Frauenblick. Kapadokien (3)

Monika Wrzosek-Müller

Derwische – der spirituelle Weg

Noch ein Text über meine Reise nach Kappadokien, in die Türkei.

Natürlich haben wir der Zeremonie der Tanzenden Derwische in einer unterirdischen Höhle beigewohnt. Auch wenn sich das sehr touristisch anfühlt, und auch ist, zwingt die Veranstaltung selbst zum Nachdenken. Denn jeder sucht seinen Weg, einen Sinn im Leben, etwas, was darüber hinausweist, was in schwierigen Momenten an etwas Höheres glauben lässt. Schon lange liefern unsere Religionen nicht genug Nahrung oder sie sind zu rigide, zu hermetisch, ihre Institutionen zu schwerfällig, als dass man sich ihnen anvertrauen möchte. Unsere Ewa macht sich mit dem Don Quijote auf die Reise und sucht auf dem alten, ewigen Weg nach konkreten Lösungen oder nach Konzepten für ein Weiterkommen.

Die Autorin hat sich auf den Yoga-Weg begeben, ohne sich dabei auf die sektenähnlichen Verstrickungen einzulassen, ohne auf ihre andere, „normale“ Lebensroutine zu verzichten. Ein bequemer Yoga-Weg, der manches besser zu verstehen, zu meistern erlaubt, der Körper und Geist einen Ausweg bietet und die Seele auch nicht vergisst.

So müssen auch die Derwische gedacht haben, als sie ihren Orden (Tariqua) gründeten. Ein Derwisch sucht auch nach einem Weg oder Ausweg, um die Wirklichkeit, die Realität besser zu meistern. Nach Wikipedia bezeichnet man als Derwisch einen Sufi, der in eine religiöse muslimische Ordensgemeinschaft eintritt, die, ähnlich den christlichen Mönchen, in Bescheidenheit und Disziplin lebt. Das Wort stammt aus dem Persischen und bedeutet so viel wie: „auf der Türschwelle stehen“ (für mich eine sehr poetische Umschreibung), wird aber, da die Mitglieder der verschiedenen Orden sich vor allem der Armut (dem Verzicht auf Bereicherung) verschrieben, auch als Bezeichnung für Arme oder Bettler benutzt. Mein Mann sagte mir, dass im Deutschen der Begriff Derwisch früher für Leute benutzt wurde, die nicht ganz klar im Kopf waren und sich wie Besessene aufführten, also umgangssprachlich für Irrsinnige (hauptsächlich in Bayern). Man sagt natürlich auch: „Tanzen wie ein Derwisch“.

Ja, das mit dem Tanzen betrifft nicht alle Derwisch-Orden, sie hatten in verschiedenen Regionen unterschiedliche Regeln. In den Mevlevi-Derwisch-Orden in der Türkei kommt dieser extatische Drehtanz vom Mevlana, Maulana, Maulawi (in verschiedenen Sprachen), einem Rumi Meister und persischer Mystiker, Dichter und Gelehrter. Geboren im heutigen Afghanistan 1207, starb er 1273 im anatolischen Konya. Unter der toleranten Herrschaft der Seldschuken lehrte er in einer Madrasa und gründete dann die Bruderschaft, den Orden. Wir haben in Konya sein Mausoleum besichtigt, das zum Wahrzeichen der Stadt geworden ist. Es ist jetzt zum Pilgerort für alle Muslime und Anhänger der Derwische geworden. Es war in Zeit Atatürks und der Säkularisierung in ein Museum umgewandelt worden, verlor aber nicht an Bedeutung und die Lehre und die Rituale des Ordens sind bis heute lebendig. Der Meister selbst hatte, nachdem seine erste muslimische Ehefrau gestorben war, eine Frau aus einer christlichen Familie geheiratet. Interessant fand ich, dass sich auf dem Gelände des Klosters neben den imposanten Sarkophagen des Meisters und seiner Schüler und Gelehrten auch die wunderschönen Grabstätten, aus weißem Marmor, der Ehefrauen befinden und ihre Namen überall erwähnt sind. Den Drehtanz hat Rumi-Mevlana nach dem Verschwinden oder dem Tod seines Freundes, Gelehrten und Schülers mit dem Namen Scham in das Ritual des klösterlichen Lebens eingeführt. Er hatte zu dieser Zeit auch besonders viel gedichtet. Für seine Lehre war die Erkenntnis grundlegend, dass die Liebe die Hauptkraft ist für alles, was uns umgibt. Sie ist Ursache und Folge und nur durch sie erlangt man Harmonie und Glück; die höchste Form der Liebe ist die Liebe zu Gott. Durch die Sema – den Tanz – findet man leichter den Zugang zur Liebe, das ist wie ein Gebet zu verstehen, immer linksherum zum Herzen, die rechte Hand erhoben, der Kopf leicht nach links geneigt, mit der „Sikke“, einem Filzhut, und in einem langen, weiten weißen Gewand, das sich beim Drehen malerisch ausbreitet. Es soll die herzliche und liebevolle Umarmung der Menschen und die Anbetung des Göttlichen bedeuten. So eine Zeremonie dauert mehr als eine Stunde und ist in 7 Teile gegliedert, dabei spielt auch die Musik eine Rolle; es spielen ein Flötenspieler und einige Trommler. Bestimmt hat die Zahl 7 hier eine Bedeutung – wie alles in dieser „Messe“ eine symbolische Bedeutung hat; die Begrüßungen, die Drehungen, die Kleidung, die Musik. Doch es ist auch wirklich eine physische Leistung und Anstrengung, sich eine Stunde lang immer und immer wieder mit einem in Richtung Himmel erhobenen und den anderen Richtung Erde weisenden Arm zu drehen. So kommen die Derwische in eine Art Trance, die ihnen ermöglicht, sich einem Zustand der Ektase zu nähern, der vollkommenen Liebe zu Gott, was wiederum ihre Vollkommenheit bedeutet; im Buddhismus heißt diese höchste Stufe „Nirvana“, im Yoga-Weg: „Samadhi“ und im Islam „Fenafillah“.

Ich denke unsere rationale Welt braucht ab und an doch mehr mystische Momente; die englische Schriftstellerin A. L. Kennedy sprach mir in einem Interview in der FAZ buchstäblich aus der Seele. Auf die Frage „Was zur Hölle soll ich jetzt tun?“ (Eine Frage, die sie in ihrem noch unübersetzten Erzählungsband „We are attempting to survive our time“ gestellt hat) antwortete sie: „Ruhe bewahren ist auf jeden Fall hilfreich. Wenn Du übermäßig emotional bist, triffst du keine guten Entscheidungen. Aber wenn du eine Emotion brauchst, dann nimm die Liebe. Finde heraus, was du liebst, und liebe es sehr. Arbeite daran, es zu verteidigen und zu vergrößern. Wenn du die Liebe verteidigst, besteht die Chance, dass du einen guten Weg einschlägst. Es sei denn, du liebst die arische Rasse und Massengräber.“

Auf jeden Fall weiß ich jetzt auch, warum die große Moschee in Berlin Mevlana-Moschee heißt, auch ein Reisebüro, ein Dönerladen oder ein türkisches Restaurant den Mevlana Namen tragen.

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