Die Eiche und die Bäume von David Hockney

Monika Wrzosek-Müller

Die Eiche und die Bäume von David Hockney

Über längere Zeit fotografierte ich eine Eiche auf einem Feld in unserer paradiesischen Einsiedelei in der Uckermark, in verschiedenen Wetterlagen, in diversem Laubkleid und bei verschiedenen Lichtverhältnissen. Mir schwirrte die Idee im Kopf herum, daraus einen Kalender zu machen (leider ist es bei der Idee geblieben). Immer noch greife ich oft zum Handy, um diesen imposanten Baum zu knipsen. Die Eiche ist riesig, weitverzweigt, ausladend und sie steht mitten in einem Feld, das jedes Jahr mit anderen Pflanzen bebaut wird. So sieht es eben mal ganz Gelb um sie herum aus (da war gerade Raps dran) oder rötlich (dabei handelte es sich um Klee), oder öfter Grün. Nur Grün ist eben nicht immer Grün, mal haben die Grashalme ein gelbliches, mal ein saftiges Grün und dann auch vertrocknetes, fast ein Graugrün. Die grünen Wiesen sind nie einheitlich Grün, sie changieren zwischen allen möglichen Farbtönen; die Beobachtung dieser Phänomene brachte mich auf die Bedeutung des Wechsels in der Landwirtschaft, aber auch darauf, was das fürs Auge bedeutet. Die Farbpalette der Grüntöne erfasst unheimlich viele Farben: von Absinthgrün bis Zeisiggrün, oder malerischer: von Aquamarin bis Grüngelb, nicht zu vergessen Pistazien-, Smaragd-, Tannen-, Erbsen und Giftgrün. All diese Töne kann man bestimmt auf den weiten Wiesen um den Baum finden, doch fürs Auge bilden sie einen wunderbaren weichen Teppich, der manchmal vom Wind bewegt wird und die Farben immer wieder wechselt; ein andermal erscheint der Teppich kurz geschoren und tiefe Streifen winden sich hindurch, in denen einzelne Grashalme robust ausharren. Vor einigen Jahren wurde das Feld um den Baum auch mit Mais bebaut, das nicht allzu hochwuchs und nur mickrige Kolben trug; es hatte zu wenig geregnet. Im Jahr darauf sahen wir sogar Sonnenblumen sprießen, die aber nur halbhoch und halbreif wurden; sie eigneten sich vielleicht als Futter, genauso wie der Mais, es hatte wieder zu wenig geregnet. Jedes Jahr also bekommt das Feld ein anderes Kleid, der bewirtschaftete Boden andere Pflanze und der Baum eine andere Umgebung, in der er sich spiegelt, und das Auge eine neue Landschaft.

Der Baum besitzt eine imposante Krone, über der es einen riesigen Himmel gibt, der manchmal mit Wolken gefleckt ist, ein andermal einheitlich grau oder ganz in Himmelblau getaucht. So eine Wolke kann die Verlängerung der Krone bilden, sich aufbauschen und weiterwachsen hoch in den Himmel hinein, oder der Himmel wird nach unten gedrückt, hängt über der Krone mit dunklen Gewitter- oder Regenwolken; es gibt da unzähligen Möglichkeiten und Varianten und jede verdient betrachtet und gesehen zu werden, so entstehen auch unzählige Fotos. Wenn wir dazu noch das Wechselspiel des Laubes nehmen, das Frühlings-, Herbst-, oder Sommerlaubkleid oder die Winterkargheit, dann multiplizieren sich die Möglichkeiten ins Unendliche. Im Winter sind die Äste und der Stamm sichtbar und mächtig, für Fotos machen sich die scharf gezeichneten Konturen oft am interessantesten.

Die Eiche steht in einer Senke, Überbleibsel einer Endmoräne, einem kleinen Tümpel im Frühjahr und manchmal im Winter, der aber eher selten mit Wasser gefüllt ist, denn er liegt hoch über dem Niveau des Seespiegels oder des Baches und trocknet normalerweise im Sommer oder anderen regenarmen Perioden aus. Dahinter erstrecken sich weite Felder, meist in verschiedenen Farben, und seitlich zieht ein Streifen eines Feuchtbiotops. Zu DDR-Zeiten versuchte man die feuchten Flächen zu meliorieren, sie um jeden Preis trockenzulegen, doch nach der Wende wurden alle Entwässerungskanäle zugeschüttet und die Landschaft gewann wieder ihre alte Lebendigkeit und Farbenpracht. Sie lockt auch unheimlich viele Vogelarten an, die man von einem höher gelegenen Weg beobachten kann. Es ist überwältigend, diese Landschaft mit allen ihren Tier-, Vogel, Insektenarten zu betrachten; dafür wurden extra Bänke aufgestellt. Manchmal ist das Vogelkonzert so laut, dass es beinah stört, am liebsten würde man es leiser stellen.

