Johanna, Melina und das Patent

Liebe Ewa,

so eine schöne Nachricht können wir heute verkünden! Es ist soweit! 

Ein unfassbares Hurra. Unsere Serie in 8 Teilen ist fertig! DAS PATENT! 

Zweieinhalb Jahre haben wir das Erfinden erforscht und entdeckt. Wir haben Jahrhunderte durchreist und über Innovation nach Innovation gestaunt. Wir haben Laboratorien durchforstet und das Gehirn untersucht. Auf Entdeckungsreise zu den Erfindungen dieser Welt waren wir. Immer auf der Suche: wie geht es, dieses ominöse Erfinden?

AB DEM 10.10. IM RADIO UND ONLINE! 

Weihnachtsgeschichte

Johanna & Melina

Die Drei Damen

Am Stadtrand, in einem schönen Stadthaus schlafen, streiten, schnabulieren, sprich residieren: Drei Damen.

Ruth-Rita-Reiner-Rosalinde Rosa lebt in einem pinkfarbenen Traum mit Himmelbett und Holunder Sekt. Im Mondschein und im Sonnenlicht flaniert sie durch ihre sieben Salons.
In ihrer Freizeit befasst sie sich mit Poesie, Rodin und Rachmaninoff.

Gisela Gelb hat ihre Gemächer zu Küche, Küche, Küche und Vorratsschrank umorganisiert. In Öfen, Pfannen und auf Bunsenbrennern backt, brät und brutzelt sie unaufhörlich Weihnachtsgebäck. Sogar im Mai. Die Plätzchen stapelt sie in Scheiten, Schränken, Schubladen. Und sogar in Briefumschlägen.

Bella Blau bewohnt den Bauwagen und bestellt den Garten. Sie summt das hohe C und pfeift das tiefe G. Ihre Latzhose liebt sie so sehr, dass sie sie jeden Tag anzieht – 365 Mal im Jahr. Blaubeeren, Blaukraut alles blüht. Bloß das Ziehen der blauen Zucchini zieht sich hin. Vielleicht mit Pflaumen kreuzen?

So leben sie friedlich, Woche um Woche:
Montags erzählen sie sich Märchen, dienstags denken sie zusammen nach, mittwochs malen sie, donnerstags drehen sie Däumchen, freitags spielen sie Frisbee, samstags schießen sie scharf am Schießstand und am Sonntag liegen sie in der Sonne.

Nur an manchen Tagen kommt es anders:
Wenn Bella Blau den Wochentag verwechselt, und vergisst, dass sie am Freitag Frisbee spielen und gedankenverloren stundenlang am Schießstand träumt bis es schließlich zum draußen spielen zu dunkel ist…
Dann bekommt Ruth-Rita-Reiner-Rosalinde Rosa, einen Jähzornsanfall: sie strampelt, schreit und zerschmettert Porzellan, Plasmabildschirm und sogar Pfirsiche.
Um den Frieden wiederherzustellen kommt Gisela Gelb angeschlittert und stopft der weinenden Bella und der wütenden Ruth-Rita-Reiner-Rosalinde Rosa, Spinnenbeine, Speck und Spiegelei in den Mund. Tja, das sind sie halt – die Zutaten ihrer Lieblingsplätzchen. Und sogar Spülmittel.

An einem Donnerstag; sie drehten gerade Däumchen – wie immer donnerstags – schwebte sanft ein silberner Luftballon direkt in den Garten.
Und in jedem Kopf (*pling!*) ging etwas anderes vor:
Ruth-Rita-Reiner-Rosalinde Rosa, sprühte ihn in Gedanken rosa, und stellte ihn auf einen Sockel.
Gisela Gelb zog in Betracht ihn zu destillieren, ins feinste zu zerkochen und zu den Makronen hinzuzufügen.
Bella Blau dachte vor sich hin: Vielleicht mit schwarzer Johannisbeere kreuzen?

Unnötig gedacht.
Unnötig gesprüht.
Unnötig in Betracht gezogen.

An dem Ballon hing eine Botschaft:

Von ganz weit oben wird bestimmt
Dass eine Eisdiele gewinnt
Wer weit und breit das schönste Fest
Zum Weihnachtstag erstrahlen lässt.

