Sieglinde Hocheisel
Völlig verschwitzt erreichten wir unser Haus und sehnten uns nach einem Glas Wasser in der kühlen verdunkelten Küche. Doch schon beim Öffnen der Haustür hörte ich wieder das vertraute Gebrumm. Jetzt hatten wir noch nicht mit ihnen gerechnet. „Verdammt, sie sind schon wieder da. Wann kommt wohl die Feuerwehr?“ Entfiel es mir vor Schreck. Jetzt gingen mir die Viecher auf die Nerven.
Sie hatten unser Haus in Besitz genommen und ließen keine Ruhe. Das ging gar nicht.
„Ich setz mich nicht in die Küche. Ich hol mir das Wasser und setz mich draußen hin“,
entschied ich. „Wenn sie nicht bald kommen, brenne ich das Nest aus“, hörte ich Emanuel aus der Küche rufen. Von Entspannt- und Gelassenheit konnte plötzlich keine Rede mehr sein.
Und der Gedanke an die Feuerwehr gewann an Zustimmung. Plötzlich klingelte mein Handy, das auf dem Berg fast nie ein Signal hatte. Wer konnte hier zu uns durchdringen? Vielleicht ein Außerirdischer? Ich schoss zum Telefon und erwischte gerade noch die Stimme eines Feuerwehrmannes, der mir versicherte, dass sie heute noch kommen würden, aber erst sehr spät. So um Mitternacht. „Die werden überhaupt nicht kommen. Und wenn, dann erst morgen“, war Emanuels Kommentar dazu. „Was soll denn das? Glaubst du etwas, die arbeiten hier noch um Mitternacht“, legte er nach. Auch wenn mich diese Skepsis und dieser Pessimismus schon wieder nervten, schien er mir damit nicht ganz falsch zu liegen.
„Weißt du was? Ich mach das alleine.“ „Was machst du alleine?“ fragte ich ein wenig heuchlerisch nach. „Na was wohl. Die Hornissen ausräuchern.“ „Das tust du nicht. Das ist zu gefährlich,“ beschwor ich ihn. Doch wie ich ihn kannte, würde er keine Ruhe geben.
Inzwischen hatte die Mittagshitze mörderische Temperaturen entwickelt, die jeglichen Antrieb zunichte machten.
Ich mied es ins Haus zu gehen und hatte es mir in einem Liegestuhl im Schatten eines Baumes bequem gemacht. Da schaute ich in die weite Landschaft und versuchte von dem Geschehen Abstand zu gewinnen. Die Luft stand still, die Zikaden schrieen und ewiges Hintergrundgeräusch war ein Gebrumm. Wenn ich mich umsah, schossen kreuz und quer die Hornissen ums Haus. Emanuel war verschwunden. Sein Liegestuhl stand verwaist auf der Terrasse. Ich hatte ihn gewarnt und mochte ihm nun nicht hinterherlaufen, mal nachschauen, ob er hartnäckig weiter seinen Plan verfolgt. Eine Weile wartete ich noch, aber dann war ich zu neugierig und ging ihn doch suchen. Zuerst in den Keller, wenn es zutraf, dass er das vorhatte, was er nicht tun sollte. Und wie erwartet, fand ich ihn da, völlig vertieft in das Basteln seiner Waffen und Rüstung zum Angriff auf das Hornissennest. In einen alten Plastikeimer hatte er zwei Löcher geschnitten und diese mit einer durchsichtigen Folie verklebt. Den wollte er sich als Schutz über den Kopf stülpen. Die Angriffswaffe war auch schon fertig. Ein verrosteter Blecheimer mit vertrockneten Sonnenblumenresten, die er anzünden wollte.
„Lass das lieber. Die Feuerwehr kommt bestimmt. Sonst hätten sie nicht angerufen.“ Versuchte ich ihn noch einmal zu überreden, war aber nicht überzeugungsfähig, da auch in mir wieder die Stimme Oberhand gewonnen hatte, dass wir es allein hinkriegen.
So schaute ich zu, wie sich mein Mann seinen Eimer über den Kopf stülpte und zum Kamin schritt, in dessen Schornstein sich das Nest befand.
Der Kamin in einem umbrischen Bauernhaus ist eine dunkle archaische Höhle, in der ein Feuer brannte um das sich die Familie auf Bänken hinein hockte. Im Winter fegte der eisige Wind durch die Räume und nur um das lodernde Feuer war es erträglich.
