Frauenblick: Norblin-Fabrik

Monika Wrzosek-Müller

Neue Räume in Warschau

Eigentlich hatte ich vor, in Warschau lange Spaziergänge zu meinen alten, aber auch den neuen Orten zu unternehmen. Doch die Tage sind zu kurz, auch es ist zu dunkel, das Wetter spielt manchmal völlig verrückt; es gibt Schneegewitter oder Hagelstürme, dann scheint plötzlich die Sonne und mich überfällt eine Lethargie, die ich erst einmal überwinden muss, bevor ich mich überhaupt in Bewegung setzten kann. Sich aus dem geschützten und noch sehr altmodischen Viertel Saska Kępa in die Großstadt zu bewegen, erfordert Mut; hier ist alles klein, bekannt, überschaubar; drei größere, vertikal verlaufende Straßen und etwas mehr horizontale. Natürlich findet man auch hier schöne alte Bauhaus-Häuser, noch nicht herausgeputzt, noch im Urzustand, die mich anlächeln. Manchmal verfehlen die allzu pingeligen Renovierungen ihr Ziel, sie lassen die alte Patina verschwinden, zusammen mit der Schönheit und Einfachheit, zu schade. Doch die große neue Welt befindet sich eindeutig außerhalb von diesem Viertel.

Vor ein paar Tagen habe ich mich dann doch rausgewagt und bin in andere Räume, Stadtteile von Warschau aufgebrochen, eigentlich ganz im Zentrum, wohin ich früher nie vorgedrungen war. Der Raum hinter dem Zentralbahnhof, hinter der Shoppingmall „Złote Tarasy“, voll von richtigen Wolkenkratzern, Hochhäusern und mit ganz breiten geraden Straßen, hat mich erstaunt. Es ist da so viel entstanden, ganz neue Viertel, die für mich eher nach einer Metropole in Amerika aussehen und dem mir unbekannten New York als nach dem mir bekannten Warschau. Umso mehr freute ich mich, als ich die alten, gerade renovierten Gebäude der Norblin-Fabrik von weitem sah. Sie bilden einen schönen Kontrast zu der übrigen Bebauung in der Gegend. Eigentlich müssten wir in Europa doch aufpassen, nicht überall dasselbe zu produzieren und zu reproduzieren, dieselben Glasfassaden mit den schnell sich bewegenden Liften draußen, alles hochmodern und zugleich eher unmenschlich, so dass das individuelle Gesicht einer Stadt völlig verschwindet. Am „Rondo ONZ“ wehte der Wind so stark, dass viele Leute ihre ursprüngliche Route aufgaben und umkehrten; ein Mann im Rollstuhl wäre fast auf die Straße geweht worden, wären da nicht zwei kräftige junge Männer gewesen, die ihm halfen.

Endlich aber war ich doch bei der Norblin-Fabrik, Gebrüder Buch und T. Werner, angelangt und bewunderte erst einmal von außen das sehr schöne Objekt, das sich über mehrere alte Fabrikgebäude erstreckt mit den integrierten Bürotowern dazwischen. Von weiten sieht man schon ein nicht allzu buntes Murale von Pola Dwurnik, das die Fabrik darstellt und im Stil ihres berühmten Vaters, einen Maler, gehalten ist. Die Wahl der Materialien bei der Instandsetzung der Fabrik hat mich begeistert, neben edlen Holzarten gibt es Rosteisen [oxidierten Stahl], schöne Steinfußböden mit eingelassenen alten Schienenresten, die schöne Muster auf dem Boden bilden. Alles ist sehr elegant, präzise und in guter Harmonie zwischen der alten und modernen Struktur eingerichtet. Revitalisiert wurden insgesamt 9 alte Gebäude, die auch Baudenkmäler sind, sowie 50 Maschinen aus dem alten Maschinenpark, die im ganzen Gelände ausgestellt stehen, z.B. eine hydraulische Presse, die 50 Tonnen wiegt. Manche der Maschinenteile wurden ihrer ursprünglichen Funktion enthoben und fungieren z.B. als Untersätze für die Glastische, für die Bänke. Manche von den Gebäuden wurden komplett neu, aber in historischer Gestalt wiederaufgebaut.

