Frauenblick: Pflaumenregen

Monika Wrzosek-Müller

Pflaumenregen von Stephan Thome

Das Buch sollte mir eine Atem- oder eher Denkpause bei meinen obsessiven Gedankengängen über den Ukrainekrieg bieten und auch davon ablenken. Es erzählt von Taiwan, es erzählt ausführlich und gut über die Insel, über ihre Geschichte, über die Menschen, die dort leben.

Ich wusste vorher eigentlich so gut wie nichts darüber; geografisch wohl schon – dass die Insel nahe an China, aber auch nicht sehr weit entfernt von den südlichen Inseln Japans liegt und bergig ist; dagegen über ihr Schicksal und die geschichtlichen Verwicklungen wirklich sehr wenig. Leider gehört die Insel, wie die östlichen Staaten von Europa zu den Grenzländern; d.h. Appetit auf ihr Territorium gab es im Geschichtsrad der Jahrhunderte auf vielen Seiten.

Trotzdem oder gerade deswegen ist Taiwan eigentlich immer wieder im Zentrum der zeitgenössischen politischen Auseinandersetzungen. Unlängst sorgte die amerikanische Abgeordnete der Demokraten und Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi durch ihren Besuch in Taiwan für Schlagzeilen. Als Reaktion darauf startete China militärische Manöver rund um die Insel und bekräftigte seinen Besitzanspruch auf die Insel. Dasselbe passierte jetzt wieder, als eine Delegation deutscher Abgeordneter nach Taipeh reiste. So gesehen ist das Thema Taiwan höchst aktuell, brisant und könnte in diesem Sinn dem Problem Ukraine nahekommen.

Wenn wir noch sehen, dass der Autor ein deutscher Sinologe und Wissenschaftler ist, der schon seit 12 Jahren dort lebt und eine taiwanische Frau hat, fassen wir Vertrauen, dass dies nicht nur ein literarisch wirklich gelungener Familienroman ist, sondern dieser auch auf solidem historischen Wissen beruht. Der Autor erläutert, dass er viele der Schauplätze selbst aufgesucht hat; es gibt sie wirklich. Über die Ereignisse in der Zeit um 1940 musste er gründlich recherchieren; er arbeitete ungefähr drei Jahre an dem Projekt. Der Roman handelt von der Geschichte einer Familie in drei Generationen; in dieser Zeit änderten sich die Machtverhältnisse in Taiwan dreimal. Dankenswerter Weise bietet der Autor dem unkundigen Leser vorab eine Art Einführung in die Geschichte der Insel.

„In den Jahren 1894/95 führten das chinesische und das japanische Kaiserreich einen Krieg, der die Kräfteverhältnisse in Ostasien von Grund auf neue ordnete. China verlor und musste seine Provinz Taiwan als Kolonie an den Sieger abtreten. Zunächst lebten die Inselbewohner in einer Art Apartheid avant la lettre, aber mit der Zeit entstand eine einheimische Mittelschicht, die sich in ihren Lebensgewohnheiten kaum von den Kolonialherren unterschied, obwohl sie diesen niemals gleichgestellt war. Nach dem Ausbruch des Pazifischen Kriegs wurde die Tendenz zur Assimilierung vonseiten Japans noch verstärkt. Viele junge Taiwaner, insbesondere Angehörige der indigenen Bevölkerung, kamen als japanische Soldaten ums Leben. 1945 fiel Taiwan zurück an die chinesischen Nationalisten (Kuomintang oder KMT) unter Generalissimus Chiang Kaishek. Diese hatten acht Jahre lang gegen Japan gekämpft und reagierten mit Abscheu auf die japanisierte Lebensweise ihrer vermeintlichen Landsleute. Umgekehrt führte ihr aggressives Auftreten zu Widerstand, der sich im Frühjahr 1947 gewaltsam entlud und anschließend grausam niedergeschlagen wurde: durch willkürliche Verhaftungen und Exekutionen, die als `März-Massaker`, später mit dem Kürzel 228 (für 28. Februar, den Beginn der Unruhen) bezeichnet wurden. Nach der Niederlage gegen Chinas Kommunisten zog sich die KMT 1949 ganz nach Taiwan zurück und verwandelte die Insel in einen autoritären Polizeistaat. Das Kriegsrecht wurde erst 1987 aufgehoben. 1996 fanden erstmals freie Präsidentschaftswahlen statt. Heute ist Taiwan eine ebenso lebendige wie gefährdete Demokratie, denn das Regime in Peking betrachtet die Insel – die nie zur Volksrepublik gehört hat – als einen Teil seines Staatsgebiets und strebt eine notfalls gewaltsame Vereinigung an. In Taiwan will das so gut wie niemand.“