Aus diesem rußigen Schacht kamen nun die Hornissen geflogen. Weit oben zum Schornstein hin, war ihr Nest. Emanuel mit dem Eimer auf dem Kopf mutete an wie in einem Kindertheater über Kreuzritter. Aber er meinte es ernst. Vorsichtig schaute er durch die beiden Augenlöcher in seiner Schutzrüstung, wie hoch das Nest lag, dann hatte er alle Vorbereitungen abgeschlossen, und marschierte entschlossen zum Stall um seine Waffe zu holen. Der Eimer mit einem dichten Büschel trockener Sonnenblumen stand schon bereit.
„Pass bloß auf“, fiel mir noch ein wenig lieblos als letzter Segen ein, dann nahm er wieder Kurs auf den Kamin mit Eimer und Feuerzeug bewaffnet, hängte den Eimer an eine lange Stange, zündete die trocknen Strünke an und steckte die lodernde Waffe hoch in den Kamin in das Hornissennest. Es zischte und aus dem Schornstein sah ich schwarzen Rauch und Schwärme von Hornissen aufsteigen.
Emanuel stürmte so schnell er nur konnte nach draußen, stand aufatmend und unversehrt wieder vor dem Haus und schleuderte seinen Kreuzrittereimer von sich. Sein unerbittlicher Kampfesausdruck wich großer Erleichterung.
Ab und zu drang uns ein beißend süßlicher Gestank in die Nase, der sich in der Hitze unerträglich ausbreitete. Aus dem Schornstein schossen immer noch vereinzelte Hornissen, die dann verzweifelt in der heißen Luft herumtaumelten.
„Ich habe sie nicht erledigt. Das Nest war viel zu groß, jetzt werden sie uns stechen und uns erledigen, wenn nicht bald die Feuerwehr kommt“, stellte Emanuel erbittert fest.
Vorsichtshalber gingen wir noch ein bisschen weiter, vom Haus entfernt, wo keine Hornissen herumschwirrten. „Die Feuerwehr kommt bestimmt. Ich glaube nicht, dass sie sonst angerufen hätten“, versuchte ich wieder zu beschwichtigen, um die Stimmung aufzubessern, denn mein Vertrauen an das nächtliche Erscheinen der Retter wankte ebenfalls.
Mindestens war unser Aktivismus vollständig zum Stillstand gekommen und damit sogar ein Moment der Ruhe eingekehrt. Grund, um eine zu rauchen, dachte sich Emanuel und zündete sich eine Zigarette an.
Doch diesmal hatten wir die Hornissen unterschätzt, vor denen wir uns in dieser Entfernung vom Haus unbehelligt fühlten. Kaum blitzte das Feuerzeug auf, schossen sie wie aus dem Nichts lautlos auf die Zigarette und das Feuerzeug zu. Das war ihr Killer und den wollten sie in Todesnot wütend angreifen. “ Wirf die Zigarette weg“, schrie ich verzweifelt. Dabei sah ich doch, dass Emanuel sie schon längst austrat. Mir war klar, jetzt wurden sie gefährlich. Mein Blick fiel auf den hingeschmissenen Plastikeimer, dessen Augenlöcher verwaist aufs Haus starrten. Um ihn herum eine kleine summende Wolke.
Auch ihn hatten sie gleich als Angreifer ausgemacht. „ Bald werden sie herausfinden, wer der Hintermann ist und mich angreifen. Komm wir hauen ab“ entschied Emanuel. „Aber vielleicht kommt gleich die Feuerwehr. Wir müssen sie jetzt abwarten und hier bleiben“, entgegnete ich, immer bemüht im guten Einklang mit aller Nachbarschaft zu bleiben. Wenn schon nicht mehr mit den Hornissen, dann wenigsten mit der Feuerwehr.
Sie hatte sich zwar für spät abends angemeldet. Aber genaue Termine waren in Italien nicht an der Tagesordnung. Da war es doch angeraten, am Haus zu bleiben.
Nur nicht so nah.
Plötzlich klingelte wieder das Handy. Ein Wunder bei dem katastrophalen Empfang auf unserem Hügel. Es war Giovanni. „Die Feuerwehr kommt erst spät abends. Sie haben mich angerufen, weil sie euch nicht erreichen konnten. Ich komme dann auch. Passt gut auf. Ciao.“ Ganz offensichtlich ließ man uns nicht allein mit den Hornissen, wie wir beide es im Stillen befürchteten. Das Gegenteil war der Fall. Sogar die Feuerwehr rief ein zweites Mal bei unserem Nachbarn an. „Wie Schutzengel“, kam mir der Gedanke und ich fühlte mich wieder sicher.
Dagegen konnten auch die Gluthitze und das Gebrumme nichts mehr ausrichten.
