Diesmal, statt Stadtspaziergänge, eine magische Fahrt in Brandenburg
Monika Wrzosek-Müller
Warthe, mein Refugium, Einsiedelei und Domizil
Es war ein Dorf, ein Dorf gelegen zwischen uralten Wäldern, Seen, Wiesen und Feldern. Die Hügel wellten sich über den langen Wasserläufen, die hohen Gräser und Getreideähren wiegten sich im Wind. Alles schien in Bewegung und doch in absoluter Ruhe, die nur von Vogelrufen unterbrochen wurde; da waren die Kraniche, die paarweise stolzierten und oft entsetzlich schrien, auch der Kuckuck tickte wie eine Uhr, zählte die Jahre, die uns blieben, oder die Kinder, die geboren werden sollten, oder noch etwas anderes, einsam spazierten die Störche. Manchmal waren die Vogelkonzerte derart laut, dass man ins Häuschen flüchten musste, um sich unterhalten zu können. Doch die Stille täuschte, denn nachts kamen die Biber und bevölkerten die Seeufer scharenweise, die Wälder um die Ufer der Seen; sie suchten nach geeigneten Bäumen, nagten an dicken Stämmen und fällten einen nach dem anderen. Niemand konnte ihre manchmal verheerende Arbeit stoppen; die Erlen und Espen waren erledigt, jetzt kamen auch Buchen dran, nur die Eichen waren ihnen zu hart, oder schmeckten nicht. Es kamen auch Mäuse und manchmal Waschbären und der Volksmund sprach vom Wolf, der sich immer näher an die menschliche Siedlungen heranwagte, den aber niemand richtig gesehen hatte, nur wage Fotos von ihm existierten. Auch Rehe und Wildschweine sah man immer wieder, oder ihre Spuren; von den Hochsitzen an den Feld- oder Waldrändern konnte man sie gut beobachten, auch abschießen, denn Jägerkunst war allgemein verbreitet. Auf den verschlungenen Pfaden konnte man auch Schlangen sichten, sie sonnten sich an den warmen Plätzen und verschwanden geräuschlos, sobald man näherkam. Zum vollständigen Bild gehörten auch Kühe oder besser Rinder; nicht die schwarz-weißen Milchkühe, die wir aus unserer Kindheit kannten, sondern hochgezüchtete, fleischbewusste, hellbeige Tiere, die auf den Wiesen herumstolzierten oder lagen, mit unzähligen Kälbern.
Ein Dorf, auf halbem Weg zwischen dem sehr schönem alten Städtchen Templin und dem riesigen Schloss Boitzenburg gelegen. Der Weg führte immer wieder in die eine oder andere Richtung, an diesen beiden Punkten musste man vorbei. Sie markierten, bestimmten auch das Leben unmittelbar; weiter weg waren Prenzlau, Zehdenick, Lychen oder Feldberg… Immer lange Abschnitte der Landschaft mit Seen, Wäldern, Feldern, Wiesen dazwischen. In Templin hatte man eingekauft, früher vor der Pandemie die Naturtherme besucht, auch manchmal eine Eisdiele oder ein Café aufgesucht. Nach Boitzenburg fuhr man zum Kuchenessen, oder um um das Schloss oder um die Klosterruine zu wandern, immer gab es einen Rundweg; man startete und ging immer weiter, bis man irgendwann zurück am Start war.
Es war und ist ein Straßendorf, langgestreckt, auf beiden Seiten der graden Straße stehen die eher kleinen Häuser, ohne andere Planung, mit einer Kirche, einer Bäckerei, einer Kneipe. Die Häuser sind noch nicht vollständig mit Berlinern bevölkert, doch in der Kneipe versammelten sich oft die Zugezogenen und die Berliner Radler. Die Bäckerei versorgt auch mit Tageszeitungen; ein für sie wichtiges Geheimnis lüfteten sie erst nach drei Jahren Ansässigkeit: es gibt auch Jäger, die sehr gutes Wildfleisch verkaufen, sowie Bauern, die Eier an die Städter direkt abgeben; da lernte man, was ein Grünling ist und wie wirklich gutes Fleisch schmeckt. Umgeben war das Dorf mit mehreren Siedlungen, Wohnstätten mit ein paar einzelnen Häusern, mitten in der Landschaft gelegen: Luisenfelde, Metzelthin, Egarsee, Stabeshöhe, Bröddin. Am großen Warthesee gibt es viele Bungalows und Ferienanlagen, noch aus DDR-Zeiten, mit jeweils separaten Zugängen, Stegen zum See. Überhaupt war und ist der Tourismus doch eine gewisse Einnahmequelle für die Bevölkerung. Noch drei kleinere Seen liegen um das Dorf herum: kleiner Warthesee, Ratenowsee, Poviestsee; es wurde darauf gerudert und geangelt; es gibt auch einen Anglerverein im Dorf, wo man sich die Erlaubnis fürs Angeln holen konnte.
