Chris Niedenthal

Urszula Usakowska-Wolff


Reblog: Der Beruf des Fotografen ist gewissermaßen meine Mission

Die Personale „Chris Niedenthal“ im Warschauer Haus der Begegnungen mit der Geschichte zeigt 200 seiner Fotografien aus fünf Jahrzehnten.

Chris Niedenthal hat mehrere hunderttausend Fotos gemacht, doch eine seiner berühmtesten Aufnahmen „verdankt“ er dem Kriegsrecht, das am 13. Dezember 1981 in Polen verhängt wurde. Am Tag darauf fuhr der Fotoreporter mit einem Bekannten durch die fast menschenleeren und vom Militär patrouillierten Straßen Warschaus. Neben dem Kino Moskwa, auf dessen Fassade ein Banner mit der Reklame des Antikriegsfilms Apocalypse Now in der Regie von Francis Ford Coppola hing, stand ein Scott Panzer, aus dem Soldaten ausstiegen. Diese Fotografie von Niedenthal ist das wohl am meisten zitierte Bilddokument der damaligen Zeit, ihre düstere und zugleich tragikomische Metapher, über die der Autor schrieb:

„Für mich symbolisiert dieses eine Bild das ganze Kriegsrecht. Aber damals hatte ich keine Ahnung, dass ich etwas so Wichtiges mache: Eine Ikone für die Polen.“

Continue reading “Chris Niedenthal”

Frauenblick auf Fotografien

Monika Wrzosek-Müller

William Eggleston, Anastasia Samoylova, Karolina Wojtas

Am Samstag, dem 18. Februar 2023 hat es so stark geregnet, dass jegliche Beschäftigung im Freien unmöglich war. Also suchte ich nach einer geeigneten Alternative – und fand eine interessant klingende Ausstellung im C/O Berlin. Ehrlich gesagt hatte ich gar nicht damit gerechnet, auf eine so fantastische Sammlung fotografischer Arbeiten zu stoßen. Präsentiert werden drei Fotografen aus unterschiedlichen Ländern, unterschiedlichen Alters und aus verschiedenen Zeiten: William Eggleston „Mystery oft the Ordinary“, Anastasia Samoylova „Floridas“ und Karolina Wojtas „C/O Berlin Talent Award 2022“.

Continue reading “Frauenblick auf Fotografien”

Zaczął się chiński Rok Królika, czyli Kota

Wojtek Korsak

podsunął nam trochę koloru niebieskiego i KOTA. Wszystkiego najlepszego!

“Niebieskie miasto” Chefchaouen – położone w górach Rifu i, ponieważ właśnie kilka dni temu zaczął się chiński Rok Królika, czyli Kota, masa najlepszych niebieskich życzeń dla wszystkich kotów, arabskich, japońskich, chińskich i niechińskich.

Stadt Land Fluss

Masha Pryven

Liebe alle,

ich lade euch zu unserer Fotoausstellung Stadt Land Fluss.

Das gemeinsame Thema der Ausstellung ist das Land, das Territorium und der Raum, wo sich das Politische, Soziale und Private abspielt. In meiner Arbeit Sehe Was Ich Sehe zeige ich die Fotos der Ukrainer:innen, die mir ihre Handybilder seit dem Anfang des Krieges anfingen zu schicken und die ich bis heute sammle. Ich behandele diese Fotos als ein zeitgenössisches Fotoarchiv und als eine Form der Kriegsfotografie ohne Objektivierung und Fremdbestimmung. Einerseits begleitete mich die Frage: Wer darf den Krieg zeigen? Andererseits – die Erkenntnis: der Blick der Menschen, die diesen Krieg erleben, ist radikal. Man muss sehen, was sie sehen.

Ukraine, Mai, 2022 / (c) Sergij Grychenyuk_Masha Pryven

I am kindly inviting you to our exhibition Stadt Land Fluss (old children’s game: Categories). The theme of land and territory is what the four photo series have in common. 

