Frauenblick. Ballonfahrt und…

Monika Wrzosek-Müller

… die Landschaft in Kappadokien

Fliegen wurde in meiner Familie immer großgeschrieben; als Kind hörte ich die fantastischen Erzählungen über meinen Großvater, der während des Zweiten Weltkrieges in der Royal Airforce war, junge englische Piloten ausbildete und über Schottland von den Deutschen abgeschossen wurde. Irgendwann, nicht lange her, habe ich tatsächlich seinen Grabstein auf einem kleinen Friedhof unweit von Aberdeen, in Lossiemouth gefunden. Er war das große Vorbild in unserer Familie, ich das schwarze Schaf; doch das Fliegen blieb immer ein Thema für mich. Ich erinnere mich, als ich nach Deutschland, West-Berlin kam, träumte ich monatelang vom Fliegen. Dieses Fliegen war mit einem gesteigerten Gefühl der Freiheit und des Loslassens verbunden. Im Traum stand ich am offenen Fenster, stieg hinaus und flog, ohne Sorgen, ohne Angst, schwebte einfach so über ganze Landschaften, über Häuser, Kirchen mit ihren Türmen, Flüsse, Brücken, Felder, Wälder, erstaunlicher Weise aber nicht über Städte; es waren immer grüne Landschaften, keine Häusermeere. Ich sah große Seen, Meeresküsten unten; in keinem Moment empfand ich Angst. Ich wachte meistens am Ende einer solchen Reise auf.

Später war das Fliegen mit dem Flugzeug, dadurch, dass ich mehrere Jahre in Italien lebte, zum Alltag geworden; das bedeutete aber nicht, dass es angenehm für mich war. Es hatte auch nichts mit dem Fliegen aus den Träumen zu tun. Meistens mochte ich es gar nicht, aber es war der kürzeste und pragmatisch gesehen, schnellste Weg, um von A nach Z zu kommen.

Neulich in Kappadokien hatten wir die Möglichkeit, mit einem Ballon über diese für mich bizarrste, schönste Landschaft zu schweben. Es war nicht billig und es erforderte einige Anstrengungen, so z.B. ganz frühes Aufstehen, denn man stieg bei Sonnenaufgang in die Lüfte auf; nicht zu vergessen auch, dass es da oben wirklich eiskalt war. Ich hatte alle warmen Sachen, die ich mitgenommen hatte, angezogen, doch es fehlten mir Handschuhe, meine Finger waren zum Schluss durchgefroren. Die ganze Region lebt vom Geschäft mit den Ballonfahrten; es steigen nicht ein paar Ballons in den Himmel, sondern gleich Hunderte davon. Man sieht sie schweben, nah und weiter weg, ihre Farben, ihre Silhouetten mit den großen Körben unten (die immerhin 25/30 Menschen fassen) bilden ein Teil des Spektakels; sie sind ein Teil der Bilder, die dann im Auge entstehen, mit ihren Farben, dem Licht prägen sie auch die Landschaft und natürlich werden sie in kleinen Videos und Fotos nach Hause getragen.

Die Ballonfahrt, das Gefühl dabei, erinnerte mich an meine Träume, an dieses unendliche Schweben in der Stille, in der Schwerelosigkeit, an die unendlichen Blicke in die Weite, weiter als der Horizont oder da wo er sich gerade zu runden beginnt. Ich habe in keinem Moment an die Gefahren gedacht, die ein solches Unterfangen mit sich bringen kann. So könnte sich für die Piloten der ersten, kleinen Flugzeuge das Fliegen angefühlt haben, wo die Unmittelbarkeit des Erlebten im Vordergrund stand. Bei der Ballonfahrt war man mitten drin in der Luft, spürte sie hautnah, dicht, erlebte alles direkt. Beim Flugzeug sperren die Außenhaut, der Rumpf, die Fenster das Erleben aus, man ist eher in den Lüften gefangen, rast von einem Punkt zum anderen. Hier gleitet man ganz langsam und majestätisch über der Landschaft, hoch in den Himmel. Natürlich kam noch dazu, dass gerade diese Landschaft so einmalig ist; jede Beschreibung geht wahrscheinlich ihrer eigentlichen Schönheit vorbei.

