Wer will, kann noch Einiges aus dem Programm miterleben…
Julia Kissina
Eine Rede zum URBAN DICTIONARY BERLIN_NEW YORK LITERATUR FESTIVAL 2018
Worüber sprechen wir, wenn wir über Literatur sprechen? Sprechen wir über Unterhaltung? Ist Literatur ein Rohstoff für Massenkultur oder eine Grauzone zwischen Philosophie, Politik und Emotionen?
Spielt die Literatur noch eine Rolle bei der Meinungsbildung?
Was ist für uns wichtiger: Politik oder Poesie?
Welche Art von Lesen wird uns von den Verlagen und der Presse aufgezwungen?
Wessen Urteil über Bücher kann man vertrauen?
Es gibt eine neue Ethik. Es gibt neue Spielregeln: politische Korrektheit, Diversity, Gleichheit der Geschlechter und so weiter. Kann politische Korrektheit die Literatur töten?
Was ist der literarische Underground heute?
Was ist eine unabhängige Presse?
Ob die “Creative Writing” die Seele frisst? Weder Cervantes noch Dostojewski noch Rimbaud haben jemals solche Creative Writing Kurse besucht.
Im Laufe unseres Lebens haben sich die Grenzen unserer Wahrnehmung verändert. Jetzt reden wir über den Mangel an Aufmerksamkeit, den Mangel von Zeit, wir reden über Blogs. Wird der “große Text” in der Ära der Blogs überleben?
Wozu braucht man Verlage im Internetzeitalter?
Brauchen wir veröffentlicht sein? Homer veröffentlichte keine Bücher.
Das Konzept des kulturellen Gedächtnisses hat sich verändert. Wo ist die Grenze zwischen Literatur und Journalismus? Gibt es wirklich einen Unterschied zwischen Fiktion und Dokument?
Wie wird Literatur zur Ware? Zur Zeit des Aristoteles gab es nur drei Hauptgenres der Literatur; Komödie, Tragödie und Drama. Heute habe ich in der deutschen Wikipedia 226 aufgezählt, darunter solche mysteriöse, wie Elf-Punk, Eco-Horror und andere – das ist pure Marktwirtschaft.
Was wollen wir lesen?
Warum New York und Berlin?
Man sagt, dass die Amerikaner nichts über uns wissen. Stimmt das?
Was wissen wir über New York? Ich glaube: gar nichts.
Diese und viele andere Themen werden wir im Rahmen von Urban Dictionary diskutieren.
Die Landkarte der Kultur und die Landkarte der Literatur haben sich verändert. Es wurde offensichtlich, dass es keine einzelne, allgemien-gültige Karte der Literatur gibt, da es keine universelle Geschichte und kein gemeinsames Gedächtnis gibt. Heute reden wir nicht über Literatur, sondern über Literaturen. Jedes Land hat seine eigene Vorstellung von Sprache, Wort und Mythos. Wir sprechen nicht über die Literatur der Nationen, wir sprechen über Literatur in tongues, im weitesten Sinne sprechen wir über Grammatik. Jedes Land hat seine eigenen hundert Romane, die jeder in dem jeweiligen Land lesen muss. Die hundert Romane eines Landes sind radikal anders als die hundert eines anderen.
So unterscheiden sie sich ebenfalls in zwei Epizentren der Kultur: Nordamerika und Europa, Berlin und New York.
Um sich zu definieren, um unseren Platz zu finden, um zu verstehen, was wir lesen, müssen wir eine neue Literatur-Karte zeichnen.
Mit dem Berlin New York Festival schaffen wir den Rahmen, die Bedingungen, eine Plattform, einen Arbeitstisch, um diese neue Karte zu zeichnen.
Nicht nur die Lesungen unserer Autoren, sondern auch Seminare zu folgenden Themen finden statt:
Metaphysik versus Politik ist eine Spannungszone zwischen Poesie und Prosa, zwischen Poesie und der Verteidigung nationaler und sozialer Interessen.
Die unabhängigen Verlage werden uns von ihren Überlebensstrategien erzählen.
Darüber hinaus werden wir diskutieren, was gewöhnlich und bequem ist, und über das Vertaute und das Fremde sprechen, und jedem, der das Wort “Exotic” verwendet, die Zunge abschneiden.