In my work See What I See  I am showing photos of Ukrainians who at the beginning of the war started sending me their photos taken with phones and which I later started collecting. I am treating these photos as a contemporary photo archive and as a form of war photography without objectification.

Eröffnung: 27. Oktober, ab 17 Uhr
Wo: GlogauAir Gallery,  Glogauer Str. 16, Kreuzberg

Herzlich, Masha

***

Hier noch persönlicher Text von Masha Pryven zur Ausstellung Stadt Land Fluss

SEHE WAS ICH SEHE

Am 24. Februar 2022 wurde die Ukraine erneut angegriffen. Sofort bildeten wir ein sporadisches, diffuses, globales Netzwerk aus Ukrainer:innen, um humanitäre und militärische Hilfe zu leisten. Im Zuge dessen fingen die Menschen auf der Flucht an, mir ihre Handybilder zu schicken, die ich mit der Zeit begann, gezielt zu sammeln.

Ich behandele diese Fotos als ein zeitgenössisches Fotoarchiv und als eine Form der Kriegsfotografie ohne Objektivierung und Fremdbestimmung. Einerseits begleitete mich die Frage: Wer darf den Krieg zeigen? Andererseits — die Erkenntnis: der Blick der Menschen, die diesen Krieg erleben, ist radikal. Man muss sehen, was sie sehen.

Die Telegram-Nachrichten, die diese Fotos begleiten, sind die schriftlichen Zeugenberichte dieses Krieges.
***
Fotobücher machen
Sonja Deppisch im Gespräch mit den Fotografinnen Karin Kutter und Masha Pryven sowie der Verlegerin Regelindis Westphal.
Bei Kaffee und Kuchen

Ausnahmezustand

Ab dem 10. September präsentiert das Berliner ZAK /Zentrum für Aktuelle Kunst / in der Zitadelle Spandau die Gruppenausstellung 
„Ausnahmezustand. Polnische Fotokunst heute“, 
die bisher größte Schau polnischer Fotografie in Deutschland.

Ausnahmezustand. Polnische Fotokunst heute
mit Werken von Filip Berendt, Kuba Dąbrowski, Karolina Gembara, Weronika Gęsicka, Aneta Grzeszykowska, Magda Hueckel, Pawel Jaszczuk, Irena Kalicka, Anna Kieblesz, Zuza Krajewska, Adam Lach & Dyba Lach, Diana Lelonek, Michał Łuczak, Rafał Milach, Igor Omulecki, Anna Orłowska, Witek Orski, Zosia Promińska, Agnieszka Rayss, Łukasz Rusznica, Michał Siarek, Michał Szlaga, Dominik Tarabanski, Łukasz Wierzbowski, Karolina Wojtas und Piotr Zbierski
Eröffnung: Freitag, 9. September 2022, 19Uhr
Laufzeit: 10. September 2022 – 1. Januar 2023
Ort: ZAK – Zentrum für Aktuelle Kunst, in der Zitadelle Spandau
Am Juliusturm 64, 13599 Berlin | Fr. – Mi., 10 – 17Uhr, Do., 13 – 20Uhr


Pressetext:

Die Gruppenausstellung „Ausnahmezustand. Polnische Fotokunst heute“ und gewährt einen faszinierenden Einblick in die zeitgenössische Fotografie Polens.
Vorgestellt werden 26 Stellvertreterinnen der jüngeren und der mittleren Generation polnischer Fotografinnen und Fotokünstlerinnen, von denen viele bisher kaum oder gar nicht in Deutschland bekannt sind. Zu Unrecht, wie die Besucherinnen feststellen werden. Neben vielen Formen einer ästhetisch und formal frischen Dokumentarfotografie reicht das Spektrum des Gezeigten von der Porträt- und Selbstporträtfotografie über Stillleben und Landschaftsfotografie bis hin zu freien künstlerischen Ansätzen in der Abstraktion. Präsentiert werden die Werke als klassische Tafelbilder, in Projektionen sowie in objekthaften Installationen.