Hinter jedem Tal öffnen sich dem Blick neue Pastell-Farbkombinationen, von Ocker bis Beige über Sand-, Olivgrün, auch kräftigere Farben, Violett, Rot, alles mischt sich, dazu kommen die kaminartigen Felsformationen, die jedes Mal anders aussehen – wie große Pilze oder Mönche, oder eben Phalli, ragen sie aus der Erde und verändern sich mit der Zeit weiter. Den Fuß, den Stamm bildet der Tuffstein, die Kappe ist meistens aus Basalt. Angeblich entstehen alle zehn Jahre neue Formen, man sieht die Veränderungen. In den schmalen Tälern wachsen auch spärlich Bäume, blühen im Frühjahr auch Blumen. Doch die Farbenpracht kommt hauptsächlich aus der Vielfalt der Mineralien, der Metalle, die in dem Gestein, in der Erde gespeichert sind. Wie intensiv die Farbgebung ausfällt, hängt vom jeweiligen Gehalt an Metallen oder Mineralien ab; so entsteht die ganze Scala der rötlich-orangenen Töne aufgrund des Kupfergehalts der Erde, manchmal gehen sie sogar ins grünliche über; dann kommt die ganze Palette von bläulichen ins Dunkel gehende Farben durch Eisenoxid, viele weitere Mineralien und Metalle beeinflussen den Prozess: Chrom, Nickel, Kupfer, Zink, Mangan etc… Letztendlich entsteht eine pastellbunte Landschaft, soweit das Auge reicht. Ganz weit am Horizont thronen noch die beiden hohen Vulkane, Hasan und Erciyes Dagi, die Gipfel oft durch Wolken verhangen, aber auch mit Schnee bedeckt, mächtig und majestätisch in der Ferne.

Ich habe die Ballonfahrt sehr genossen und, wie gesagt, habe ich dabei gar nicht an Gefahren gedacht; doch von dem Teilnehmer einer anderen Gruppe bin ich eines Besseren belehrt worden. Sie nämlich blieben am Hang eines Tals hängen, der Ballon konnte den Korb nicht aus dem Sand herausziehen. So hat die Gruppe fast vier Stunden darin verbracht, bis endlich erst der Ballon und dann der Korb zur Seite gekippt wurde und sie aussteigen und über den steilen Hang hochklettern konnten oder eher mussten. Angesichts des fortgeschrittenen Durchschnittsalters in meiner Gruppe wäre das ein sehr gefährliches Unternehmen.

Von der südlichen Toskana, der Maremma, bin ich eigentlich an Tuffstein und an ungewöhnliche Formationen gewöhnt, doch diese Fülle und Reichtum an Farben und Gestalten hat mich wirklich erstaunt und total begeistert. Dazu kommen die unzähligen christlichen Kirchen in den Grotten, mit wunderbaren Fresken, leider manchmal allzu sehr ausgebessert und nachgemalt, trotzdem sehr beeindruckend. Die Zahl dieser Kirchen scheint unendlich, in Göreme (was so viel bedeutet wie „Du siehst mich nicht“, denken wir an unterirdische Städte und die Kirchen in den Grotten) ist jetzt ein Freilichtmuseum errichtet, das allein acht oder mehr Kirchen verbindet; es handelt sich meist um frühchristliche Bauten, mit Darstellungen von Jesus und Mutter Maria, biblischen Szenen aus dem Leben Jesu und dem der Apostel. Auch im Ihlara-Tal sind viele solcher Kirchen zu besichtigen. Sie sind zum Teil mit Tonnengewölben und einer Apsis ausgestattet, haben manchmal sogar zwei Stockwerke, daher spricht man von der unteren und der oberen Kirche; die Fresken zeugen von hoher Kunst der Malerei. Auch verfügte man offenbar schon damals über die ganze Palette der Farben; die Fresken sind sehr bunt. Ähnliche Kirchen hatte ich früher in den Bergen Apuliens, unweit der Stadt Matera, in Massafra und Mottola gesehen, doch in Kappadokien ist ihre Zahl und der Reichtum ihrer Ausschmückung, der Fresken noch überwältigender. Allerdings heißen sie in Apulien Grotten- und in Kappadokien Höhlenkirchen; das klingt noch geheimnisvoller und wilder, zu sehen sind aber erstaunlich ähnliche byzantinische Kirchen mit ikonenartigen Darstellungen der Gesichter der Heiligen. Diese Kirchen sind auch in der Zeit des ersten Bilderstreits zwischen der orthodox-katholischen Kirche und dem byzantinischen Kaiserhaus benutzt worden oder entstanden. So viel ich verstanden habe, war das Kaiserhaus den Ikonoklasten (Ikonenzerstörer) zugeneigt, wollte die Darstellungen von Heiligen und deren Anbetung einschränken. Doch irgendwann gewannen die Ikonodulen (Ikonenverehrer), auf jeden Fall war der Streit mit der Kaiserin Theodora und ihren Darstellungen in Ravenna beendet. In diese Bauten flüchteten die Mönche der jeweiligen Gruppen, um sich zu verstecken. Interessant für mich war, dass in Apulien von der Flucht der Landbevölkerung vor den Sarazenen (Sammelbezeichnung für muslimische Nomadenvölker, eher aus dem nördlichen Afrika kommend) gesprochen wurde, während man in Kappadokien diesen Begriff gar nicht kennt. Als Angreifer in Kappadokien wurden verschiedene Nomadenvölker, vor allem aus Asien kommend, benannt, zum Beispiel Mongolen, aber auch Perser. Auf jeden Fall ist diese Gegend ein gewaltiger Schmelztiegel der Kulturen, Religionen und Ethnien; es gibt bestimmt noch vieles zu entdecken.

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