Es schien als interessiere sich keine unserer Damen für einen Wettkampf.
Ruth-Rita-Reiner-Rosalinde Rosa, schlenderte in ihre Salons
Gisela Gelb ging ganz gerade in ihre Küche-Küche.
Bella Blau balancierte pfeifend in ihren Garten.

Und kaum wähnten sie sich ungesehen –
Wurden:
Listen erstellt,
Recherchen betrieben,
Lexika gewälzt,
Bilder interpretiert,
Schränke durchwühlt – Ecken und Schubladen
Gedichte erörtert
Erinnerungen hervorgeholt
Träume analysiert
Das Innerste wurde nach außen gekehrt um raus zu finden:
Was ist das allerbeste am Weihnachtsfeste?

Am Ende war es jeder klar:

Ruth-Rita-Reiner-Rosalinde Rosa raste zum Kudamm ins KDW und kaufte alles leer:
22 neon-pink-farbene glitzernde Weihnachtsbäume
7777 funkelnde Weihnachtskugeln,
111 Beutel lila Lametta,
44 glänzende Glasuräpfel
66 Flaschen von dem stärksten, schönsten besten Champagner,
und Kaviar.
Für Gisela ließ sie Ohrringe aus Saphir und Rubin anfertigen: für links ein Nudelhölzchen und für rechts einen winzigen Schneebesen.
Und für Bella entwarf sie bei ihrer Lieblings-Schneiderin ein haute-couture-Kleid mit blauen Zucchini drauf.

Gisela Gelb spurtete in ihre Küche-Küche und übte:
sie wog Knödel ab,
rührte den Rotkohl schaumig,
knetete Gänsebraten,
stach Kartoffelsalat aus
und verzierte Würstchen.
Für ihre Freundinnen buk sie zwei Lebkuchen Herzen:
Auf das eine malte sie:
Ruth Weißglut
Rita Pita
Reiner Mülleimer
Rosalinde Brotrinde
Und auf das andere:
Bella Mozarella

Bella Blau beeilte sich: zog Bienenwachskerzen und übte Weihnachtslieder. Für Ruth-Rita-Reiner-Rosalinde Rosa dichtete sie eine Ballade über Bella Bartók und für Gisela probte sie „backe, backe Kuchen“ auf ihrer Balalaika.

So bereiteten sie sich vor: heimlich, unauffällig und diskret.

Doch Tonnen von Weihnachtstand lassen sich nicht unbemerkt ins Haus transportieren, Gänsebratenduft ist intensiv und dringt durch alle Ritzen, und Weihnachtslieder können nun mal nicht geflüstert werden…

Das unvermeidliche geschah. Es wurde belauscht, beschattet und spioniert.
Ohren wurden gespitzt,
Observationen angestellt
und sogar elektronische Überwachung installiert.

Bald war es jeder klar, dass die anderen auch die Eisdiele gewinnen wollten.

Die drei Damen dachten nach und kamen zu dem gleichen Schluss:
Keine wollte es der anderen gönnen!
Ein furchtbarer Unfrieden legte sich über das Stadthaus.
Böse Worte fielen, Flüche und Verwünschungen
Es folgten Ohrfeigen, Backpfeifen und Kopfnüsse.

Nach einer Stunde waren die drei Damen nur noch ein raufendes Knäuel, aus dem Schreie und Schlachtrufe drangen, und das sich durch den Flur in den Garten wälzte.
Bis in den Teich hinein…
Klatschnass, zerfetzt und ramponiert gingen sie auseinander.
Nun erst recht angestachelt stürzte sich jede der Damen in den Wettkampf.
Und in jedem Kopf (*peng!*) ging das gleiche vor:
Erster!
Sieger!
Ich!

Und dann war er da, der große Tag!

Ruth-Rita-Reiner-Rosalinde Rosa saß stolz wie ein Pfau in ihrem Festsaal, der ausstaffiert war, wie für die Hochzeit einer orientalischen Prinzessin mit einem amerikanischen Filmstar.
Alles um sie herum funkelte und Ruth-Rita-Reiner-Rosalinde Rosa dachte: „Nur schade eigentlich, dass Gisela und Bella nur noch Luft für mich sind.“
Bei Gisela Gelb lief alles wie sie es sich besser nicht hätte wünschen können: die Plätzchen lagen, ordentlich hergerichtet, auf bunten Tellern. Und alle 33 Gänge mussten nur noch serviert werden.

