Ewa Maria Slaska
Rapport von einer Reise
Ich kam aus dem Land der Poeten und Propheten
Eines Tages kam ich nach Berlin
Hierher
Es war Januar
Es war kalt
Mein Sohn war klein
Und ich war jung
Eines Tages kam ich nach Berlin
Hierher
ins Land der Dichter und Denker
ins Land von Hermann Hesse und Thomas Mann
Es war das Jahr 1985
Die die in diesem Jahr kamen
waren keine Helden
mehr
Und keine „liebe polnische Gäste“
mehr
Es war das Jahr 1985
Die die in diesem Jahr kamen
waren keine Europäer
noch
und keine Bereicherung unserer Multikultur
noch
Sie waren
Sie waren
Sie waren Putzfrauen und Bauarbeiter
Sie waren
Ich auch
Ich kam ins Land das
von den Dichter und Denker
nichts wusste
mehr
und von Richter und Henker
nicht wissen wollte
noch
Ich kam ins Land
wo keiner mehr Hesse und Mann las
weil man nur Frauen las
die schrieben
Mary Daly Julia Kristeva Susan Sonntag
Und natürlich Alice Schwarzer
noch
Es war kalt
der Winter was coming
and coming
Ich brauchte etwas warmes
und ich wusste nicht
was
Ich dachte es wäre Essen
Pfannkuchen
Krapfen
Blini
Ich dachte mir fehlen
Waffeln
Nuddeln
und Piroggi
Meine Welt war ein kalter Punkt
von Italo Calvino
Wir waren alle Bewohner des Null-Raums. Es war kalt.
Selbstverständlich befanden wir uns alle dort, sagte der alte Qfwfq – wo den sonst? Dass es einem Raum geben könne, wusste noch keiner. Ebensowenig eine Zeit. What use did we have for time, packed in there like sardines? Es war ein Punkt, in dem sie alle waren und alle ihre Dingen, und Sachen, und Taten. Wir fühlten alle diesen Punkt aus. Alle unsere polnischen Ellbogen und Knie.
Und dann sagte Frau Ph(i)Nkos mit einemmal: Kinder, wenn ich ein bisschen Raum hätte, wie gern würde ich euch Nudel machen. Und in dem Augenblick dachten wir alle an dem Raum, den ihre runden Arme einnehmen würden, sich vorwärts und rückwärts mit dem Nudelholz über den Teig beugend, wie ihre Brust (ich war jung) sich über den Haufen Mehl und Eier senken würd, der das große Nudelbrett fühlte, während ihre Arme kneteten…
Und so ist die Welt entstanden. Felder zum Anbau des Getreides, Berge von denen das Wasser käme, Raum, der nötig wäre, damit die Sonne mit ihren Strahlen hinkäme, Raum damit die Sonne sich kondensiere… Die Sonne, um mich zu wärmen.
Und so kam ich in die Regenbogenfabrik
Wo ich Blini briet
Salate mischte
Nudel mit Nudelholz
vorwärts und rückwärts
walzte
So ist der Raum entstanden
Wo eine Frau mich in die Regenbogenfabrik holte
Vor 20 Jahren war es
oder gar 30
Und so war es
auch wenn sie behauptet
es waren höchstens 12 Jahre
oder sagen wir Mal
17
Und wir kochten
Und aßen
Und badeten
Und lasen Bücher
Und redeten oder schwiegen
Und machten
Und organisierten
Vorwärts und rückwärts
Vorwärts und rückwärts
Vorwärts und rückwärts
Die Zeit wuchs
und sich dehnte
und dehnte
Mit Puderzucker
bestreut
Sie war und ist
meine einzige dicke wahre warme deutsche Freundin
deutsch-polnisch
Wie Maultaschen und Piroggi
Wie Karpfen und Pączki
Wie deutsch-polnische Waffeln
Und eisgekühlte wyborowa
Danke Christine!
PS.
Dieses Gedicht trug ich am 17. März 2016 in der Regenbogenfabrik vor und dabei machte ich (live auf der Bühne) die Waffeln, natürlich mit Puderzucker bestreut. Es war ein Teil eines wunderschönen Abends zum 35sten Geburtstag von der Regenbogenfabrik und zugleich ein Teil des Festivals “Berlin erzählt!”
Werbung:
Wir stehen (zeitlang mindestens) auf der RBF-Kulturwebseite mit dem Link: http://www.regenbogenfabrik.de/kultur-news-anzeigen/aufbrechen-ankommen-weitersuchen.html
Hier ist der Link zum Erzählnetzwerk Berlin, dessen Festival “Berlin erzählt!” unser Programm umrahmt: http://www.berlin-erzaehlt.de/2016_veranstaltungen.htm
Später zugeschicktes Foto