Wir lernen die Hauptheldin, die junge Umeko mit 8 Jahren kennen, als sie noch in die japanische Schule geht, als Tochter einer taiwanischen Mittelschichtsfamilie, die sich mit der japanischen Okkupation arrangiert hat. Das Leben ist sehr geregelt, die Kinder tragen Uniformen, alles scheint voranzuschreiten ohne größere Probleme. Ihr Bruder Keiji spielt hervorragend Baseball und wird deshalb in eine weiterführende japanische Schule aufgenommen; für gebürtige Taiwaner ein besonderes Privileg. Doch aus den Äußerungen der Zuschauer bei einem Baseball-Spiel im Stadion lernen wir, wie die Einstellung der taiwanischen Bevölkerung zu den Japanern ist: „Jemand rief auf Taiwanisch: – Los geht´s! Zeigt es den arroganten Japsen!“ Aber die junge Umeko hat eine japanische Lieblingslehrerin und träumt von einer Reise nach Kyoto; doch schon bald wird sie gezwungen ihren japanischen Namen zu ändern und sich Hsiao Mei nennen zu lassen – nach der Landung der Festlandslandchinesen; zum Schluss erleben wir sie als alte Dame, die einen Sohn namens Harry und einen chinesischen Ehemann hat, und sich in einem sehr sorgfältig arrangierten Leben bewegt. Ihr Sohn lebt inzwischen in Amerika und besucht seinerseits die Insel mit seinem Sohn.

Er reflektiert über die Mutter: „Als Kind war sie angeblich ein unbändiges Plappermaul, […] Die stolze Japanerin, die sie einmal gewesen ist, kann er sich bis heute schwer vorstellen, obwohl Onkel Keiji ihm vor seinem Tod alte Briefe gegeben hat, deren früheste noch aus der Kriegszeit stammen. Wenn einer was damit anfangen kann, dann du, meinte er – inzwischen glaubt er das selbst. Die kleine Umeko war seinerzeit zu jung, um die Kräfte zu verstehen, die ihre vertraute Welt bald zerstören sollten. Erst kamen britische Kriegsgefangene, dann amerikanische Bomber, später die Festländer mit Gewehren im Anschlag. Schon in jungen Jahren muss ihr klargeworden sein – klargemacht worden sein -, wie gefährlich es ist, im falschen Moment den Mund zu öffnen. Darüber sprechen mag sie noch immer nicht. Dinge passieren eben, pflegt sie zu sagen, wenn er nachbohrt. Sicher ist nur, sie hat ihre Lektion gelernt.“

Vielleicht ist die Bezeichnung Hauptheldin auch nicht richtig, denn der Autor gibt uns ein Kaleidoskop von Figuren, Personen, an Hand derer wir die Geschicke des Landes erfahren. Dabei spielen vielleicht die Fragen: wie verhält es sich mit der persönlichen und der nationalen Identität, was bringt die Menschen zusammen, was trennt sie, wo spielen sie mit, wie arrangieren sie sich, wann gehen sie auf die Barrikaden, eine wichtigere Rolle, als die Ereignisse selbst. Obwohl wir so viel über die Geschichte der Insel erfahren, wirken die darin agierenden Helden nicht schemenhaft, sie sind voller Leben und Emotionen, sie wirken authentisch und stark. Vielleicht hilft dabei der ständige Wechsel der Perspektiven und der Narration; die Einschnitte zwischen der Vergangenheit und Gegenwart lassen den Erzählstrom sich nicht nur auf die geschichtliche Chronologie konzentrieren, sondern heben auch die einzelnen Charaktere und Persönlichkeiten hervor, dadurch gewinnt ihr Leben an Buntheit aber auch an Bedeutung und Echtheit; wie ein großer Fächer breitet, öffnet sich das Panorama des Lebens dort.

„Allmählich erwacht die Stadt zum Leben. Im Fenster steht ein farbloser Himmel, der sich für später alle Optionen offenhält. Bevor die Konflikte eskalierten, hatte seine Mutter eine Weile im Haus des Großvaters gelebt, den Harry nur von einer Handvoll alter Fotos kennt. Ein konfuzianischer Gelehrter, der in der Qing-Zeit aufgewachsen war, als die Japaner alle chinesischen Schulen schlossen, auch seine. Den Tempeln seiner Stadt spendete er viel Geld und scheint ein weithin respektierter Mann gewesen zu sein, der an den Sitten einer untergehenden Welt festhielt. Seine Frau hatte gebundene Füße. Manche in der Familie nannten sie schweigsam, andere behaupteten, sie sei ganz und gar stumm gewesen. So oder so, Frauen hatten nichts zu sagen. Von Jinguashi nach Keelung war es bloß ein Katzensprung, aber für die elfjährige Umeko – und nicht nur für sie – muss es sich angefühlt haben, als wäre sie in ein fremdes Land verbannt worden“.

