Tanja Levy und Joasia Silberstein berichten:
Flug Berlin Antalya.Großer Schreck: wir werden den Urlaub mit dem deutschen Verwaltungsapparat verbringen. Es scheint, als ob sich die Mitarbeiter sämtlicher Job-Center und Finanzämter Brandenburgs und Sachsens in diesem Flugzeug versammelt haben.
Erster Gedanke: Smolensk! Wenn dieses Flugzeug abstürzt, kann Deutschland zumachen…
Aber, oh Wunder, Glück und Zauber: Nach einer zweistündigen Reise mit Bus und Sammeltaxi von Antalya nach Olympos, hat sich der Verwaltungsapparat in Luft aufgelöst. Stattdessen: 90 % türkische Hippie-Touristen, 7 % laut kommunizierende Amis, 3 % intellektuelle Franzosen und wir.
Ach ja, und die Russinnen. Daran zu erkennen, dass sie in romantischen Lycra-Kleidchen, die Lippen zum Kussmund, Po und Busen reckend, in den alten lykischen Ruinen posieren und sich gegenseitig fotografieren.
Olympos: Ein kleines Dorf, rechts und links von einem Bergmassiv gesäumt – eigentlich nur eine Straße.
Naturschutzgebiet und Ausgrabungsstätte zugleich.
Folge: keine Drei Sterne vier Sterne fünf Sterne Hotels aus Plastik&Beton. Statt dessen: Baumhaus-Areale.
Kein Häuschen hat mehr als ein Stockwerk. Überall weiche Podeste und Hängematten – Laden ein zum ausdösen und ausruhen – und Essen im Liegen wie die alten Römer.
Der Weg zum Strand führt durch ein Freiluftmuseum. Vorbei an 2000 Jahre alten Gräbern und Amphitheatern.
Wir wohnen im Baumhaus.
Zehn Stufen-Leiter, und im Baum ist dann das Haus, also ein Bretterverschlag.
Zwei Matratzen, eine Glühbirne, und eine Steckdose, das war’s. Aber wo anders kann man sich die Zähne putzen, im Garten, zwischen Feigenbäumen, Auberginen-Sträuchern und Granat-Äpfeln und dabei auf ein riesiges Bergmassiv gucken?
Am zweiten Tag entdecken wir Fukushima Mitarbeiterinnen am Strand. Hmmm, eigentlich sehen die Moscheen auch aus wie Atomkraftwerke, oder zumindest wie Raketen-Stützpunkte. Mit den zwei Spitzen Türmchen die scharf in den Himmel ragen.
Bei genauerem Hinsehen stellen wir fest: die AKW-Mitarbeiterinnen sind Frauen muslimischen Glaubens, die Strandburkas tragen, also Ganzkörper-Anzüge mit Kapuze – eine perfekte Mischung aus Burka und Bikini, und tatsächlich, sie heißen sogar Burkinis.
Gözleme locken. Damen mit Piratentuch und Blümchen-Hose lächeln uns wie die Sirenen von ihren Öfen aus zu. Mehrmals überlegen wir, an welchem Tag wir unserer Vollpension fremdgehen und diese türkisch native Köstlichkeit essen. Schließlich ist es soweit – zur Einstimmung summen wir schon Vormittags Gözleme,Gözleme,Gözleme… Doch was so authentisch, urwüchsig aussieht, schmeckt fader als Aldi-Toast von gestern… nein, nein, das können unsere Mädels aus der Müllerstraße im Wedding wirklich besser…
Am vierten Tag besteigen wir den Yarnatas, auch Chimaira genannt, einen Feuer spuckenden Berg. Dort hat einst die Chimäre, das Mischwesen aus Löwe, Ziege und Schlange gewohnt. – Und tatsächlich: aus den Löchern im Felsen züngelt Feuer
– das ewige Feuer! Es brennt hier schon seit der Antike. Die Türken sind praktisch veranlagt: Sie rösten über den Flammen ihre Sucuk-Wurst.
Am fünften Tag machen wir eine Bootstour.
Ein Ausflug in eine Rolex-Werbung:
wir cruizen an der türkischen Riviera entlang, planschen in einem Farbrausch aus Türkis,
zählen die 2m-grossen Carette-Schildkröten, es ist einfach technicolor, bloß echt.
Die Fenster in unserem Baumhaus sind ins Holz gesägte Löcher – natürlich ohne Glasscheiben.
Zwischen den Brettern unseres Verschlags ist Platz genug für alle Insekten der Türkei. Und sie kommen auch gern. Am letzten Tag entdecken wir, dass eine Wespe,
wir haben sie Schlamm-Wespe getauft, ein Haus auf Tanjas Jacke gebaut hat. Aus Ton. Perfektes Töpfer-Handwerk. Im Inneren zwei gelähmte Spinnen. Die sollten wohl den frisch geschlüpften Wespen als Willkommens-Dinner dienen. Schweren Herzens haben wir ihr Kunstwerk zerstört – Die Arbeit von einer Woche, auf Wespen-Zeit umgerechnet wahrscheinlich die Arbeit von einem Jahr…
Und während die Schlammwespe total desorientiert nach ihrem Haus suchte, fuhren wir ganz und gar farb-erfüllt nachhause.