Nico, eine Mondgöttin

Sie liegt auf dem Selbstmörder Friedhof in Berlin begraben, obwohl sie gar keine Selbstmörderin ist, sondern ist auf Ibiza vom Fahrrad gefallen und gestorben. Am 18. Juli 1988.

Nico…

Von Andy Warhol entdeckt, kam sie zu Ruhm als weib­liche Stimme des ersten Albums von The ­Velvet Underground  und, wie Berliner TIP behauptet, werden ihre Soloplatten bis heute immer dann angehört, wenn man einmal so richtig tief depressive Musik hören möchte.

Sie war vielleicht keine Selbstmörderin, das ja, aber, na ja, sie war heroinsüchtig und depressiv, wirkte selbstzerstörerisch und ihr Leben war zu letzt lediglich ein Haufen dubiöser Umstände…

Ihr Grab ist eine Pilgerstätte für viele ihre todessehnsüchtigen Fans aus aller Welt, die dort eine Blume, aber auch einen Joint, eine Schnapsflasche oder eine ­Heroinspritze niederzulegen pflegen.

Anne Schmidt

schrieb über sie zum Buss- und Bettag letztes Jahres…

Es gibt Gräber, die muss man suchen, wenn man sie besuchen will.

Sie wurden anonym angelegt, weil die dort begrabenen Personen mit ihren Geschichten zur Zeit ihres Todes als Aufrührer oder gar Verbrecher galten, deren Gräber keinesfalls zu Pilgerstätten werden sollten.

Andere wiederum wünschten sich schon zu Lebzeiten ein idyllisches Plätzchen an einem weltfernen Ort für ein ewiges Ausruhen nach einem ruhmreichen, turbulenten,

Christa Päffgen, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen „Nico”, hatte sich schon in noch unbeschwerten Jugendjahren den Waldfriedhof am Schildhornweg im Grunewald als letzten Ruheort ausgesucht. Dort findet man auf einem Grab unter dem Stein mit ihrem und dem Namen ihrer Großmutter ein gerahmtes Foto von ihr, das in ihrer glücklichen Zeit als Sängerin und Muse von Jim Morrison gemacht sein dürfte.

Wie lange man sie dort noch besuchen kann, ist der Wilmersdorfer Gemeinde überlassen, die den Friedhof aus Kostengründen schließen will.

Die russichen Selbstmörder, nach denen der Friedhof benannt ist, die vielen Toten einer Bombennacht im Jahre 1945 würden dann genau wie Nico und Rolf von Zukowsky umgebettet werden müssen oder dem Verfall preisgegeben werden.

Die Wildschwein rotten um den Friedhof herum, warten schon jetzt auf ein Offenlassen der Pforte.

Foto Elżbieta Kargol


Im Kino gibt es jetzt ein Film über sie. Ein, wie TIP Berlin es bezeichnet, beeindruckendes Biopic über die Spätphase der gefeierten Popikone: Nico, 1988.
I/B 2018, 93 Min., R: Susanna Nicchiarelli, D: Trine Dyrholm, John Sinclair, Anamaria Marinca.
Eine Geschichte über zwei letzte Jahre Nicos Leben.
Trine Dyrholm, die Nico spielt, singt im Film alle Lieder selbst.

Der Film ist fantastisch. Und es gibt gar eine merkwürdige halluzinatorische Vision Polens AD 1987 im Film. Polen an Allen Toten Tag.

Zwei ihre Aussagen, die sich einem für eine Ewigkeit einprägen.
– Bin ich hässlich? Ja? Gut. Ich war sehr unglücklich, als ich schön war.
Und
– Ich war ganz oben und ich war ganz unten. Auf den beiden Orten ist man verdammt allein.


Im TIP erzählt der Musiker Lüül (Lutz Graf-Ulbrich) über seine einstige Liebe und ihr Grab. Er war Musiker der Berliner Krautrockbands Agita­tion Free und Ashra, Mitglied des Kollektivs 17 Hippies – und Nicos ehemaliger Gitarrist und Liebhaber.

„Es gab niemanden, der etwas Vergleichbares machte“, sagt Lüül. Er hat ein Buch geschrieben über seine Jahre mit Nico und es „Im Schatten der Mondgöttin“ genannt. Darin beschreibt er seine erste Begegnung mit ihr in der Pariser Opéra Comique 1973: „Nur ein Scheinwerfer. Dann kam sie. Nico. Überirdisch. Unnahbar schön. Allein mit ihrem indischen Harmonium.“ Magisch hat das damals auf Lüül gewirkt. Ja, und auch er hat sie angehimmelt. „Sie war ­sagenumwoben“, erinnert er sich. Wie von einem Nebelschleier umgeben, all die Geschichten, die man so von ihr erzählte und die sie über sich selbst erzählte, blieben vage, halb erlebt, halb erdacht. Die Kult- und Kunstfigur Nico lebte von ihrer Aura und dem Mysterium, das sie um sich herum schuf. „Sie war unergründlich“, sagt Lüül.