Gelassen gingen wir in die Küche, wo zu der Tageszeit nur ein paar Außenseiter dieser angeblich so gefährlichen Calabrone im Zickzack herum schossen und holten uns ein bisschen Verpflegung. Dann suchten wir uns ein schattiges Plätzchen und warteten auf den Abend.
Es war schon neun Uhr als es langsam dunkel wurde. Wie in der gestrigen Nacht war unser Haus wieder zu einem elektrischen Umspannwerk geworden, denn nachts kehrten die Hornissen in ihren Bau zurück. Die heiße Nachtluft vibrierte in einem monotonen Gebrumme.
Doch wir hielten uns diesmal in sicherem Abstand zu den vermeintlich so friedlichen Insekten.
Vom Hügel aus konnten wir aus erhobener Position das Anrücken der Feuerwehr schon aus weiter Entfernung frühzeitig erspähen. Denn schon die Vorstellung von der Feuerwehr löste eine ganz eigene Angst wieder aus. Behelmte Männer, die den Kampf gegen das Feuer aufnehmen, kämen auf unser Haus zumarschiert, um diese lächerlich harmlosen Hornissen auszuräuchern. Da war es angeraten, sich innerlich vorzubereiten.
Wir starrten gebannt auf die Straße, aber es tat sich nichts. Weit und breit keine Feuerwehr.
Und inzwischen wurde es dunkel. Es war Neumond, die Sterne funkelten und über den umliegenden Hügeln lag tiefes Schwarz. Ab und zu blitze der Scheinwerfer eines Kleinwagens auf, sonst hörten wir nur das Gebrumme der Hornissen.
„Ich glaube nicht, dass sie noch kommen“, verkündete Emanuel und ich wollte das lieber nicht hören, denn es schürte auch meine Zweifel und ging mir jetzt auf die Nerven. „Wenn sie zwei mal angerufen haben, werden sie wohl kommen“, begann ich wieder zu beschwichtigen. Dabei glaubte ich auch nicht mehr, dass sie mitten in der Nacht kommen würden.
Um mich zu beruhigen lief ich im Dunkeln den Weg auf und ab, doch alles was ich tat, machte mich nur nervöser.
Plötzlich schrie Emanuel: „Sie kommen. Mit Blaulicht. Ja, da kommt Blaulicht auf unser Haus zu.“ Ich wollte es nicht glauben, aber tatsächlich sah ich wie ein bedrohlich blinkendes Blaulicht sich in der Schwärze der Nacht sehr langsam auf unser Haus zu bewegte. „Warum denn dieses Blaulicht. Hier brennt doch nichts.“ Bemerkte ich, und fragte mich dann doch, wenn sie Blaulicht anhaben, ob das für uns sein konnte? Aber das war so gut wie sicher und das machte mir Angst. Ein schlimmes Unglück, eine Katastrophe, wenn sie so kommen.
Mir war so, als würden sie jetzt unser ganzes Haus zu einem Ort des Unglücks machen. Aber das war er doch gar nicht.
Wie eine fremde Macht nähert sich das gespenstische Blaulicht und war plötzlich hinter unserem kleinen Hügel verschwunden. Wieder starrte ich auf unseren Weg, aber kein Blaulicht, Nichts. Völliges Schweigen. Nur das Gebrumme. Ohne das blaue Geblinke war die Nacht wie ausgelöschtes Licht. Ein tiefes verlorenes Schwarz und keine Schutzengel mehr in Sicht.
„Sie kommen! Sie kommen zu Fuß hoch“, schrie plötzlich Emanuel. Und da sah ich sie.
Fünf Männer in weißen Schutzanzügen, die mich an die Bekleidung der Helfer aus Tschernobyl erinnerten, klommen den Weg zu unserem Haus hoch. Sie in diesen Schutzanzügen und wir beide in normaler Kleidung. Als hätten wir die Verseuchung aus dem Atomkraftwerk nicht bemerkt und sind jetzt verloren, kam es mir. Fernsehbilder vom Mond und fremden Unglücksorten tauchten vor mir auf irritierten mich. Wo war ich? Das konnte doch nicht wahr sein.
Aber da tauchte Giovanni auf und stellte uns die fünf Mondmänner vor. „Buona sera“, „Buona sera“, und wir schüttelten uns die Hände, wozu sie ihre riesigen Handschuhe ausnahmsweise auszogen. Sie hatten freundliche Stimmen, so dass sich meine Furcht ein wenig legte.
„Dove sono i calabroni“, hörte ich einen von ihnen, den Giovanni Antonio nannte, zur Sache kommen. Sie waren ja nicht zum Spaß hier, sondern um uns vor der Hornissengefahr zu retten.
