Nicola Caroli (und Ewa Maria Slaska)
By heart – ein Poesieprojekt
Von August bis Dezember 2014 führten die Poesievermittlerin Nicola Caroli und die Künstlerin Karen Brosi den Workshop by heart mit SchülerInnen im Alter von 9 bis 12 Jahren aus 4 Schulklassen durch.
by heart ist ein Gedicht- und Objektbauworkshop basierend auf einem Gedichtaustausch zwischen SchülerInnen und SeniorInnen im Wedding. SchülerInnen von 4 Schulklassen lernen die Lieblingsgedichte von 4 SeniorInnen kennen und führen Interviews mit den SeniorInnen zu ihrem Gedicht durch. Mit der Poesievermittlerin Nicola Caroli schreiben sie ein Antwortgedicht. Die Gedichte werden aufgenommen und in einer Herzbox, die die SchülerInnen mit der bildenden Künstlerin Karen Brosi bauen, installiert. Die Herzboxen werden in öffentlichen und privaten Räumen und im Rahmen einer Herzdemo mit allen TeilnehmerInnen präsentiert.
Das Ziel des Projektes ist ein Austausch zwischen Generationen, bei dem die Wirkung von einem Gedicht, das man auswendig kennt, oder buchstäblich “im Herzen hat”, im Leben eines Menschen für die SchülerInnen erfahrbar wird.
Ich, Ewa Maria Slaska, war eine der oben genannten Seniorinnen. Als mich Nicola Mal gefragt hat, ob ich mitmachen werde, antwortete ich mit JA. Daraufhin musste ich mein Lieblingsgedicht vorschlagen. Ohne viel nachzudenken nannte ich zwei Gedichte. Erst als ich sie schon genannt habe, sah ich, dass ich generell auf Polen und in letzten Zeiten dazu noch auf Famieliensachen fixiert bin. Beide von mir ausgewählte Gedichte wurden im Deutsch geschrieben, in beiden geht es um meine Heimat – Polen, beide wurden aus dem Deutschen ins Polnische von meiner Mama, Irena Kuran Bogucka, übersetzt, beide habe ich dann in der 2. Nummer der zweisprachigen Literaturanthologie WIR (1995) veröffentlicht. In Deutschland waren sie bekannt, oder mindestens – wenn man wollte, könnte man sie im deutschen Sprachraum finden. Für den polnischsprachigen Raum war es in beiden Fällen die Erstpublikation.
Kaddish von Mascha Kaléko (1942)
Rot schreit der Mohn auf Polens grünen Feldern,
In Polens schwarzen Wäldern lauert der Tod.
Verwest die gelben Garben.
Die sie gesät, sie starben.
Die bleichen Mütter darben.
Die Kinder weinen: Brot.
Vom Nest verscheucht, die kleinen Vögel schweigen.
Die Bäume klagen mit erhobnen Zweigen,
Und wenn sie flüsternd sich zur Weichsel neigen,
Gen Osten wehend ihren trüben Psalm
In bärtiger Juden betender Gebärde.
Dann bebt die weite, blutgetränkte Erde,
Und Steine weinen.
Wer wird in diesem Jahr den Schofar blasen
Den Stummen Betern unterm Rasen,
Den Hunderttausend, die kein Grabstein nennt.
Und die nur Gott allein beim Namen kennt.
Saß er doch wahrlich strenge zu Gericht,
Sie alle aus dem Lebensbuch zu streichen.
Herr, möge der Bäume Beten Dich erreichen.
Wir zünden heute unser letztes Licht.
Das zweite Gedicht war von Martin Pohl
Der Flug der Graugänse
Wohin, ihr Graugänse, geht euer Flug?
Wer hat euch die Winde empfohlen?
Wir folgen des Heiligen Martins Spur;
Seitdem Vater Karel nach Rom hinausfuhr,
Zieht es die Graugans nach Polen.
Was wißt ihr Graugänse von einem Land
lm Fron von den Herren bestohlen?
Ein Lied hat Sankt Martin nach Polen gebracht
Von grünenden Fluren in herbstlicher Nacht,
Vom niemals verlorenen Polen.
