Kolonialismus in Europa 1

Kolonialismus ist jetzt in aller Münde. Leider vor allem der “da weit weit weg”. Zeitlich und geografisch weit weg. So ist es viel bequemer. In einer Broschüre der BPP (Bundeszentrale für Politischer Bildung) zu diesem Mode-Thema (Informationnen zur politischen Bildung/izpb Nr. 336 vom 3/2018) schreibt die Autorin des Heftes, Prof. Dr. Gabriele Metzler wie folgt:

Der Schwerpunkt liegt dabei auf Westeuropa. Aus Gründen des Umfangs müssen die größen europäischen Kontinentalimperien Russland und die Habsburgermonarchie (…) ausgeblendet bleiben.

OK, BPB hatte keinen Zeit und Raum für dieses Thema. Schade. Hier auf diesem Blog lade ich ein, über Kolonialismus Russlands und Deutschlands IN EUROPA zu schreiben. Nicht nur wissenschaftlich. Prosa und Poesie, Film, Musik, Kunst sind gleichberechtigte Ausdrucksformen.

Ich werde versuchen ein Projekt zu diesem Thema zu starten, eine Aktion, eine Ausstellung, ein Buch.

Macht mit.

Redakcja / Ewa Maria Slaska

“ӨМӘ”

Ausstellung zu russischem Kolonialismus

Yiliia Katchypina

11.03. – 29.05.2023
Ort
Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2, Berlin-Kreuzberg

Öffnungszeiten
So – Mi 10:00 – 20:00 Uhr
Do – Sa 10:00 – 22:00 Uhr

Eintritt frei

Sprache(n): 

  • Deutsch
  • Englisch


Veranstalter_in: neue Gesellschaft für bildende Kunst

Zur Ausstellung

In russland** leben Menschen aus 185 verschiedenen ethnischen Gruppen. Trotzdem gilt das Land, gerade im Westen, nach wie vor als „weiß“. Obwohl ethnische Minderheiten in der Geschichte russlands gewaltsam unterdrückt wurden und von ethnischen Säuberungen bis hin zum Genozid betroffen waren, wird Kolonialismus nicht nur vom russischen Regime, sondern auch von großen Teilen der Opposition im Land häufig als westlicher Import gesehen. An die Stelle einer Aufarbeitung der russischen Kolonialgeschichte tritt die Erzählung russlands als antikolonialer und antiimperialistischer Macht, die seit dem Überfall russlands auf die Ukraine auch zentraler Bestandteil der Kriegspropaganda ist.

Die Ausstellung Өмә ([öme]; baschkirisch für „kollektive Selbsthilfepraktiken“) macht deutlich, dass der aktuelle Krieg gegen die Ukraine wie auch die Annexion der Krim 2014 nicht isoliert von der Geschichte russlands betrachtet werden können, sondern die Fortsetzung einer historischen Kontinuität des russischen Imperialismus darstellen. Während seit Kriegsbeginn ukrainische Positionen zu Recht oftmals im Vordergrund standen, möchte Өмә daher nun dem antikolonialen Widerstand in russland mehr Platz einräumen.

Dazu versammelt die Ausstellung rund dreißig künstlerische Positionen von Mitgliedern indigener Gemeinschaften sowie von Künstler_innen mit multiethnischer und migrantischer Identität aus russland. Sie zeichnen das Bild russlands als Kolonialmacht, die sich nur durch Vertreibung, Zwangsassimilierung, Christianisierung, Russifizierung und Extraktivismus innerhalb ihrer heutigen Grenzen konstituieren konnte.

Da das Bild eines weißen russlands nicht nur vom Regime, sondern auch von der – ebenfalls mehrheitlich weißen – russischen Opposition aufrechterhalten wird, konnten sich dekoloniale Bewegungen, die nach dem Zerfall der Sowjetunion entstanden, nie durchsetzen. Nicht zuletzt deshalb möchte Өмә antihegemonialen Theirstories Gehör verschaffen und mit Methoden der Autoethnografie sowie durch die Aktivierung von Archiven ein komplexeres Russlandbild schaffen. Damit positioniert sich die Ausstellung im historischen und politischen Kontext andauernder kolonialer Expansion und Gewalt.

Ein Projekt der nGbK in Kooperation mit dem Kunstraum Kreuzberg/Bethanien.

Künstler_innen: Altan Khaluun Darkhan, appak, Ars Kerim, BaderNisa, Balapan, Gilyana Mandzhieva, Gul Altyn, Gul Zeile, Insaya, iskandaria kukchachak, Keto Gorgadze, klöna, Ksti Hu, Medina Bazarğali, Neseine Toholya, norma, Patimat Partu, Polina Osipova, Ptuška, Sanjin Jirgal, sn, Tegryash, Qalamqas, qodiriy, Victoria Sarangova, YumKai, ᠰᠶᠦᠷᠧᠠᠯᠢᠶ᠎ᠠ, MU collective, Never Odd or Even, un|rest group

nGbK-Arbeitsgruppe: FATA collective

** Mit ihrer Entscheidung, das Substantiv „russland“ und damit zusammenhängende Eigennamen nicht groß zu schreiben, wollen die Kurator_innen der Ausstellung ihre Unterstützung für die Menschen in der Ukraine zum Ausdruck bringen.

Auswahl Presseartikel:

Interview Monopol: „Wir sind wütend und wollen etwas tun“

Interview Kompressor (Deutschlandfunk Kultur): „Ausstellung über Minderheiten in Russland“

Beitrag rbb Inforadio: „Өмә: Ausstellung zu russischem Kolonialismus“ 


***

Und meine Fotos von der Ausstellung:

Was ich von der Ausstellungs denke? Es ist ANDERS. Das scheint mir das Wichtigste dabei. Es ist anders, es gibt viele sanfte Menschen, Frauen, Kinder, Musik. Es gibt Haus und Heimat, Essen, Kochen, Sticken, Nähen, Schlafen, Lieben. Textilien und nicht nur Texte. Und es ist so ungewöhnlich, plötzlich all diese Menschen zu sehen, von denen wir bis jetzt nichts wußten – Buryaten, Tschuktschen, Tschetschenen, Bashkiren, Kasachen, Tataren – alle diese Völker, die Mal von Russland eingenommen wurden und bis jetzt große, schweigende, vergessene Teile des russischen Imperiums sind. Wir sehen die größen Volker, größe Nationen – die Ukrainer, die Weißrussen und natürlich die Russen selbst. Die kleinen sind so weit weg, so marginalisiert und plötzlich sind sie alle da. So viele, so sanft und doch so hart.

Achtung, das Foto Nr. 6 ist nicht umgedreht.

One thought on “Kolonialismus in Europa 1

  1. Eine sehr gute Idee! allerdings müssen wir etwas den Begriff Kolonialismus erklären. Ich erinnere mich, wie meine Mutter mir von in Massen sterbenden Tschuktschen erzählt hatte. Sie wurden, wie übrigens Polen auch während des Zweiten Weltkrieges in die weiten Steppen von Kasachstan verpflanzt und starben da wegen Hunger, Hitze, ganz anderen Lebensbedingungen. So kehrt das Thema zurück…

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