Warum bedeutet mir der Lebensrhythmus eines Baumes so viel? Ich merke jedes Jahr, dass ich davon fasziniert bin; er zeigt so deutlich die Vergänglichkeit, den Wechsel, die Abhängigkeiten vom Klima, aber zugleich ist er auch der Inbegriff des Lebens. Mit dem starken Stamm symbolisiert er Kraft und Mut, das aufstreben, aber auch die Beständigkeit, mit der grünen Krone, die hoch in den Himmel ragt, die Öffnung und Freiheit, mit den tiefen Wurzeln die Verwurzelung und Stabilität. Die Liebe und Bewunderung für große alte Bäume habe ich mit den Deutschen gemeinsam. An die Landschaft ohne Bäume kann ich mich nur schwer gewöhnen und sie lieben lernen; so war für mich vor Jahren die Landschaft auf der Insel Malta erst einmal unheimlich, ich konnte mir ziemlich lange nicht erklären, was mir da fehlte und was mich störte. Letztendlich war es eben das Fehlen von jeglichen Bäumen, von Wald; die Funktion von Hainbuchen-, Thuja- oder Buchsbaumhecke übernahmen riesige Opuntien, die aber wahrlich keine Bäume waren. Auch die Landschaften an der Nordsee, wo Bäume ganz sporadisch zu treffen sind, sind mir mit ihrem peitschenden Wind unheimlich; große Landflächen, durchzogen von Kanälen, mit endlosen Wiesen sind zwar sehr malerisch, aber nicht meins.

Deswegen ging ich auch in die Ausstellung von David Hockney „Vier Jahreszeiten“, Landschaft im Dialog. Three Trees near Thixendale malte Hockney 2007/2008 während längerer Besuche bei seinen Eltern in der Grafschaft Yorkshire. Angeblich existieren auch diverse Fotos von der Gegend, die er selbst machte, um die Veränderungen der Landschaft im Wechsel der Jahreszeiten zu dokumentierten. Doch ein Kunstwerk ist kein Abbild der Wirklichkeit, auf jeden Fall kein genaues, auch wenn Hockneys Malerei schon viel mit Realismus, vielleicht magischem, vielleicht naivem Realismus zu tun hat. Er selbst meinte, die Fotografie könne die Schönheit der Landschaft in Yorkshire nicht einfangen. Das, so finde ich, wird noch deutlicher bei den Bildern von den Eltern, wo ein wirklich fiktiver Raum geschaffen, der Abstand zur Wirklichkeit unmittelbar sichtbar wird. Doch auch in den großformatigen Bildern von den Bäumen (es wurde viel gerätselt, welche Bäume Hockney dargestellt hat, ob das Berg- oder Feldahorn sei, für mich hätten es auch alte Linden sein können und auf jeden Fall mächtige Laubbäume) entsteht ein Abstand zur Wirklichkeit, zum Betrachter. Man verfolgt fasziniert die Zeichnung der Äste, der Stämme, dann des Laubes, dann das Kolorit und das Verhältnis zur wirklichen Landschaft. In diesem Moment merkte ich, dass ich selbst so oft einen Baum beobachtet hatte. Auch ein Foto bildet ein Ausschnitt, ist eine Wahl, eine Auswahl von diesen unzähligen Möglichkeiten, die ich vorhin aufgezählt und besprochen habe; hier, in dem Zyklus, beim Malen kommt noch die Technik, die Farbe, der Hintergrund und das Auge und der Wille des Künstlers hinzu.

Um diese Vorgänge besser zu verstehen, schafft die Ausstellung eine Ergänzung oder eine Art Erklärung und zeigt Bilder der Landschaften mit Bäumen aus anderen Epochen, die mögliche Vorbilder oder Anregungen sein könnten. Die Werke stammen aus den Beständen der Staatlichen Museen zu Berlin. Die Beschäftigung mit der Landschaft ist in allen Kunstepochen vorhanden. Denken wir dabei an die Weltlandschaften im Mittelalter und in der frühen Renaissance, wo sie immer den Hintergrund mit dem Fluss, den Hügeln und dem Meer bildeten. Dazu haben wir das Beispiel von Piero della Francesca. Wahrscheinlich kam die Beschäftigung mit dem einzelnen Baum seit der Zeit der Lithographie, des Kupferstichs, der Radierung. Das war die Zeit der detaillierten Darstellungen, möglichst nah an der Wirklichkeit, einer Rekonstruktion der Wirklichkeit. Als mögliches Beispiel könnte „Die Landschaft mit den drei Bäumen“ von Rembrandt van Rijn 1643 dienen. Auf jeden Fall hat Rembrandt wirklich drei Bäume am Wegesrand gezeichnet; doch es handelt sich um eine kleinformatige Radierung. Dann gibt es verschiedene holländische Maler und ihre Landschaftsbilder, wie Jacob Ruisdael „Eichen an einem See mit Wasserrosen“, Philip Koninck „Holländische Flachlandschaft“ auch Meinert Hobbema „Dorfstraße unter Bäumen“. Angeblich hat sich Hockney mit den Naturbildern von van Gogh auseinandergesetzt; in der Ausstellung wird eine Zeichnung mit Graphitstift gezeigt, „Ernte in der Provence“ 1888. Von ihm soll er die Intensität der Beschäftigung mit der Natur, seine Farbigkeit, den Pinselschwung übernommen haben. Von Monet dagegen das Prinzip der Serie: vier Bilder desselben Objekts.

Auf jeden Fall macht Hockney klar, dass das Interesse an der Landschaftsmalerei nicht nachgelassen hat, dass man mit neuen Techniken, neuen Perspektiven und Hilfsmitteln, auch ungewöhnlichen Farbkombinationen die Faszination für das Thema noch vehementer zum Ausdruck bringen kann. Mich haben die Bilder verzaubert, vor allem aber durch ihre Einzigartigkeit und vielleicht auch durch die riesigen Formate, so dass man das Gefühl hat, darin zu stehen und von ihnen umgeben zu sein. Die Inspirationen und Vorbilder taten es weniger.

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