Unter anderem werden Rafal Milachs Fotografien von den Protesten gegen die Ende 2020 verabschiedete Abtreibungsgesetzgebung zu sehen sein, die es Polinnen praktisch unmöglich macht, einen Schwangerschaftsabbruch im eigenen Land vornehmen zu lassen (Strajk), sowie Aneta Grzeszykowskas Annäherung an ihren eigenen Körper, indem sie Teile von ihm aus Schweinehaut nachbildet (Selfie).
Von der interdisziplinär arbeitenden Diana Lelonek wird es Bilder aus ihrem jüngst erschienenen Buch Wasteplants Atlas geben, in der sie pflanzliche Lebensformen auf illegal entsorgtem Wohlstandsmüll untersucht und kategorisiert. Und Pawel Jaszczuk widmet sich in seiner Serie ¥€$U$ der Kommerzialisierung der Muttergottes und Jesus in seinem katholischen Heimatland.

Ein Leseraum mit zahlreichen Fotobüchern und Katalogen von Ausstellungsteilnehmern und -teilnehmerinnen als auch zahlreicher nicht direkt an der Ausstellung Beteiligter wird geneigten Besucherinnen die Möglichkeit geben, noch tiefer in die polnische Fotoszene einzutauchen, die sich anschickt, auch international stärker Fuß zu fassen. Wie wichtig dieses nach Außen gerichtete Engagement für polnische Fotografinnen ist, wird in den parallel zur Ausstellung angebotenen Vorträgen und Podiumsgesprächen deutlich werden, in denen es u.a. um die schlechter werdenden Arbeits- und Ausstellungsbedingungen für Kreative in Polen geht. Die unter der aktuellen nationalkonservativen Regierung, oftmals im Zusammenspiel mit Teilen des katholischen Klerus, eingeleiteten Maßnahmen zur Schwächung rechtsstaatlicher Strukturen sowie geschürte Ressentiments gegen Minderheiten wie nichteuropäische Flüchtlinge und LGBT+-Mitbürgerinnen, ebenso wie der wachsende Nationalismus sind Themen, die viele Fotografinnen natürlich in ihren Arbeiten aufnehmen. Dies jedoch birgt inzwischen tatsächlich das Risiko, von Stipendien und anderen staatlichen Unterstützungen sowie von Ausstellungsmöglichkeiten in einer Vielzahl von staatlich subventionierten Museen und Institutionen ausgeschlossen zu werden.

Die nun geplante Ausstellung, die die bisher größte Schau polnischer Fotografie in Deutschland sein wird, soll einen Beitrag zur Vertiefung der deutsch-polnischen Nachbarschaftsverhältnisse darstellen.
Ein Interesse an dem östlichen Nachbarn Deutschlands und seiner Kultur ist hierzulande in den vergangenen Jahren größer geworden. Hier möchte die Ausstellung einen verbindenden Beitrag leisten.

Masha & Ewa Maria

Foto Masha Pryven

In Combray wurde jeden Tag bereits am späten Nachmittag, lange bevor jener Augenblick kam, in dem ich würde zu Bett gehen und fern von meiner Mutter und meiner Großmutter daliegen müssen, ohne zu schlafen, mein Schlafzimmer von neuem zum schmerzlichen Angelpunkt meiner bangen Erwartungen.