Dazu brauchten sie nicht viele Worte. Sie schienen ein eingespieltes Team und machten sich fast schweigsam ans Werk. Ihre Arbeitswerkzeuge, die sie mühsam in der Hitze den Berg hoch geschleppt hatten, kamen sofort zum Einsatz. Schweigsam aber konzentriert und wie in einem Stummfilm. Eh wir uns versahen, hatten sie schon die Leiter an die Hauswand gelehnt und kletterten mit einer riesigen Taschenlampe und einer Sprühdose aufs Dach. Verzweifelt schaute Emanuel nach oben und klagte schon wieder, dass sie seine Dachziegeln kaputt treten würden. Und auch mich durchfuhr wieder ein Schrecken beim Anblick ihres gebieterischen Arbeitseinsatzes. Da hatten wir ruhig zu sein. Soviel war klar.
Diese fünf Männer in ihren weißen Schutzanzügen machten jetzt ihren Job mit unserem Haus.
Ohne wenn und aber. Und in einem Moment schien sogar Emanuel eingeschüchtert.
„Vedi, tutti calabroni qui“ kommentierte Giovanni, als wir über dem Kamin im Lichtkegel der Taschenlampe einen riesigen Schwarm Hornissen aufsteigen sahen. Sie flohen vor dem Gift, das der Feuerwehmann hineingesprüht hatte. Sie taumelten und schossen richtungslos durcheinander. Mir war klar; diesmal wurde ganze Arbeit getan. Ohne Federlesen schmissen die weißen Helfer die riesige Wabe in Fetzen nach draußen und stießen mit einer Schaufel auch die letzten Reste nach unten.
Ich hörte ein seltsames Aufplatschen und nahm einen widerlich süßlichen Gestank wahr. Das waren die Hornisseneier, die nun eine Matsche auf dem Fiesenboden unseres Wohnzimmers bildeten.
„Siamo pronti“, rief dann der Einsatzleiter und alle fünf Männer fanden sich wieder vor unserem Haus zusammen. Sie befreiten sich ein wenig von Maske und Handschuhen, tranken Wasser und atmeten auf. “Mille grazie, mille grazie“ kam es wie ein Chor aus unseren Mündern und wir hätten es gern noch hundertmal gerufen, doch war schnell klar, dass für allzu große Emotionen der Dankbarkeit keine Zeit war. Also mussten wir schnell zum Wesentlichen kommen. „Was kostet es?“ fragte Emanuel und zückte sein Portemonnaie.
„Niente. Siete ospiti“, sagte der Einsatzleiter und wies mit seiner Hand jegliche
Geldangebote von sich. „Steck es ihnen zu. Das ist hier so“, ratschlage ich und war insgeheim sehr froh, dass Emanuel es machen sollte. Der war auch ohne meine Ratschläge geistesgegenwärtig genug und versuchte unauffällig jedem der fünf Männer Geld zuzustecken. Doch niemand nahm sein Geld an. Das war Ehrensache.
Stattdessen gaben sie uns freundlich die Hand, verabschiedeten sich, nahmen ihre Werkzeuge und traten den Rückzug an. Nacheinander stapften sie mit ihren schweren Schuhen den Weg hinunter zu ihrem Auto. Wir schauten ihnen nach bis sie in der Dunkelheit verschwanden.
Auch Giovanni hatte sich ihnen angeschlossen und so standen wir jetzt wieder allein vor unserem Haus. Das Brummen war einer fast beängstigenden Stille gewichen, denn alle Hornissen waren tot. In der Luft lag der süßlich faulige Gestank ihrer zermatschten Eier und des ätzenden Gifts.
„Hast du gehört, was sie gesagt haben, als ich bezahlen wollte? Siete ospiti. Stell dir so etwas mal bei uns in Deutschland vor. Die Feuerwehr würde doch nach einem Einsatz bei Ausländern nicht die Bezahlung zurückweisen und sagen, Sie sind unsere Gäste“, sagte Emanuel berührt. Ja, es schien mir auch so. Wenn ich die Situation nach Deutschland verlagerte, konnte ich mir diese Art von Gastfreundlichkeit nicht vorstellen.
„Das waren echte Schutzengel“, erwiderte ich, während mir weiterhin ein Ekel erregender Gestank in die Nase stieg. Mir graute es, diese Verwüstung näher anzusehen.Überall lagen die Fetzen der Wabe und oben im Zimmer auf dem Boden die zermatschten Eier.
Das mussten wir jetzt erst einmal beseitigen.
Mit Schaufel und Schrubber machten wir uns an die Arbeit und putzen unser Haus bis in die letzte Fuge, bis wir tot müde waren.
