben
über Entwicklungsperspektiven kleiner Städte
aber
………….leckt mich am Arsch kleine Städte
………….leckt mich am Arsch kleine Städte
………….leckt mich am Arsch kleine Städte!

Morgens im Park

Morgens bei meinen Exerzitien mit Bäumen im Park
treffe ich einen Einzelgänger mit Köfferchen auf einer entlegenen Bank
blicke ins Köfferchen
…………………………..brr
………………..Köfferchen ein zerstückeltes
…………………………..Baby
diskret biege ich in eine Seitenallee
dort geht Einer
ein Bündel ein Bündel schleppt er
klatsch… aus dem Bündel fällt ein abgeschnittenes Frauenbein
jetzt reicht es mir aber
ich flüchte in die entfernteste Ecke
wo der Park in eine stillgelegte Schutthalde übergeht
hier treffe ich einen bekannten Buchhalterversager
leidenschaftlichen Kräutersammler
aber was schreitet denn da neben ihm her?
……………………….Ein Pferd?
……………………….Ein Hund?
etwas Kleineres als ein Pferd
und Erhabeneres als eine Dogge
ach … eine Chimäre
er weidet hier in der Einsamkeit seine Chimäre
armes Alterchen

1957

* * *

Doktor C reicher Wundertäter
und das alles aus eigener Kraft

………………..(schwere Kindheit aus eigener Kraft
………………..Gymnasium……….aus eigener Kraft
………………..Medizin……….aus eigener Kraft
………………..Villa bequemer……….als Himmel
………………..und zwei Autos schöner als..Sterne
………………..auch……….aus eigener Kraft)
sammelt Krüppel
solche Deppen ohne Hände und Füße
er hat davon 22
also zweimal 11
und verkündet
………….hoppla Jungs heute lernen wir Fußball spielen
– wir haben keine Füße – kreischen diese Penner
– ach Blödsinn – runzelt der Doktor seine Stirn
ich ging durchs Leben aus eigener Kraft
aus eigener Kraft kann man Wunder bewirken
und zwinkert dem Pfleger einem ausgedienten Ex-Sergeanten zu

ein halbes Jahr dauerte das Training im Sanatorium hinterm Stacheldraht

ich weiß nicht ob ihnen Füße gewachsen sind
ich weiß nicht wie es geschah
aber ich sah ihr Frühlingsmatch
die Jungs spielten prima Fußball

Aus dem Polnischen von Urszula Usakowska-Wolff
Ursprünglich erschienen im MATRIX – Zeitschrift für Literatur und Kunst Nr. 2/2009 (16). Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Übersetzerin.