(…)

Wenn ich hinaufging, um mich schlafen zu legen, so war mein einziger Trost, dass Maman, wenn ich im Bett läge, kommen würde, um mir einen Gutenachtkuss zu bringen. Doch dieses Gutenachtsagen währte so kurz, sie ging schon so bald wieder hinunter, dass der Augenblick, in dem ich hörte, wie sie heraufkam, dann, wie das leichte Rauschen ihres Gartenkleides aus blauem Musselin, an dem kleine Quasten aus geflochtenem Stroh baumelten, den Flur mit der Doppeltür entlangwanderte, für mich ein schmerzvoller Augenblick war. Er kündigte jenen an, der ihm folgen musste, jenen, in dem sie mich verlassen haben, in dem sie wieder hinuntergegangen sein würde. Das ging so weit, dass ich schließlich wünschte, dieses von mir allzu geliebte Gutenachtsagen möge so spät wie möglich stattfinden, damit sich die Gnadenfrist, in der Maman noch nicht erschienen war, verlängern würde. Manchmal, wenn sie, nachdem sie mich geküsst hatte, die Tür öffnete, um davonzugehen, wollte ich sie zurückrufen, sie bitten: »Gib mir noch einen Gutenachtkuss«, aber ich wusste, dass sie sogleich ihr verstimmtes Gesicht aufsetzen würde, denn das Zugeständnis, das sie meinem Kummer und meiner Erregung machte, indem sie heraufkam, mich in den Arm zu nehmen, mir diesen Friedenskuss zu bringen, ärgerte meinen Vater, der dieses Ritual lächerlich fand, und eher hätte sie getrachtet, mir diese Gewohnheit auszutreiben, als mich diejenige annehmen zu lassen, sie um einen weiteren Kuss anzubetteln, während sie schon auf der Türschwelle stand.
Doch sie verstimmt zu sehen machte all die Besänftigung wieder zunichte, die sie mir gerade gebracht hatte, als sie ihr liebevolles Antlitz über mein Bett beugte und es mir darreichte wie die Hostie nach dem Friedensgruß bei der Kommunion, während meine Lippen aus ihrer leiblichen Anwesenheit die Kraft zum Einschlafen schöpften.

Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Band 1, Auf dem Weg zu Swann, Teil 1, Combray
Übersetzung von Bernd-Jürgen Fischer

Schody / Stairs/ Treppen

Tanja & Joasia

Piranesi, Escher, Squid Games and Indian architects


Tanja & Joasia fotos from

BUNDI 

RANI KI JI BAORI & DABHAI KUND

in the Indian state of Rajasthan.

It was built in 1699 by Rani Nathavati Ji (Solanki) who was the younger queen of the ruling Rao Raja Anirudh Singh of Bundi. It is a 46 meter deep stepped well with some superb carvings on its pillars and a high arched gate. It is a multistoreyed structure with places of worship on each floor. The step well has a narrow entrance marked by four pillars. Stone elephant statues that face each other stand in the corners. Ogee brackets decorate all the archways of 46 m deep Raniji ki Baori, which is reputedly the largest Baori of Bundi. Baoris were significant social constructions in the medieval Bundi since they acted as assembly areas for the townsfolk. Raniji ki Baori has superb carvings on its pillars and a high arched gate.

It was constructed during the reign of his son Maharao Raja Budh Singh who ruled Bundi from 1695 AD to 1729 AD. (Wikipedia)

Der Weg nach Combray

Liebe Freundinnen und Freunde!

Ich will euch herzlich zur Präsentation meines ersten Fotobuches einladen. Es heißt „Der Weg nach Combray”. Prousts Roman Auf die Suche nach der verlorenenen Zeit hat mich vor zwei Jahren zutiefst beeindruckt und bewegt, selber auf die Suche zu gehen.
Am Abend gibt es unter anderem ein Gespräch zwischen mir und der Fotografin Angela Giebner. Die Bilder aus dem Band sind auch in der Ausstellung zu sehen. Das Buch kann man im Shop meines Verlages bestellen oder am Abend direkt kaufen. Würde mich auf die Unterstützung meiner Arbeit freuen.

Ohne weiteres: Ich lade euch alle herzlich zu dem Abend ein und würde mich freuen, euch zu sehen. Ich bin froh, dass ich in diesen sehr dunklen Zeiten für die Ukraine und für mich an einem Tag mit euch zusammen feiern darf. 