Die Geschichte der Familie ist bemerkenswert: der Sohn eines Zeichners und Malers Warschauer Motive, des Franzosen Jean Pierre Norblin de la Gourdine, Aleksander Jan Konstanty Norblin, genannt John, geboren 1777, wurde nach langer Ausbildung in Paris zum Metallgießer (Bronze) nach Warschau angeworben und gründete dort 1820 die Norblin-Fabriken, damals „Warszawska Fabryka Bronzów“ (Warschauer Bronze-Fabriken) genannt. Sie produzierten hauptsächlich künstlerische Objekte in Bronze, z.B. große Leuchter für Kirchen, Epitaphien, auch Büsten. Er arbeitete viel für die Familie Czartoryski, fertigte eine Büste des Fürsten, auch Figuren und Ornamente für die Gräber der ganzen Familie. Erst später begann die Fabrik, auch Alltagsgegenstände wie Besteck etc. herzustellen. Die Fabrik wurde immer größer, fertigte auch die Samoware für russische Adelige; die Nachfrage nach den schönen, edlen Gegenständen stieg ständig, so wundert die Größe des Terrains, das die Fabrik einnahm, nicht. Auf dem Gelände befindet sich jetzt auch ein Museum, das die Firmengeschichte dokumentiert.

Noch sind nicht alle Räume in der Fabrik fertig und belegt, das Gelände wurde erst Ende September 2021 eröffnet; doch jetzt schon kann man sehen, dass es eine gelungene Mischung von Kunst bietet: zwei Galerien, Kultur, ein sehr luxuriöses Kino, „Kinogram“, mit einer noch moderneren Bar, mit mehreren Kinosälen, ein Bereich für eine Bio-Markthalle, „Biobazar“, wo man frische Bioprodukte kaufen und auch essen kann, und ein ganz großer Bereich für eine Food Town mit 23 gastronomischen Konzepten aus Europa, und anderen Teilen der Welt, wo man in geräumigen Fabrikhallen gut essen kann. Hier ist auch eine wunderschöne Piano-Bar untergebracht mit einer Bühne für die live-Musik und Tanzflächen.

Ich schlenderte langsam durch das ganze Gelände, das noch nicht überlaufen ist, und irgendwann gelangte ich in den ersten Stock mit einer wunderschönen Ausstellung in geräumigen, sehr gut designten Vitrinen, die aus den alten historischen Wagen der Fabrik gefertigt sind: die ganze Produktion der Fabrik von silbernen und versilberten Objekten; wir sehen Vasen, Platten, Besteck, Kelche, Kannen, Unterteller, Silberringe, Zuckerdosen, überhaupt Dosen etc… Großer Beliebtheit erfreuten sich kleine Tischbürsten mit ebenso kleinen, schön verzierten Schaufelchen. Ich erinnere mich an die alten, halb „aufgegessenen“ Löffel, die meine Oma in ihrer winzigen Wohnung in Mokotów noch benutzte und die sie über die Verbannung nach Kasachstan bewahrt und dann mit zurückgebracht hatte. Mit den Löffeln konnte man nichts mehr essen, die Versilberung war gesprungen, sie kratzten und man konnte sie nicht mehr richtig reinigen. Das meiste Silber war natürlich da, in der Verbannung, verkauft oder in Essbares eingetauscht worden; geblieben waren für uns Enkelkinder Erinnerungen wie: „das war doch echtes Norblin, oder eher Fraget“. Meine Oma schätzte die Erzeugnisse dieser polnischen Fabriken sehr und sie erzählte mir, dass in dem Flügel, den sie in ihrer Wohnung in Lemberg hatten zurücklassen müssen, drei Komplette von je 24 Besteckteilen für jede ihrer drei Töchter eingelagert waren; sie konnten nicht so viel in die Verbannung mitnehmen. Als ich vor ein paar Jahren in Lemberg war, auch in ihrer Wohnung, zwar verkleinert, denn da wohnten nun drei Familien, konnte ich keinen Flügel ausfindig machen, geschweige denn die Besteckkomplette für die Mädchen.

Die Norblin-Fabrik scheint mir eine Mischung aus Zukunft und fortgesetzter Vergangenheit in diesem während des Zweiten Weltkrieges wirklich total zerstörten Warschau zu sein. Im Sommer wird sich der Ort bestimmt mit Tausenden von Besuchern füllen.

One thought on “Frauenblick: Norblin-Fabrik

  1. ” während des Zweiten Weltkrieges wirklich total zerstörten Warschau zu sein”
    tak, ale splonely nie tylko kamienice i parki , ale i ludzie ktorzy w nich zyli;
    dlaczego o nich sie wcale nie mowi (zarowno w w-wie, jak i berlinie)?
    dziekuje za wspomnienie;

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