Schleierhaft ist ihm bis heute auch, weshalb sie sich ausgerechnet ihn ausgesucht hat, damals bei der ­Party des gemeinsamen Managers Assaad und später im Backstage-Zelt eines Festivals in Frankreich. Weshalb sie sich im Hotel vor ihm auszog und nackt aufs Bett legte. Vielleicht waren sie sich ja doch gar nicht so fern: Sie aufgewachsen in Schöneberg, im KaDeWe als Model entdeckt, er Musiker aus Charlottenburg, beide Kinder des Nachkriegsberlins. So jedenfalls kam die Mondgöttin ins Leben des 14 Jahre jüngeren Lutz Ulbrich und verlieh ihm ungeahnte Größe. Es folgte: „die wilde Zeit“. Ein Leben aus dem Koffer, von Paris nach Amsterdam, immer dem billigen Heroin nach, die Konzertreisen durch die USA. Apropos Heroin: Es machte sie selbstsicherer, sagt Lüül, aber auch selbstsüchtiger. „Sie war die egozentrischste Person, die ich je kennengelernt habe. Alle halten sie ja so hoch, aber hey, sie war auch eine Bitch! Sie hat Menschen betrogen.“ Doch so wie sie nicht vom Heroin loskam, kam er nicht von ihr los.

Dann das große Finale im Chelsea Hotel, New York. Einem Drehbuchautor würde man diese Szene wohl aus seinem Skript streichen, weil maßlos übertrieben: Nico auf Methadon und Alkohol, es kommt zum Streit, ein Bügeleisen fliegt durchs Fenster (Lüül: „Ich hätte es sonst voll in die Fresse gekriegt.“), sie spuckt ihm ins Gesicht, er würgt und schlägt sie, bis sie fällt und liegen bleibt (Lüül: „Ich dachte schon: Jetzt biste ein Mörder!“), doch sie lebt, die Polizei kommt, der Vorhang fällt. Im wahren Leben geht die Geschichte weiter, die beiden bleiben „in Freundschaft verbunden“, wie man so sagt, sie singt das Lied „Reich der Träume“ für ihn ein, er organisiert ihr letztes Konzert im Planetarium Berlin, sechs Wochen vor ihrem Tod, von dem Lüül am Telefon erfährt. Am 18. Juli 1988 fällt sie in Ibiza vom Fahrrad. Gehirnblutung.


Ein Kinotrailer, huch, so was habe ich noch nie gesehen. Ist 20Uhr51, ich klicke den Trailer an und lese eine merkwürdige Zeile: Aus jugendschutzrechtlichen Gründen darf dieser Trailer nur zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr abgespielt werden. Sogar den link zum Trailer kann man vor 23 Uhr nicht kopieren…

Hmmmm… Na egal… Der Trailer

2 thoughts on “Nico, eine Mondgöttin

  1. es ist einfach eine schande wie wir mit der geschichte umgehen und die friedhöfe sind hier das beste beispiel; ähnliches erlebte ich in meiner jugend in polen, als “rolling stones” und “black sabbath” fan hatte ich gute kontakte zu goth scene, die in rahmen subotnicks, manchen gruft, natürlich auch eigennutzig, von dem verfall zu retten versuchten, meistens vergeblich, weil solche aktionen schnell den unmut der obrigkeit erzeugten und die feuerwehr kam früher oder später, aber kam um status quo herzustellen; heute werden miliarden in die grossprojekte gepumpt(z.b. BER) und mehrere milionen für unzählge kleine (sg start ups) aber wir haben kein kleingeld um ein paar friedhofswärter einzustellen; ist die situation nicht ähnlich?

  2. Liebe Ewa,

    inzwischen habe ich den Film gesehen und bin von der Hauptdarstellerin begeistert. 

    Jetzt weiss ich, warum Niko in Tschechien u. Polen bes. verehrt wird.

    Sie selber scheint durch ihr Kinheitstrauma Krieg u. durch ihre empfundene Schuld als Mutter besonders gelitten zu haben. 

    Wichtig fand ich ihre Haltung zu Ihrer Vergangenheit mit berühmten Musikern "Ich war nur schöne Staffage im Hintergrund"

    Anne

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