Aber die wohl verdienste Nachruhe war noch immer nicht problemlos gesichert.
Während ich mich sofort in unserem Schlafzimmer ins Bett legen wollte, fürchtete Emanuel, dass das Gift gegen die Hornissen nun im ganzen Haus sei und richtete sich ein Nachtlager in unserem VW-Kombi.
Mir schien das Gift nichts anzuhaben, denn ich erwachte am nächsten Morgen frisch und gut gelaunt in meinem Bett. Erst als ich die verlassene Seite neben mir erblickte, fiel mir wieder alles ein. Neugierig sprang ich auf, um mir das Ergebnis der gespenstischen Nacht bei
Tageslicht anzusehen. Alle Türen standen weit offen und die frische Morgenluft hatte die üblen Gerüche vertrieben. Unser Kaminzimmer war blitzblank geputzt. Es gab keine einzige Hornisse mehr. Was würden der Berliner Verfasser der Naturschutzbroschüre zu diesem Schluss sagen? Vermutlich, dass wir das Haus für die Hornissen räumen müssten.
Aber das ließ mich jetzt kalt. Ich wollte Emanuel in seinem Auto einen guten Morgen wünschen und ging nach draußen. Doch wieder einmal traute ich meinen Augen nicht.
Wir hatten Besuch. Vor dem Auto lag ein großer kastanienfarbiger Hund, der bei meinem Erscheinen sofort aufstand und leise winselte. Wo kam er her? Vielleicht einer von Giovannis Jagdhunden, der ihm abgehauen war? „Der war die ganze Nacht bei mir am Auto“, rief mir Emanuel zu, der mein Erstaunen sah. Sein übermüdetes Gesicht ließ darauf deuten, dass er im Auto nicht die beste Nachtruhe hatte. „Ich wurde nachts wach, weil irgendjemand an meinem Autoblech kratzte und immer ums Auto herumlief. Ich wusste nicht, was das sein konnte. Vielleicht auch ein Stachelschwein?“ Vorsichtig schaute er dann aus dem Fenster und erkannte einen großen Hund. Er erschrak, denn ein Hund war noch nie an unserem Haus gewesen. In der Hoffnung, dass er wieder verschwinde, legte er sich wieder aufs Ohr. Doch dann drückte ihn seine Blase und er musste aus dem Auto. Kaum öffnete er die Autotür, war die Hundeschnauze im Spalt. Schnell schlug er die Tür wieder zu und überlegte, wie er das dringende Problem lösen könnte. “Vorsichtig öffnete ich den oberen Spalt des Fensters, doch wieder überkamen mich Zweifel, ob ich auf dem Rücken liegend, durch den schmalen Fensterspalt die Sache bewältigen könnte. Auf diese Weise würde die Hälfte des Inhalts im Auto verbleiben. Verzweifelt öffnete ich schließlich doch die Tür ohne Rücksicht auf die hartnäckig wartende Hundeschnauze und verschaffte mir Erleichterung,“ beschrieb er dann detaillierter sein nächtliches Abenteuer. Als es hell wurde, sah er den Hund neben dem Auto in einem Nest aus trockenen Blättern eingerollt liegen.
Während seiner Erzählung hatte sich der Hund wieder in seine Kuhle gelegt, und wirkte so ruhig, als ob er schon ewig mit uns zusammenlebte.
Überhaupt war dieser Morgen friedlich und paradiesisch schön. Nach überstandener Prüfung belohnte uns die Sonne mit einem Zauberwerk glitzernder Tautropfen und lud dazu ein, auf der Terrasse zu frühstücken. Auch der Hund sollte etwas zu Essen bekommen.
Immer noch lag er vor dem Auto. “Mal sehen, ob er ein Wurstbrot mag“, befand Emanuel, ging zu ihm hin und brachte ihm eine belegte Brotscheibe. Erfahrungsgemäß sind die Hunde aus dieser Gegend keine Feinschmecker. Sie fressen gierig alles, sogar Salat. Wurstbrot müsste doch eine schöne Leckerei für ihn sei. Dachten wir und beobachteten unseren Gast erwartungsvoll. Doch wider Erwarten rührte er die vermeintliche Delikatesse nicht einmal an. Im Gegenteil.
Er schaute uns tief enttäuscht an, drehte sich um, ging einfach weg und ließ uns mit dem Wurstbrot stehen. Traurig hofften wir er würde zurückkommen, doch wir sahen ihn nie wieder.
Am nächsten Tag erzählten wir Giovanni von dem Hund, weil wir davon ausgingen, dass er ihm gehörte. Doch Giovanni kannte ihn nicht und erwiderte selbstverständlich: „Ha fatto la guardia.“