Krzysztof Jagielski
1.
Ende Juli des Jahres 1980 gab es Streiks im Gdingen, dann in Lodz und Warschau.
Die Regierung versuchte durch die Erhöhung der Löhne die Situation zu dämpfen.
Es schien als ob diese Politik Früchte tragen würde; dazu kamen kosmetische Änderungen an der Parteispitze. Ich erwartete schon das Ende der Protestbewegungen.
Mitte August, wegen der ausbleibenden Lieferungen, lag mein Schiff, m/s „Dęblin“ an der Rumänischen Kai in Stettiner Hafen. Es gab keine Streiks; die meisten Matrosen nahmen Frei, und fuhren nach Hause zur Familien ins Umland.
Ohne Druck versorgte ich das Schiff und übriggebliebene Besatzung.
In der Büros trank man Kaffee, plauderte über Streiks, als ob sie auf dem Mond stattfinden würden. Doch die Ruhe war trügerisch; die Menschen waren angespannt und voller Erwartung.
Am 14. August streikten kurz die Fahrer des staatlichen Bauunternehmens Transbud.
Ich hörte abwechselnd die Auslandssender: Voice of America, Radio Free Europe, BBC London etc.
Die Landesmedien berichteten von „erhöhten Arbeitsbereitschaft“, „zusätzlichen Lieferungen“ und „sporadischen Unterbrechungen in der Arbeit“(…).
Am selben Tag kam die Nachricht vom Streik in Danziger Werft. „Streikt, streikt!“ rief ich innerlich.
Am 15. August standen an der Danziger Bucht alle Räder still. Endlich!
Alle telefonische Verbindungen wurden gekappt – unmissverständliches Zeichen, dass die Regierenden die Situation bedrohlich fanden.
Doch was wird in Szczecin? Das Wetter war regnerisch und es schien, als ob sich die Wolken immer mehr zusammenbrauen (…). Ich wusste, es wird etwas geschehen.
Am nächsten Tag traf Ministerpräsident Babiuch vor die Fernsehkameras und bezichtigte die „antisozialistische Kräfte des Aufwiegelung der arbeitendes Volkes“.
Der Erste Sekretär der polnischen kommunistischen Partei, Gierek, unterbrach sein Urlaub auf Krim und flog nach Warschau zurück.
Doch die Lawine rollte und war nicht mehr zu stoppen.
Am Sonntag waren die Kirchen überfüllt; man sang patriotische Lieder: „Freies Vaterland gib uns wieder o Herr…“; das Händedruck wurde stärker, ansonsten schwieg man (…).
Am Montag, den 18.08., fuhr ich Richtung Werft zum Lieferbetrieb „Baltona“.
Schon vor weitem sah ich weiß-rote Fahnen. Ich gab Gas.
Über dem Eingang der Parnica-Werft ragte ein Riesenaufschrift: „BESATZUNGSSTREIK“. Vor und hinter dem Tor – Arbeiter.
Ich schaute; ich schaute lange und spürte plötzlich wie mir die Tränen zu rollen anfingen.
2.
In der „Baltona“ gab es allgemeine, aber freudige Aufruhr.
„Warski–Werft steht!“ schrien die Menschen und fielen sich in die Arme.
Ich war überwältigt und entschloss mich hinzufahren.
Eine Riesenmenschenmenge stand vor dem Haupttor.
Doch es wurde noch nicht gestreikt: „Wir warten auf den Brych, das Fass ist voll“ sagten die Arbeiter (…).
Diese Nacht konnte ich nicht schlaffen.
Dienstag morgen fuhr ich zum Schiff vorbei an Warski–Werft.
Riesenaufschriften: „Streik“; „Wir solidarisieren uns mit den Danziger Werftarbeiter“; „Wir unterstützen berechtigte Förderungen”.
Am Tor, neben dem Werkschutz, standen Arbeiter mit Helmen und weiß-roten Armbinden.
Auch in Parnica-Werft wurde gestreikt.