Das Dorf liegt in einem Gebiet, das vor sehr langer Zeit von verschiedenen Stämmen, sowohl germanischen als auch slawischen, bewohnt war, dann später auch Teil des Heiligen Römischen Reiches wurde, als Markgrafschaft Nordmark, schon früh im 12. Jahrhundert bildete die Region einen kleinen Teil der Mark Brandenburg. Das Dorf wurde zum ersten Mal 1295 in Dokumenten erwähnt, es gehörte zu einem Territorium, das vom Kloster Marienpforte verwaltet wurde. Erst Mitte des 16. Jahrhunderts ging es in den Besitz der Familie von Arnim über, die auf Schloss Boitzenburg lebte und große Ländereien in der Umgebung besaß.
Nach der Wende kam, ein paar Kilometer von Warthe entfernt, Daisy Gräfin von Arnim, die Apfelgräfin, auf das Gut in Lichtenhain zurück und baute das alte Verwalterhaus aus. Es ist ein beliebtes Ausflugsziel, mit einem Café im Garten und Apfelspezialitäten, einem Hofladen mit vielen Apfelprodukten und Mosterei, in der man eigene Äpfel zu Saft verarbeiten lassen kann. Die Wege um das Gutshaus sind mit Apfelbäumen gesäumt und sehen in fast jeder Jahreszeit wunderschön aus.
Die erste Kirche in Warthe wurde höchstwahrscheinlich auf dem Priesterberg errichtet, ungefähr an derselben Stelle wurde später, in den 1840er Jahren, ein Glockenstuhl errichtet, (im Dreißigjährigen Krieg war das Dorf stark verwüstet worden); rundherum existiert ein kleiner Friedhof. Die neue Kirche, (leider ohne Turm) wurde 1825 erbaut, besitzt schöne bunte Glasfenster und eine große Orgel. Neben der Kirche, am Dorfplatz, wurden anlässlich des Sieges im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 vier Eichen gepflanzt, drei davon stehen als uralte, große Bäume immer noch und sind Namensgeber für die Kneipe nebenan. Auf dem Dorfplatz neben den Bäumen, der Kirche, der Kneipe steht noch ein Kriegerdenkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Warther Soldaten und etwas weiter weg auf einer Blumenwiese befindet sich ein altes kleines Häuschen, die ehemalige Dorfschmiede, die 1995 in eine Heimatstube mit einem kleinen Museum und einer Bibliothek ausgebaut wurde. Auf der gegenüberliegenden Seite der Straße steht verlassen die ehemalige Dorfschule (1998 geschlossen) und wartet auf einen Investor; sie könnte in eine schöne Pension umgebaut werden. Die Freiwillige Feuerwehr war schon in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts gegründet worden; das Spritzenhaus befindet sich näher am Großen Warthesee und der Dorfbadestelle. Wenn man sich die Statistikzahlen der Bewohner anschaut, bemerkt man, dass die Bevölkerungszahl immer mehr schrumpfte; eine große Auswanderung in die USA gab es schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, doch von den 1875 verzeichneten 619 Einwohnern sind bis heute (2006) 319 übrig geblieben.
Noch eine Tatsache ist erwähnenswert: bis 1945 war Warthe mit einer Bahnstrecke Templin-Fährkrug – Fürstenwerder verbunden, das alte Bahnhofsgebäude steht immer noch, doch der Bahndamm wurde zu einem Fahrradweg umgebaut und erfreut sich großer Beliebtheit. Von öffentlichen Verkehrsmitteln kursiert nur ein Bus nach Templin oder Boitzenburg, doch die Mehrheit der Bewohner bevorzugt das eigene Auto.
Verwaltungstechnisch gehört Warthe seit 1993 dem Landkreis Uckermark zu und seit 2001 zur Gemeinde Boitzenburger Land.
Am schönsten war die Gegend für sie im Herbst; die Laubbäume färbten sich langsam vom satten Grün über mehrere Abstufungen von Gelb über Rot bis zum Braun, bis die Blätter dann langsam, Ende November, ganz verschwanden, was neue Ausblicke ermöglichte. In Sonnenlicht leuchteten die Blätter manchmal golden und die Spinnweben zogen ihre Fäden an den Disteln und hohen Gräsern. Leichte Nebelschwaden zogen über die Feuchtgebiete und Täler, auch manchmal über den See; Pilze konnte man bei etwas Regen und Glück in Unmengen finden; das Land war zum Verlieben still und naturecht.
eine wenig bekannte landschaft; sehr interessant beschrieben und geschrieben, vielen dank!