Gut, dass ein sensibler Schriftsteller den Geschichten der Einheimischen so aufmerksam zuhören konnte und sie dann aufgeschrieben, festgehalten hat. Er versteht es auch bestens, dem westlichen, dem europäischen Leser dieses komplizierte, verwinkelte Leben zu veranschaulichen, eine besondere Poetik hineineinzubringen, es für uns schmackhaft zu machen. Die Beschreibungen der Natur auf der Insel, mit den hohen Bergen, das Meer mit dem Wellengang, der Himmel mal mit tiefen Regenwolken, mal stahlblau, die Blüten, all die Pflanzen, die Bäume und der Bambus überall spielen eine genauso wichtige Rolle wie die darin agierenden Menschen, sie tragen die Stimmung und unterstreichen die Emotionen. Das Leben auf der Insel scheint einem nie einfach gewesen zu sein, eher sehr aufgeladen und ungewöhnlich, in all den Veränderungen und Umstellungen. In dem Roman geht es um eine Familie, doch man hat den Eindruck, alles wäre miteinander verknüpft, verwickelt, keine Geschichte wäre eindeutig und klar, überall würden Geheimnisse und Zugeständnisse an das eigene Leben, an das Leben mit der Familie, an die Politik warten, alles würde eine Kette, eine sich weiterdrehende Spirale des Lebens bilden. Man könnte sagen, eben das Leben pur.

Das Buch endet mit dem Titel: „Am Himmel ballen sich dichte Wolken, Wind fährt durch die Bäume und auf einmal klingt das Rauschen der Blätter, als fiele leicht und leise der Pflaumenregen“.

