Verlorenes Geheimnis unserer Identität oder wie es begann

Irgendwo in Deutschland (West!) vor fast 40 Jahren. Wie frei wir noch waren, wie unabhängig 🙂

Maria Hel

Das Abenteuer, ein Inserat aufgeben zu Wollen

Hannover, Anzeigerhochhaus, Mittwoch, den 29. Oktober 1980, nachmittags – eine große Halle mit mehreren Schaltern, über denen die Art der Dienstleistung geschrieben steht, die gegen Bezahlung in Anspruch genommen werden kann. Ich gehe an den Schalter Anzeigenannahme, denn ich will ein Stellengesuch aufgeben. Weil ich vorhabe, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen – besser gesagt, ich will Geld verdienen. Zur Zeit arbeite ich zwar auch – als Hausfrau – diese Tätigkeit wird aber, seit sie erfunden wurde, nicht entlohnt, bestimmt nicht mit Bargeld, im besten Falle mit Anerkennung und Zuwendung der Familienangehörigen.

Am Schalter stehen zwei Datensichtgeräte – für jede Angestellte ein Bildschirm – auf dem infolge Hineintippens von Zeichen dieselben auf diesem Bildschirm erscheinen. Ich lege ein weißes Blatt vor die Frau hin, darauf habe ich den Text meiner Anzeige geschrieben – mit Schreibmaschine – vier Zeilen – die Zeilen genau nach den Vorbild der Zeitung – die ersten beiden Wörter betont, die anderen Zeilen um drei Buchstaben eingerückt, also eine voll gebrauchsfertige Anzeige:

xxxxxxxxxxxxxxxxxxFrühere Verwaltungsangestellte, 49 Jahre,
xxxxxxxxxxxxxxz. Zt. Hausfrau, su. halbt. Erwerbstätig-
xxxxxxxxxxxxxxxxkeit außer Haus. Schreibmaschine perfekt,
xxxxxxxxxxxxxxxxStenokenntniese vorh. Chiffre . . . . . . .

Die Frau liest die Zeilen. Sie sagt: “Weshalb schreiben Sie ‘Erwerbtätigkeit außer Haus’ und nicht einfach Halbtagstätigkeit?” Ich sage, daß es für mich einen Unterschied darstellt, ob ich nun eine Tätigkeit ausübe oder ob ich erwerbstätig bin. Denn ich übe jetzt auch eine Tätigkeit aus, diese ist aber keine Erwerbstätigkeit. Außerdem soll sie “außer Haus” stattfinden, denn zur Zeit bin ich im Hause tätig und ich will das ändern. Ich nehme aber an, daß mich diese Frau nicht verstanden hat, weil sie meine Problem nicht kennt. Ich bitte die Frau um einen Kostenvoranschlag dieser formulierte Anzeige. Bevor ich diese aufgebe, will ich wiseen, was ich dafür hinlegen muß. Die Frau fängt also an, den Text in den Bildschirm zu tippen, um dieses zu errechnen. Nun verlangte sie von mir, daß ich ihr meinen Nemen sage. Ich weigere mich, dies zu tun: “Wie komme ich denn dazu” und überhaupt, ich will die Anzeige ja noch gar nicht aufgeben, sondern erst mal erfahren, wieviel sie kostet. Die Frau holt ihre Kollegin und fragt, was sie tun soll, eine dritte Kollegin kommt hinzu. Ich merke, die drei haben ihre Schwierigkeit mit mir. Ich merke auch noch, daß ich etwas gegen diese Automaten habe, die mich “schlucken” wollen und ich wehre mich. Die Frauen können nicht begreifen, daß da jetzt ein Mensch ist, der sich nicht den Maschinen anpassen will. Ich kann nicht begreifen, warum die Frauen nicht verstehen wollen, daß eine Maschine für die Menschen da sein soll, also den Menschen angepaßt und nicht umgekehrt. Die Frauen werden patzig und aggreseiv mir gegenüber. Eine der Frauen gibt nun der anderen den Rat, sie solle einfach ihren eigenen Namen in das Gerāt tippen, damit der Endpreis errechnet werden kann. Ich weiß, daß ich übertrieben reagiere. In mir ist eine ungewisse Angst davor, daß meine Daten für andere zugänglich werden und diese dann Macht über mich bekommen. Das alles spielt während dieses Vorgangs eine Rolle. Nun, da ich den Preis habe, er ist hoch, über DM 40,-, will ich die Anzeige nicht mehr aufgeben, ich bin aber immer noch empört über dieses Verhalten der Frauen. Ich sage ihnen, daß ich sie unfreundlich empfunden habe. Die Frauen wissen sich nicht mehr zu helfen und holen einen älteren Herrn, der nebenan hinter einem Schalter steht. Dieser ruft dann heraus, daß ich recht hätte und sie hätten ihre Ruhe. Ich habe ihm dann noch was von “Monopol” vor die Fuße geworfen und bin frustriert gegangen. Und das alles, weil ich meinen Namen nicht preisgeben wollte, nur weil ich einen Kostenvoranschlag haben wollte. Warum hat mich das so viele Nerven gekostet? Weil ich mich nicht einer Norm angepaßt habe – ich habe ihre Erwartungen nicht erfüllt und wurde deshalb bestraft.

3. November 1980