Wartet, ihr Graugänse, wir kommen mit
Auf leisen und flutfesten Sohlen.
So spannt euren Schimmel an, folgt unserm Schrei,
Und laßt unsre Schwestern, die Weißgänse, frei
Im Morgenwind rot über Polen.
1980 / 88
Nicola wählte das Gedicht von Mascha Kaléko aus. Ich war unsicher, ob es klappen wird, da es doch eine Werkstatt mit Kindern sein sollte. Ich dachte, das Thema vom Kaddisch sei zu ernst für die Kindern, zu traumatisch. Ich hätte viel lieber das Gedicht von Martin Pohl genommen.
Die Schülerinnen haben das Gedicht gelesen und darüber diskutiert, ob sie selber oder in der Familie solchen schwieriegen Problemem begegnet sind. Sie sprachen über den 2. Weltkrieg und Adolf Hitler, über den Balkankrieg und über den Bau der Berliner Mauer.
Erst dann wurde ich in die Schule eingeladen. In einem Interview sollte ich von mir erzählen und erklären, weshalb das Gedicht von Mascha Kaléko mein Lieblingsgedicht ist.
Es war Dezember 2014. Im Januar 2015 folgte eine Einladung:
Präsentation von by heart findet am Donnerstag, 22. Januar 2015, 11.25 Uhr in der Carl-Kraemer-Grundschule.
Im Namen der SchülerInnen der Klassen 5a hat Daniel den Brief unterschrieben.
Ich kam, ich sah und ich hörte. Die SchülerInnen trugen ihre Gedichte vor und präsentierten ihre selbstgebauten Audioobjekte und Zeichnungen aus dem Kunstunterricht.
Erst bei dieser Präsentation habe ich Gelegenheit gehabt, zu hören, was die SchülerInnen selber zu diesem schwierigen Thema geschrieben haben. Trotz meiner ursprünglichen Unsicherheit musste ich feststellen, dass die Sache unglaublich gut geworden ist, um nicht zu sagen – phänomenal! Ich war beeindruckt und begeistert.
Petrija
In Serbien und Kroatien war vier Jahre Krieg.
Serben wollten mit den Kroaten zusammen sein,
in einem Land.
Die Kroaten wollten das nicht.
Der serbische Präsident entschied,
dass die Serben Krieg machen sollten.
Den Apfelbaum meiner Mutter
hat mein Opa ihr geschenkt.
Meine Mutter hat den Apfelbaum wachsen lassen.
Als der Krieg begann,
wurde der Apfelbaum von Raketen beschossen
und ist verbrannt.
Ich bete dafür,
dass der Apfelbaum meiner Mutter wieder wächst.
Sie haben die Berliner Mauer nachts gebaut.
Sie wurde aus Steinen gebaut.
Es gab zwei Seiten: Ost Berlin und West Berlin.
An der Mauer in Ost Berlin standen viele Soldaten,
so dass die Menschen nicht fliehen konnten.
Die West Berliner wurden gut behandelt.
In West Berlin gab es viel zu essen
und schöne Sachen zum anziehen.
In Ost Berlin haben sie die Menschen schlecht behandelt.
Die West Berliner wollten, dass die Ost Berliner
auch ein gutes Leben haben.
In Ost Berlin gab es wenig zu trinken.
Wenn es regnet, gibt es mehr Wasser.
Das Wasser geht in der Erde
von Ost Berlin oder von West Berlin
in die andere Seite.
Das Wasser macht die Mauer nass.
Wenn es regnet,
regnet es auf beiden Seiten.
Mehmet
Die Städte waren unter Feuer, gelb wie die Sonne.
Das Feuer ist sehr heiß und bewegt sich hin und her.
Und es wird mehr.
Die Menschen hauten ab von den Städten
und die Schuldigen halfen und die,
die den Armen kein Brot oder Essen gaben
verbrannten.
Das Opfer Fest wird helfen,
damit arme Menschen etwas zu essen bekommen.
Mehr ist hier zu finden.
Poesivermittlerin: Nicola Caroli
Projekt-Koordinatorin: Catherine Launay
Bildende Künstlerin (und Autorin der Photos in diesem Beitrag): Karen Brosi