Modenschau für Blinden

Ewa Maria Slaska

Es ist die Fortsetzung der Seite von Karsten Hein “Die Schönheit der Blinden” – mein Anteil am Gelingen seines Projekts. Ich machte schon früher solche Bilderbeschreibungen, für die Ausstellung habe ich mehrere Bilder beschrieben, wählte hier aber nur fünf. Sie wurden mir ganz zufällig zugeteilt. Für mich bildeten sie trotzdem eine in sich geschlossene Geschichte: Defragmentierung des Ichs.

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Drei Männer und eine Frau in einem undefinierbarem Innenraum, oben weiß getüncht und unter dunkelbraun. Ein Mann in weißem Hemd steht ganz vorne am rechten Rand des Bildes. Sein Gesicht ist abgeschnitten und verschwommen. Nicht desto trotz weißt man, dass er der wichtigste Protagonist der Szene ist. Er lächelt sehr breit. Zwei Männer hinter ihm, obwohl besser sichtbar, sind nur Zuschauer.  Einer mit geliertem nach oben gezupften Haar trägt eine schwarze Sonnenbrille. Der andere scheint ganz andächtig auf die Hände der Frau zu schauen, die links steht und sehr konzentriert etwas auf dem Rücken des Mannes in weißem Hemd zupft. Man sieht sie vom rechten Profil. Sie wirkt wie eine blasse Indianerin mit rot geschminkten Mund.

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Eine Frau in grauer schwarz gemusterten Bluse steht neben einen schlanken Mann in weißem Hemd. (Es sind wahrscheinlich dieselbe Menschen wie auf dem Bild Nr. 7, zumal man auch die zwei Zuschauer vom Vorhin vermutet – von einem, rechts vom Mann im Hemd, sieht man die Finger seiner linken Hand, von dem anderen – hinterm Hemdkragen der männlichen Hauptfigur ein Stückchen vom Stirn und Haare. ) Die Frau mit spitzen dunkel lackierten Fingernägel berührt mit ihrer rechten Hand das Hemd des Mannes, schaut aber nicht in seine Richtung, sondern nach unten. Sie wirkt wie eine Ärztin, die vielleicht  den Puls des Mannes abhört, indem sie seine Brust leicht berührt. Von dem Mann im Hemd, der eigentlich den Großteil des Bildes annimmt, sieht man nur das Hemd, Hals und Unterkiefer. Er lächelt ganz ganz leicht.

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Zwei Figuren auf dem Bild waren schon auf den Bildern 7 und 8 zu sehen – der Mann in weißem Hemd (jetzt sieht man, dass er auch eine weiße Hose trägt und schwarzen Gürtel mit metallener Schnalle), der ganz zentral im Bild steht und die schwarzhaarige Frau, die neben ihm kniet. Von ihr sieht man nur den Arm, rechtem Profil und rechte Hand mit bemalten Nägel, von ihm lediglich den mittleren Körperteil, vom Oberschenkel hin bis Stückchen über die Taille. Er steht zwar nicht steif, aber doch bewegungslos, mit beiden Armen nach unten, dem Stegreif entlang. Die Frau berührt ganz leicht den Hosenschlitz der weißen Hose, die mit kleinen roten Schrägstichen bestickt ist. Vor dem Mann im Weiß steht, unerklärlich  und fast bedrohlich nah, ein dunkel angezogener, kaum sichtbarer Mann, der in der linken Hand einen dünnen Stiel hält, von einem Mop vielleicht.

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Es ist ein Bild von dem weißen Mann von den Fotos 7,8 und 9, der hier aber nicht mehr zu erkennen ist. Er steht immer noch zentral im Bild. Man sieht nur ein Stückchen seiner Teille und des Hemdes, sowie ein Teil des rechten Ärmels. Um ihm herum drängeln sich fünf Hände, die drei oder gar vier Personen gehören, die allesamt etwas an dem weißen Hemd ziehen, zupfen oder betasten. Eine Person, neu in der bisherigen Konstellation, die sich am rechten Rand des Bildes befindet, wahrscheinlich eine weiß angezogene langhaarige Frau mit einem rosa Schal, ist die einzige, die den Mann mit aller Sicherheit  mit ihrer zwei Händen berührt, oder gar ankratzt und angreift. Sie unterscheidet sich somit von allen anderen, die vorhin entweder ganz unbeweglich da standen oder nur ganz leichte Berührungen betätigten. Die neue Person dagegen wirkt dominant und possesiv.

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Diesmal sieht man den Mann im Weiß von hinten, vom Po ab zu Schulterblätter. Er steht ganz still und hinter ihm stehen drei Personen, von denen man nur Hände sieht. Sie alle verbessern etwas am Hosensattel oder Hemd des Mannes. Die zwei Hände und nackte Unterarme im Hintergrund gehören wahrscheinlich einer Frau, die zwei in der Mitte – in den schwarzen Ärmeln, linke Hand mit einer dicken Uhr  und zwei massiven silbernen oder stahlernen Eheringen – einem Mann. Von der Person, die ganz vorne steht, kann man unmöglich sagen, ob ein Stückchen Hand, das man sieht, einem Man oder einer Frau gehört.

***
Wenn man all diese Bilder als eine Reihe sieht, kann man sagen, dass sich auf dem ersten Bild vier glückliche Menschen befinden, konkrete Personen, mit Gesichter und Namen, auch wenn wir sie nicht kennen. Diese vier Personen werden im Laufe dieser kurzen Geschichte immer stärker fragmentiert und depersonaliesiert, um auf dem letzten Fotos als laute Fragmente anonymer Menschen zu enden. Sehr befremdend.

Fotos: Karsten Hein. Mehr über das Projekt auf der Seite “Bilder für die Blinde”

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