One thought on “Frauenblick: Pflaumenregen

  1. Der Autor der Publikation hat sich die asiatisch – pazifische Konfliktregion genauer angesehen, vor dem Hintergrund des Revisionismus des Kremls und Pekings, der Literaturkritiker mag den Pflaumen-Regen als Obstruktionismus, oder als Apokalypse fallender Bomben assoziieren, während der politische Kritiker hinter der Chinesischen Mauer ,,bitte nicht einmischen in die inneren Angelegenheiten. Peking vorschlägt, dass keine Strategie Länder dazu verleiten sollte, selektive und exklusive militärische Allianzen zu bilden (Schaffung neuer Blöcke des Kalten Krieges u. Konfrontation) In Bezug auf Taiwan – der Vertreter der Regierung Ten ,,Es gibt nur ein China auf der Welt, Taiwan ist ein integraler Bestandteil Chinas (in diesem Zusammenhang stehen die chinesisch-australischen Beziehungen derzeit vor ernsthaften Schwierigkeiten). Ist die Situation in Taiwan, Nordzypern, DNR, LNR, Naddniestrza und Berg-Karabach identisch? Anlässlich des 100-jährigen Bestehens der KPCh, hat der chinesische Präsident Xi, den Westen unmissverständlich davor gewarnt ,,die Bemühungen ausländischer Kräfte, die sich in die Angelegenheiten Chinas und der Region einzumischen – erklärt, dass sich die Nation der Wiedervereinigung Taiwans und der Gewährleistung anhaltender Stabilität in Hongkong verschrieben hat mit dem Versprechen, dass alle von außen kommenden Einschüchterungskräfte unweigerlich mit dem Schädel gegen die chinesische Mauer schlagen werden! Außerdem stelle sie bitte vor, nicht nur Uiguren Unterdrückung aber auch der regelrechte Krieg der Regierung gegen den investigativen Journalismus hat Redaktionen schließlich davon abgehalten, Zeit und Ressourcen in langwierige und kostspielige Recherchen zu investieren, die zensiert werden oder Medienschaffende in rechtliche Schwierigkeiten bringen könnten, sondern aber auch, eine Metergenaue Standortbestimmung auf der ganzen Welt – die langjährige Ionosphäre und die Stratosphäre für die militärische Untersuchungszwecke , dahinter stecken satellitengestützte Navigationssysteme wie GPS (USA), GLONASS (Russland), Galileo (Europa) und Beidou /Compass (China). Das deutsche Cybersicherheitsunternehmen Cure 53 fand heraus, dass die vom E-Commerce-Giganten Alibaba für die Partei entwickelte App ohne das Wissen des Nutzers persönliche Daten sammeln könnte. Und der Status Taiwans nach internationalem Recht? Sollte eine mögliche chinesische Militärinvasion genauso beurteilt werden wie die russische Aggression gegen die Ukraine am 24. Februar 2022? Pardon – die Aggression begann Ende Februar 2014 mit der russischen Besetzung der unter ukrainischer Hoheit stehenden Schwarzmeer – Halbinsel Krim, dies erfolgte unter Einsatz russischer Streitkräfte ohne Hoheitszeichen s.g. Grüne Männchen, danach bis heute als (zynische Befreiung) Spezielle Militäroperation. Wie könnten der ukrainische und der taiwanesische Konflikt miteinander verbunden sein? Zur Staatenfamilie, der internationalen Gemeinschaft zu gehören, muss man die s.g. Bedingungen der Staatlichkeit erfüllen. Traditionell werden drei Kriterien zugrunde gelegt: Territorium, Bevölkerung und Hoheitsgewalt. Die Anerkennung eines Staates ist keine konstitutive Voraussetzung für Staatlichkeit, sondern hat eine deklaratorische Dimension. Die Anerkennung eines Staates durch einen anderen Staat ist dessen souveräne Entscheidung, und die Anerkennung eines Staates ist auch ein Zeichen für die Legitimität des Prozesses seiner Gründung. Unter bestimmten Bedingungen verbietet das Völkerrecht die Anerkennung eines Staates – dies kann die Folge der Entstehung eines Staates als Ergebnis eines nicht völkerrechtskonformen Prozesses sein – Aggression, und das Fehlen der Anerkennung hat schwerwiegende praktische Folgen. Es lohnt sich, mit dem sicheren und unbestreitbaren Status Taiwans als Teil Chinas zu beginnen, auch wenn der Friedensvertrag von San Francisco von 1951 in diesem Punkt äußerst kryptisch formuliert war: Japan verzichtete auf die Souveränität über Formosa – Taiwan, aber ohne den Empfänger der Gebietsabtretung. In diesem Zusammenhang gibt es eine Reihe von Studien, in denen die Bestimmungen des Vertrages sehr unterschiedlich ausgelegt werden! Es besteht kein Zweifel daran, dass Taiwan alle Voraussetzungen für eine Eigenstaatlichkeit erfüllt, auch wenn es aufgrund der Ein-China-Politik nur sehr eingeschränkt in der Lage ist, vertraglich-diplomatische Beziehungen aufzunehmen und Mitglied in internationalen Regierungsorganisationen zu werden. In den Ländern, die die VR China anerkennen, unterhält Taiwan s.g. Büros für kulturelle und wirtschaftliche Zusammenarbeit, die de facto diplomatische Vertretungen der VR China sind, aber nicht de jure. Taiwan wird als Republik China von 13 Ländern in der Welt anerkannt, die die VR China nicht auf diese Weise anerkennen. Länder, die mit Taiwan zusammenarbeiten – formell als Chinesisch-Taipeh bezeichnet, weil dies der einzige Name ist, den die VR China in der externen Kommunikation akzeptiert – behandeln Taiwan als eine bestimmte Entität, die ein ,,de facto,, Staat ist, mit dem verschiedene Arten von internationaler Interaktion durchgeführt werden, aber nicht auf einer formellen – offiziellen Ebene, auch wenn Taiwan in der externen Kommunikation immer wieder betont, dass es ein territoriales Meer und einen territorialen Luftraum hat und dass aggressive Aktionen der chinesischen Marine und Luftwaffe Sphären des taiwanesischen Territoriums verletzen! Sie beruft sich auf Artikel 39 der UN-Charta oder auf Artikel 2 Absatz 4, der die Anwendung von Gewalt in zwischenstaatlichen Beziehungen verbietet. Der Ausschluss Taiwans aus der Gruppe der ,,Staaten,, hat aus der Sicht des ,,harten,, Völkerrechts schwerwiegende Folgen. Wenn man kein Staat ist, gibt es keine Konzepte wie, das Verbot der Gewaltanwendung, der Selbstverteidigung, der Aggression, ohne das gesamte Spektrum zu analysieren – ius ad bellum, den Konflikt nur auf die Ebene des humanitären Völkerrechts zu reduzieren, und der mögliche Konflikt wäre interner Natur und die Regeln des Völkerrechts, des Staatenrechts gelten nicht für ihn, nicht nur das, die mögliche Einmischung externer Faktoren in diesen Konflikt wäre ein Verstoß gegen den Grundsatz der Nichteinmischung! Ist es nicht zu anspruchsvoll oder!? Ich überlasse es den Lesern, ohne wenn u. aber die logische Schlüsse zu ziehen (…..)

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