Tibor Jagielski
Władysław Zawistowski (1954)
Danzig, Januar
Spät in der Nacht haben nur Huren und Apotheken Dienst
im Angebot: Syphilis und Antibrechmittel
das Meer hustet mit dem Wind in die leeren Strassen
die Fußgängerstreifen verlieren ihren Sinn.
Spät in der Nacht sind die rosa Fenster
Muscheln der Liebe
ihre Fensterscheiben spenden den erhitzten Stirnen Kühle
und der Nachtwächter trägt seine Müdigkeit auf den Schultern
und fehlender Schnee nimmt der Stadt den Sinn.
Spät in der Nacht ist die Luft wie kalter Wodka
und Pharmazeuten,
Dichter der späten Nacht,
erschrecken den Januar mit seiner Sauberkeit
und zwei Kerle tragen einen Schrank
durch Danzig
und plötzlich gewinnt die Stadt
ihren Sinn wieder im Knattern
von tausend Weckern.

Julian Kornhauser (1946)
ein interview
man lebt nicht schlecht
frieden geld
interessante arbeit ausflüge
mit bestimmten entwicklungen
ist man nicht einverstanden
weil sie begrenzen
jenes oder dieses
aber wenn man hinschaut
allgemein
ob etwas fehlt
vielleicht zu wenig fußball
oder zu viel schlamperei
aber jeder hilft sich
und wer schafft sich aufzurichten
der arbeitet auch besser
also lebt man nicht schlecht
obwohl alle meckern
vielleicht lebt man zu langsam
man hätte es lieber schneller
intensiver
außerdem haben manche fast alles
und die anderen schaffen es kaum
das ist frustrierend
und obwohl alle wissen was gespielt wird
werden wir von denen die da oben
wie kinder behandelt
das ist lächerlich
ein bisschen ähnelt das
an pfadfinderlager
mehr mut
meine herren

Ewa Lipska (1945)
Das Heim der ruhigen Jugend
Im Leihgeschäft der Meuterei
funktioniert der Speisesaal.
Roter Wein des Sees
fließt vor den Fenstern.
Man kann in ihm schwimmen
aber nur unter Geschichtsgefahr.
Nicht alle Hurrarufe
bedeuten hier Sieg.
Die Popularität genießt
der nationale Gambit.
In den Spielhallen
gewinnt man große Niederlagen.
Manche sammeln Walderdbeeren
und Beweismittel.
Unter dem Segel der Bettwäsche
segeln sie in den Schlaf.
Andere starren stur auf die Tür
als ob von dort die Rettung kommen sollte.
Denen, die an das Land über dem Kopf denken,
brennt die Erde unter den Füssen.
Das Heim der Ruhigen Jugend
ist grau wie eine Taube.
guten rutsch!
tibor
Hallo Tibor, danke für Deinen Beitrag…
Auch einen guten Rutsch in das Neue Jahr 2023!
“Mutter Sprache
Ich habe mich
in mich verwandelt
von Augenblick zu Augenblick
in Stücke zersplittert
auf dem Wortweg
Mutter Sprache
setzt mich zusammen
Menschmosaik”
(Rose Ausländer, Lyrik-Lein
Google).
Danke, liebe Teresa, für dein lyrischer Wiederhall (nicht nur heute)
und alles Gute in neuen Jahr!