Die Küche-Küche duftete und Gisela Gelb dachte: „Jammerschade eigentlich, dass ich Ruth-Rita-Reiner-Rosalinde und Bella nicht einmal ein winziges Krümelchen, von meinen Köstlichkeiten abgeben würde.“

Bella Blau stimmte die Balalaika, summte und besah überglücklich die duftenden Kerzen, die nur noch darauf warteten angezündet zu werden. Und Bella dachte: „Ach, schade, dass ich mir lieber den Mund mit Seife ausspülen würde als diesen blöden debilen Dumpfbacken meine Lieder vorzuspielen!“
Und so saßen sie… und saßen… und saßen…
Die eine aß das Lametta vor lauter Langeweile.
Die andere goss die Bratensauce zu einem See, staute ihn mit den Knödeln und spielte mit den Plätzchen Flitzesteine.
Und die dritte baute sich Freunde aus Tränen und Spucke-Bläschen.
So verging Stund´ um Stund´… Der Gedanke an die Eisdiele rückte in die Ferne und verblasste …

Und wenn nicht irgendjemand Silvester mit Weihnachten verwechselt hätte, wären die drei Damen wohl nie in den Garten gerannt, hätten nie gemeinsamen das herrliche Feuerwerk am Himmel bewundert und wären nicht, um sich aufzuwärmen im Bauwagen gelandet.

Da saßen sie nun, im goldenen Schein, eng aneinander gekuschelt, schmausend und schmatzend, kichernd und prustend, trinkend und glucksend:
Ruth-Rita-Reiner-Rosalinde Rosa hatte noch rasch einen Weihnachtsbaum in den Bauwagen gezerrt.
Gisela Gelb hatte geschwind drei der Gerichte serviert.
Und Bella Blau hatte eben noch alle Kerzen entzündet.
Ach, was waren sie froh!

Und dann wurde beschert. Jubelrufe, Freudenschreie, Jauchzer und Lachsalven klangen aus dem Bauwagen.
Dieses Glück wollten sie teilen.
Sie trippelten kichernd in die Küche-Küche, packten und schnürten und schickten die leckersten Fresspakete an die, die es nicht so gut hatten wie sie.
Danach überkam sie Ausflugs Laune und sie trampelten im Marschschritt in den Festsaal.
Dort entdeckten sie, dass Champagnerflaschen sich hervorragend zum Jonglieren eignen, Bowling mit Weihnachtskugeln am besten geht und dass es enorm spaßig ist, sich Glasuräpfel vom Kopf zu schießen…

… und im Morgengrauen, Lebkuchenherzen mit Kaviar knabbernd, schliefen sie müde aber glücklich ein.

Als sie am nächsten Morgen aufwachten, stand, als wäre es nie anders gewesen, eine Eisdiele im Garten.
Die Tür war rosa, die Fensterrahmen gelb und das Dach blau.
Und im nächsten Frühjahr, pünktlich mit dem ersten Schneeglöckchen, eröffneten die drei Damen die Eisdiele.

Montags und dienstags gab es quietsch-pinkene Eis-Kreationen mit Schlagsahne, Liebesperlen und Holundersauce.
Mittwochs und donnerstags gab es Eis mit Zimtstern-, Speck- und Spiegelei-Geschmack.
Freitags und samstags gab es Blaubeereis, das merkwürdigerweise nach blauer Zucchini schmeckte.
Und sonntags tanzten die drei Damen Bauchtanz…

Ich bin zufrieden. Dank allen für alles.

Im Sommer 2012 starb Ursula Passier, geboren 1909. Sie hinterließ in ihrer Wohnung, in der sie 56 Jahre gelebt hat, unzählige Zettel und Notizen aus den letzten Jahren. In ihnen hält sie die Zeit fest, kommuniziert mit verstorbenen Liebenden und schwingt den Stift wehrhaft gegen Störer wie Nachbarn, Pflegepersonal und Anrufer. Sie berichtet von Einsamkeit, Schlaflosigkeit, Langeweile und das nahende Ende des Lebens. Dazu streift sie immer wieder in die Vergangenheit, ihren zweijährigen Aufenthalt in Afrika in den frühen dreißiger Jahren und in ihre Kindheit. Aus den letzten Gedanken ihrer Großmutter hat Melina von Gagern einen fragilen, ernsthaften und intimen Text gestaltet, von dem ich jetzt ein Paar Fragmente veröfentlichen dürfte.