WO: SPACE B23, Greifswalder Straße 23

WANN: 29. April, 18 Uhr

***

Ewa Maria Slaska

Masha, Proust und ich

Er hat uns zusammengebracht, der Marcel Proust. Wir haben uns genau vor einem Jahr getroffen, an dem Osternsamstag 2021. Sie hatte Fotos für eine Ausstellung gebracht, ich sollte ein Text dazu schreiben. Habe ich, ja.

Am 19. Mai 2021 stellte Masha ihre Foto-Collagen im Fenster des Antiquariats Mutabor in der Immanuelkirchstraße in Berlin; mein Text hat sie mittels eines Kinderstempelsets per Hand gedruckt und im Türfenster plaziert.

Fünftes Band von Marcel Proust Zyklus Auf der Suche nach der verlorenen ZeitDie Gefangene, auf Ukrainisch; Masha aber las Proust auf Russisch

Dafür, dass ich es für sie geschrieben habe, dürfte ich ihre Proust-Fotos auf meinem Blog präsentieren. Hier.

Ihre Proust Fotos. Ja, der Name hat uns verbunden. Die Fotos. Der Proust. Wir sprachen erst eine Stunde miteinander, als wir an Proust kamen. Sie kommt aus Ukraina, und ich wußte schon, dass es dort noch nicht alle sieben Bände übersetzt wurden und dass es für die Menschen dort ein jedes neue Band ein großes Fest ist. Sie warten darauf, vielleicht Jahre, bis sie endlich wissen, was mit Albertine passiert ist oder wo Gilberta nach der Hochzeit wohnte. Bis heute, wenn wir über Proust miteinander sprechen, bittet sie darum, dass ich ihr dies und das von Proust nicht verrate. Als ob es der neuste Matthias Nawrat wäre und nicht ein Dichter, der vor 100 Jahren gestorben ist. Geboren am 10. Juli 1871 in Auteuil bei Paris, gestorben am 18. November 1922 in Paris.

Vor zwei Jahren ist Masha nach Frankreich gefahren, auf den Spuren der verlorenen Person – Marcel Proust. In der Einladung zur morgigen Abend schrieb sie, dass sie vor zwei Jahren auf der Suche gefahren ist …geografisch nach Normandie, wo die manche Szenen aus dem Buch sich abspielen, und innerlich an die Orte der Kindheit, der Jugend und damit verbundenem Gefühl des Erwachens und Spüren der Freiheit. Ich als Erwachsene tauchte in die Welt der Fantasien ein, die dann meine eigenen Erinnerungen hervorbrachte.

Ein Jahr später schauten wir uns beide ihre Fotos von dieser Reise an. Schwarz-weiße Fotos, analog aufgenommen. Selten erinnerten sie an Proust selber. Wenn ja, da sagte sie mir, dass es der Bahnhof in Combray ist.
– Combray?, fragte ich. Du meinst Illiers, so heißt doch die Stadt wirklich?
– Nein, sie hat sich den Namen geändert, die Stadt, sie heißt jetzt Illiers-Combray.
Ich schaue sie an und will es nicht glauben, als ob London jetzt nach Terry Pratchett in Ankh Morpork umgenannt wurde. Es ist aber schon lange Geschichte. Die heutige zusammengesetzte Namensgebung der Stadt, schreibt Wikipedia, wurde 1971 beschlossen und als Dekret im Journal Officiel veröffentlicht. Anlass war der 100. Geburtstag von Marcel Proust. Illiers-Combray, fügt Wikipedia dazu ein, ist die einzige französische Kommune, die einen aus einem literarischen Werk hervorgegangenen Namen trägt.

In Polen gibt es auch so ein Konstrukt, ein Dorf und Gemeinde Lipce Reymontowskie. Der Roman Chłopi (Bauern) in den Jahren 1904-1909 von polnischen Nobelpreisträger, Władysław Reymont geschrieben, spielt im Dorf Lipce. Der heutige Name (mit dem Zusatz Reymontowskie dh. von Reymont ) ist seit dem 1. April 1983 in Kraft.

