Roger Loewig

loewkubcoverVor langem Zeit gaben wir im WIR e.V. mit Lidia Głuchowska zusammen zwei ihre Bücher über Stanisław Kubicki aus, den deutsch-polnischen Maler und Dichter, von dem hier, in diesem Blog, schon zig Mal die Rede war. Das dritte ihre Buch fasste die Schaffung erweiterte das Thema; es hieß: “Roger Loewig und Stanisław Kubicki. Zwei Maler-Dichter in der Verteidigung der Inseln der Menschlichkeit “

Damals arbeiteten wir eng mit der Roger Loewig Gesellschaft zusammen und mit ihrer Mitarbeiterin – Felice Fey. Irgendwann danach gab Felice selber ein Buch über Roger Loewig heraus. Heute hat sie uns / mir ein Fragment dieser Biographie zur Verfügung gestellt.

liebendeRoger Loewig: Eine Biographie, von Felice Fey
Berlin: Lukas Verlag, 2011

Auszug aus dem Kapitel „Späte Ernte“, S. 216-217

Die Reisen brachten eine gewisse Verschiebung der Bildinhalte mit sich. Noch immer schuf er Landschaften des Untergangs. Noch immer war die deutsche Teilung das Motiv, um das sein Schaffen kreiste. Aber er löste sich langsam von Fixierungen. Die Entwicklung hin zu einer subtileren Formulierung im Bild wird deutlich in einem Text, den er im Katalog der Regensburger Ausstellung zur abgebildeten Kugelschreiber-Zeichnung „Landschaft mit zwei untergehenden Sonnen“ aus dem Jahr 1976 veröffentlichte:

Die Weite eines Feldes, eines Ackers, die Tiefe eines Weges, einer ins Endlose entschwindenden einsamen Straße – ob damals zu Hause, ob in Nordböhmen,  in Masuren oder woanders – haben mich immer fasziniert und gelockt und in sich hineingesogen. […] An ihren Rändern, durch ihre Mitte, über die ganze Breite des Himmels, Zweigestirne bildend, klafft oft ein Graben, ein Riß, trennt sie eine gebrochene Naht, eine lange Wunde, eine schlecht verwachsene Narbe: Gleichnisse für böse Grenzmarkierungen. Die Absperrungen, die schrecklichen Palisaden, den unbewohnten, unbegehbaren Streifen Niemandsland, die träumte ich in meine Felder nicht hinein. Das ist deutliche, unverwischbare Wirklichkeit. Und wo finden sie sich nicht? Sie sind eingraviert in alle Himmelsrichtungen, sie zerschneiden Länder und Völker, Ströme, Straßen, Städte und uns selbst. Und sie lassen schließlich – zu dauerhaft und bis heut noch unverrottbar – manches und manchen, die, von ihnen verwundet, sich ihnen nicht mehr entziehen konnten, ausbluten.

flugfeldzeichenNicht nur in der Kunst, sondern auch im Leben blickten Roger Loewig und mit ihm seine Gefährtin Creszentia Troike bereits aus einer weiten Distanz zurück. Wesentliche Auseinandersetzungen lagen hinter ihnen. Beide hatten sie, er als Künstler, sie als unermüdliche Vertreterin seiner Kunst und seiner Geschichte, gemeinsam ein abenteuerliches Leben geführt: in der DDR die Verhaftung und die ersten professionellen Jahre mit ihren Schwierigkeiten und Lichtblicken, Verhinderungen, Förderungen und Freundschaften, später die Erfahrungen der Übersiedlung mit nachfolgendem Einreiseverbot. Sie lebten an der Peripherie West-Berlins und hatten ihre Rolle als Vermittler zwischen Ost und West angenommen. Besonders die mehr nach außen gewandte Creszentia Troike war unermüdlich damit beschäftigt, den Bundesbürgern ihre Erfahrungswelt und Perspektive zu vermitteln. Sie wollte die DDR erklären, lebte in Gesprächen und Briefen. 1978 ergab sich eine noch bessere Gelegenheit, die historische Erfahrung ihrer mit Roger Loewig geteilten Lebensgeschichte mitzuteilen. Hans Harmsen, der langjährige Wegbegleiter, hatte sie an die Akademie Sankelmark empfohlen, bei deren Leiter Dietmar Albrecht sie Verständnis fand. So erschien 1978 in der Schriftenreihe der Akademie das Bändchen „Licht und Schatten. Erfahrungen eines Künstlers in Ost und West, herausgegeben von einem Freund.“ Der Freund war Creszentia Troike. Sie hatte biographische Dokumente – Akten, Briefe, Rezensionen – gesammelt und kommentiert: Nicht ohne Polarisierung, nicht ohne Bitternis. Die Erfahrung der Zeitgenossenschaft verwandelte sich langsam in eine Geschichte, die den Zugang zu seinem Werk und seiner Person ermöglichte – oder auch verschloss.