NachtgedankenMelina von Gagern lebt als freie Schauspielerin in Berlin.

Melina von Gagern

Stellt den Sarg hochkant und tanzt! Tag- und Nachtgedanken einer Hundertjährigen

Schlafunterbrechung – wie jede Nacht! Mit Getränk und Schnittchen. Die S-Bahn rattert und erinnert mich daran, dass ich in Berlin bin.
Am: wieder einmal 11.00
Ich finde keinen Schlaf!! Nun sitze ich an der Bettkante mit einem guten Kaffee. Wieder wie so oft und immer wieder wandern die Gedanken rückwärts. Während meines Lebens fand ich an meinem Leben nichts Ungewöhnliches. Aber wenn ich es rückblickend bedenke, war vieles doch ungewöhnlich. Es war nicht absichtlich ungewöhnlich. Es ergab sich ohne Anstrengung und Absicht. Sozusagen ( wenn man müde ist und nicht schlafen kann) es lebte mich. Ich habe ein gutes Leben gehabt und habe mit Allen und allem einen heiteren Frieden geschlossen. Unebenes konnte ich Glätten. Selbst Enttäuschungen kann ich Heute einen Sinn geben. Wenn ich dieses Buch nicht hätte würde ich nichts aufschreiben. Und oder aber meine weitaus Erstbeste ist Armgard, unabhängig was ich für sie bin. Und weitaus Zweitbeste habe ich sehr, sehr viele. Und Zweitbester zu sein – ist doch auch viel!

Datum—- schreibe ich morgen
Manchmal erlebe ich Dinge, die bemerkenswert und zum aufschreiben geeignet sind. Es war schönes Wetter und ich frühstückte bei Henning draußen. Da tritt ein älterer Herr an meinen Tisch ( ich schätze 50 – 60 jährig) und sagt: „ Es ist mir peinlich, Sie mit „Tante Ursel“ anzureden, aber ich weiß nicht, wie sie heißen. Ich wohne hier ganz nah. Eines Tages sehe ich sie hier frühstücken. Ich erzählte das meiner Frau und die sagte: „ Sprich Sie an.“ Und dann berichtete er mir, er sei bei mir in der Assmanshauser im Kindergarten gewesen. „ Und ich war ganz aus dem Häuschen, als ich sie frühstücken sah. Ich habe vieles vergessen, aber Tante Ursel aus dem Kindergarten in der Assmanshauser, die habe ich nicht vergessen.“ Das stelle man sich vor; da trifft ein betagter Herr seine „Kindergartentante“ und gerät darüber aus dem Häuschen!!!! Noch mehr Lob gibt es kaum.

Eben ging Manuela.
Sie verabschiedete sich bis morgen früh.
Sie gehen heute um den Grunewaldsee, trinken dann irgendwo einen Kaffee (mit Familie)
Ich habe es gut hier im Sessel und mache meine Gedankenwanderungen.
Da gibt es viele Erinnerungswege. Ich liebe dieses Gedankenwandern. Aheu!
Also! Jetzt wandere ich los! „Aheu!“ Der Stift, mit dem ich schreibe ist gut. Aber für meine altersgeschwächten Augen etwas schwer zu lesen
Also denn!! Aheu! Ich wandere los!!
Das Wandern ist nicht nur des Müllers Lust. Es ist auch meine Lust Ahoi! Ahoi!
Es ist immer der gleiche kleine Vogel, den ich höre
Ich bin zufrieden.
Marianne ist nicht zufrieden. Für sie schade!!

Die „grosse Fliege“ kommt auf mich zu. Ich bemühe mich zu warten, bis Armgard Zeit hat- Jetzt hat sie keine. Irgend wer wird dann schon da sein. Man lebt zusammen. Aber die „grosse Fliege“ muss man allein schaffen. Möge meine „grosse Fliege“ sanft und friedlich sein, ohne Schmerzen.
„14 Engel“ werden bei mir sein

2 zu meinen Häupten
2 zu meine Füssen
2 zu meiner Rechten,
2 zu meiner linken
2 die mir weisen den Weg ins Paradies. Der Weg ist hell. Ich werden den Weg finden! Mit meinen Engeln
Ich bin nicht allein. Ich bin zufrieden. Dank allen für alles.