– Das ist der Armsessel im Haus von Tante Leonie, sagt Masha.
Ich schaue mir das Foto an und weiß, dass ich mich verliebt habe. Dieser verschwommener Sessel, von dem doch niemand weiß, ob er tatsächlich aus dem Hausinventar der Tante Leonie stammt und sogar wenn ja, ob Proust auf ihm / in ihm je Mal gesessen hat, ist ausgesprochen ein Proustsches Objekt.
Ich muss ihn haben!
– Und die Tasse?, fragt Masha. Provokativ.

Ja, natürlich die Tasse, aus der Proust von der Tante ein Schluckchen Lindentee mit einem Biss ‘Madeleine’ bekommen hatte, als er morgens zu ihr ging, um sie zu begrüßen. Die ganze Konstruktion dieses gewältigen Romans, eines der wichtigsten in der Literaturgeschichte, wurde auf dem Fundament von diesem ausgeweichten Biss eines Küchlein errichtet, eines jener, schrieb Proust, dicken ovalen Sandtörtchen, die man ‘Madeleine’ nennt und die aussehen, als habe man als Form dafür die gefächerte Schale einer St.-Jakobs-Muschel benutzt.

Eine ‘Madeleine’ wurde tatsächlich seit eh so gemacht, als ob man sie immer noch für die Pilgern auf dem Weg nach Santiago di Compostella in den Saint-Jakob-Muscheln gebacken hätte. Illiers lag auf dem Weg und seit Jahrhunderten spezialisierte sich in Herstellung dieser Küchlein. Und die Muschel war ein Symbol dieser Pilgerfahrt.

Ja, Masha hatte recht, für eine wahnsinnige Leserin von Proust, wie ich es bin, genauso wie Masha, sollte vielleicht diese Tasse wichtiger sein als alle andere Fotos, die sie gemacht hatte. Kann sein. Nun ja, ich habe mich in den Sessel verliebt.

Aber diese Proust Fotos im Zyklus sind nicht nur die, die sie in Illiers gemacht hate. Dies wäre zu einfach, zu plump, zu unbeholfen. Dafür ist Masha selber zu sehr Künstlerin, um sich mit solchen Platitüden zu begnügen. Was sie in der Normandie und Bretagne suchte, war nicht (oder nicht nur) der Proust selber, sonder der Proustsche Effekt, dieser Moment, der auch Ort sein kann, in dem einem plötzlich seine eigene Gefühle klar werden.
Das Buch war fertig eine Woche, bevor der Krieg in meiner Heimat Ukraine ausgebrochen ist,
schrieb sie in der Einladung. Und plötzlich war es klar. Für mich hat dieses Buch diese, noch weitere Bedeutung: Es geht um die verlorene „alte” Welt, in der es für mich noch möglich war, mich mit dem Thema der Suche nach der Vergangenheit, mit Leichtigkeit und Unbekümmertheit, zu beschäftigen.

Jetzt sind diese Leichtigkeit und Unbekümmertheit nicht mehr möglich. Jetzt ist der Krieg da. Die russischen Panzertanks hätten sowohl den Dichter, als auch seine Mutter und seine Tante, hätten sie noch gelebt, zerfahren. So wie sie so viele Ukrainer, unter ihnen auch Künstler, ermordet haben. Der litauische Regisseur Mantas Kvedaravicius wurde in Mariupol getötet, der Film- und Synchronsprecher und Fernsehmoderator Pasha Lee in Irpien. Der Cellist der polnisch-ukrainischen Band Taraka, Dmitrij, wurde bei den Kämpfen ebenfalls getötet.

Wer noch? Wer ist gestorben im Angriff auf den Bahnhof von Kramatorsk? Während der Belagerung und Luftangriffe von Mariupol? Bei der Bombardierung in Tschernihiw, Massaker von Butscha, Schlacht um Charkiw und Kiiw?

Wer noch?