Im Hafen angekommen bemerkte ich seltsame Ruhe; alle Kräne standen still.
An Bord wurde mir bestätigt – der Hafen steht; auch Reparaturwerft, das Stahlwerk, das Containerfabrik „Unikon“ und städtische Verkehrsbetriebe streikten.
Vor den Geschäften, trotz des Schauerwetters, bildeten sich Riesenschlangen; alle Lebensmittel, bis auf Salz, wurden restlos aufgekauft.
Ich entschloss mich zum Warski-Werft zu fahren.
Am Haupteingang stand eine Menschenmenge; manche schrieben von den an dem Tor befestigten Transparenten etwas ab… Streikförderungen!
Ich fing an mitzuschreiben: „Punkt 1. Gründung der freien und, von der Partei und Regierung,
unabhängigen Gewerkschaften…“
Ich hielt kurz inne und las noch mal… Ja! Freie Gewerkschaften. Endlich…
Dann folgten weitere 35 Punkte.
„Schnell abschreiben“ sagte ich mir „bevor die Stasi kommt“ (…).
Zu Hause angekommen setzte ich mich an die Schreibmaschine und vervielfältigte die Liste bis mir die Finger anschwollen.
Diese Nacht schlief ich wie ein Stein.
3.
Am 20. 08. gab es weiterhin schlechtes Wetter.
In den morgigen Nachrichten von RFE hörte ich Informationen über Verhaftungswelle unter Mitgliedern von KOR, KPN und ROPCiO, der oppositionellen Bewegungen.
Bis zu diesem Tag war ich eigentlich nur ein Mitläufer; zwar ein erklärter Gegner der Kommunisten, doch ohne mich organisatorisch irgendwo zu betätigen.
Ich wäre bereit auf die Barrikaden zu klettern; doch es gab kein Ruf.
Mein Betrieb war fest in der Hand der Parteimitglieder; es gab keine Streikwillige.
Vielleicht streikte man in Gdingen, doch wir wussten von nichts – es gab keine Telefonverbindungen.
Das Wetter wurde so stürmisch, das man von Schiff aus zusätzliche Leinen an das Kai binden musste. Obwohl im sicheren Hafen, tanzte das Boot wie verrückt.
Von einem Zöllner, der bei uns vorbeikam, erfuhr ich, dass gestern gegründete Interbetriebliches Streikkomitee (MKS) die Gespräche mit einer Regierungsdelegation aufgenommen hat; ich entschloss mich zum Werft zu fahren.
Das Haupttor war mit den Blumen übersät; überall National- und Papstfahnen, sowie Riesenbilder von ihm und Madonna von Tschenstochau; auf der Mauer, wo ein Lautsprecher befestigt war, saßen die Arbeiter. Es wurde eine Direktübertragung der Gespräche zwischen dem Streikkomitee und der Regierungsabgesandten vorbereitet.
Plötzlich hörten wir ein Stimme; raunen ging durch die Menge: „Das ist Jurczyk“.
„Wer ist Jurczyk?“ fragte ich. „Der Vorsitzende von MKS“, wurde mir erklärt.
Er bat für eine Schweigeminute für die Gefallenen des Dezemberaufstandes von 1970.
„Genialer Schahzug“ dachte ich, „wie müssen sich wohl die Regierungsvertreter jetzt fühlen?“ Dann kamen die Streikförderungen; Punkt auf Punkt.
Die Antwort des Ministers Barcikowski klang wie kratzen auf Glas; kurz darauf wurden die Gespräche vertagt.
Ich ging an die am Tor stehenden Arbeiter, überreichte die mitgebrachten ein paar Stangen Zigaretten und versprach den Streikenden fünfzig Liter Suppe aus meiner Schiffsküche täglich, und erntete als Dank den harten Händedruck eines Hafenarbeiters.
Übersetzung aus polnischen – T.J.
Fortsetzung folgt in einer Woche
Über Krzysztof Jagielski (auf Polnisch) HIER