Brandenburg-Ticket

Nachdem wir ein Sommer lang mit dem 9-Euro-Ticket gafahren sind, beginnen wir alte Reisemöglichkeiten wieder zu entdecken. Brandenburg-Ticket für 33 Euro, 5 Personen und einen Tag gilt als schöne Neuigkeit.

Monika Wrzosek-Müller

Bericht über einen Ausflug nach Stettin

Sie wurde am 6. 10. um 6.30 Uhr von einem schrillen Ton geweckt; erst einmal wusste sie nicht, was los war: warum, wieso, um diese Uhrzeit, noch im Dunkeln, völlig in der Nacht. Allmählich klärte sich alles im Kopf, ja das war ihr neues Handy und es klingelte zum ersten Mal, kein Wunder, dass sie den Klingelton nicht kannte. Dann sprang sie schnell aus dem Bett, der Ausflug nach Stettin stand an. Jetzt musste sie sich leise anziehen, Zähne putzen und zur S-Bahn laufen. Es war ihr gar nicht klar, dass es um diese Uhrzeit noch so dunkel ist. Die S-Bahn war voll und allmählich wurde es heller. Auf dem Bahnsteig trafen sich alle Ausflugsteilnehmer, das Brandenburg-Ticket sollte sie auch bis nach Stettin bringen, sie traten als Gruppe auf.

Die Fahrt ging abenteuerlich weiter, man wurde gezwungen, auf verschiedene Verkehrsmittel auszuweichen, obwohl man eigentlich die Bahn benutzte; zwischen Angermünde und Passow gab es Schienenersatzverkehr, es wurde ein alter, ratternder Bus gestellt (alle Zugreisenden sollten in diesem einen Bus Platz finden), zum Glück waren schon in der Regionalbahn wenig Menschen und alle sprachen Polnisch. Wir fuhren mit dem Bus durch ausgedehnte Felder, auf denen noch schwarz verbrannte Sonnenblumen standen. Die Bahnstationen existierten so gut wie gar nicht mehr, sie waren im letzten Stadium des Verfalls, die Fenster verrammelt, keine Information, nichts.

Dafür begrüßte sie Stettin mit einem neuen, völlig unscheinbaren Bahnhof. Früher waren die Bahnhöfe Repräsentationsbauten, jetzt verschwanden sie zwischen den anderen Gebäuden. Doch es war gemütlich, sich in ein schickes, neues Bahnhofscafé zu setzten, zwar mit einer Dekoration für die im letzten Jahr ausgefallene Silvesterfeier, doch mit bequemen Sesseln und guter Bedienung. Nach längeren Querelen wegen des Bezahlens konnten alle das Café verlassen und wir fuhren Richtung Stettiner Westend. Zwei Brüder der Familie Quistorp, Johannes und Heinrich, haben damit den nachfolgenden Generationen gezeigt, wie man leben kann; mit prächtigsten Villen und einer Pflegeeinrichtung Bethanien. Johannes realisierte dies in Stettin, Heinrich in Berlin. Wir besichtigten eine wirklich fantastisch restaurierte, opulente, dekadente und manieristische Villa der Familie Lentz. Später wollten wir noch nachschauen, ob aus dem Anlass des 200. Geburtstags das Grab von Johannes Quistorp wieder hergerichtet worden war; leider standen wir vor einem völlig zerstörten, inexistenten Friedhof.

Sie musste immer wieder an die Polen denken, die nach dem Krieg aus den östlichen Gebieten hierherkamen, sie sah vor sich diese alten, damals zerstörten Reichtümer, die Prachtbauten, die ihnen völlig fremd waren, den Backstein, die riesigen Kirchen, das Schloss. Wie ging es ihnen, was fühlten sie, konnten sie darin leben? natürlich fragte sie damals keiner danach.

Die Quistorpsche Auenanlage mit alten Platanen auf beiden Seiten und riesigen Rasenflächen weckte ihre tiefe Bewunderung; am Ende standen die alten Amtsgebäude (der Stadtverwaltung), die etwas überdimensioniert waren, aber gut und sehr aufwendig restauriert. Im Eilgang ging es dann zu den Hakenterrassen am Oderufer, vorbei an dem Nationalmuseum und einer Marinehochschule, dem alten Rathaus, einem schönen Marktplatz mit einigen gut restaurierten Bürgerhäusern, dem Renaissanceschloss der Pommerschen Herzöge, der riesigen Jakobskathedrale zurück zu dem sehr bescheidenen Bahnhof, der aber mit allem lebenswichtigen Komfort (einem WC mit Meeresrauschen) ausgestattet war.

Die Rückreise verlief wiederum abenteuerlich, mit zwei Mal umsteigen (doch diesmal schon in gewohnter Manier) und einer Busfahrt nach Berlin. Wir sind wieder im Dunkeln angekommen, pünktlich, glücklich und zufrieden; das Wetter hat mitgespielt.


Und zum Abschluß:

Foto: Monika