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Auszug aus dem Kapitel: „Abgrenzungen“, S. 264-266

Er wollte anerkannt werden, in seiner Arbeit wie auch in seiner Ethik. Zusammen mit Creszentia Troike sehnte er sich nach Ehrung – leidenschaftlich, unerfüllt, unverstanden, oft mit Zorn. Er litt unter seiner Isolation. Nichtsdestoweniger leistete er sich eine Haltung, die dazu führen musste. 1995 schrieb er noch einmal an die Freie Akademie der Künste Mannheim. Diesmal war er, in Vorbereitung einer Anthologie, um Auskünfte zum Thema „Kunst und Künstler in unserer Zeit“ gebeten worden:

In der Gegend, aus der ich herkomme – das war die Deutsche Demokratische Republik – wurde die Kunst zur Farce. Der Staat, die Partei – besser Genossen und Funktionäre – droschen pausenlos die haarsträubendsten Phrasen über Kunst und Kultur, daß einem speiübel wurde; und sie reglementierten. Die braven Künstler gestalteten fromm was sie hörten, wohl kaum was sie sahen, und sie lebten wie die Maden im Speck. Zuletzt, nach der Wende natürlich, avancierten sie zu wahren Helden, zu Partisanen, zu Vorturnern. Die Nicht-braven, es gab nicht viele, zogen Straßen in die Versunkenheit, oft sehr schlimme.
Ich bin inzwischen 65 Jahre alt geworden, ich habe dieses Leben rückhaltlos und ohne je einer Partei, einer Ideologie, einem Marschblock, einer Gruppe zu folgen, meiner Schreib-, Zeichen- und Malarbeit geopfert, die ich für sehr notwendig halte und die ich nach eigenen Maßstäben ausrichte. Dabei geriet ich mit Staat und Parteien und anderen in Konflikte, in gefährliche wie ungefährliche, und auf schwierigen Weg.
Ich hasse die unendlichen Redereien über Kunst, das langweilige, unerfreuliche, für mich völlig uninteressante Theoretisieren. Da muss ich absagen, das kann ich nicht.

sinkender1996 geschah es, dass er sogar eine Auszeichnung, die er spontan angenommen hatte, nach einiger Überlegung doch wieder ablehnte. Auf Vorschlag des bekannten Polnisch-Übersetzers Henryk Bereska, der selbst aus Oberschlesien stammte, war ihm ein „Schlesier-Preis“ zuerkannt worden. Am Telefon überrascht, hatte er zugestimmt; dann siegten die Bedenken:

Ich bin für Preise wenig geeignet, doch völlig ungeeignet für einen „Schlesierpreis“, denn ich stamme aus Schlesien und alle meine Vorfahren; wie ließen alles in Schlesien, tiefe Verwurzlungen, Bindungen, Häuser und Güter. Dann habe ich Sehnsucht und Liebe nicht auf die hier noch (wie ich) herumstrudelnden Schlesier übertragen, sondern auf polnische Menschen, die mir längt unentbehrliche Freunde wurden; bei ihnen weiß ich „mein Schlesiertum“ gut aufgehoben.

ohne_fluegelNein, er war nicht verankert: nicht im Kulturbetrieb der Bundesrepublik, nicht beteiligt an politisch motivierten Gruppierungen. Unter dem Diktat des Sozialistischen Realismus war er ein Anhänger der verpönten Moderne gewesen. In der liberalen Umgebung des Westens bestand er auf den Qualitäten der Aussage und der Darstellung in der Kunst und nahm damit Positionen ein, die der konservativen Kulturkritik entsprachen. Unter Kommunisten war er Sozialist gewesen – „im Sinne des Prager Frühlings“. Unter den Sozialisten des Westens war  er dennoch nicht heimisch geworden. Er hätte, was seine Haltung zur Diktatur der DDR betraf, als ein verspäteter „Kalter Krieger“ gelten können. Aber das traf es nicht. Er war im Vergangenen verwurzelt, dem alten Preußen verbunden. Das Ressentiment der Landsmannschaften lehnte er dagegen ab. Im Gegensatz zu vielen Westdeutschen kannte er das Leben im östlichen Europa sehr gut.
kahlgefegteIn den nun etwa zwanzig Jahren nach seiner Übersiedlung von Ost nach West hatte er sich verändert. Neue Themen und Formen der Arbeit hatten sich entwickelt, und er hatte neben der Geschichte auch wiederum, wie bereits in seinen Anfängen, auch die Natur in den Blick genommen. Im Grunde aber blieb er, als Zeitgenosse wie auch als Künstler, der Haltung treu, die er in seinen Anfängen eingenommen hatte, in den 60er Jahren – gefördert von Marga Böhmer, anerkannt von den wenigen, die sich verdeckt und unter Schwierigkeiten für die Moderne in der DDR einsetzten, gefeiert in Warschau als ein Deutscher, der in seiner Arbeit für seine Nation, für das Grauen der Vergangenheit einstand. Diese Erfahrungen waren es, auf die er unter wechselnden Zeitumständen immer wieder zurückkam. Seine Treue war unverbrüchlich, oft auch mit einer Anstrengung des Willens verbunden.