Monika Wrzosek-Müller
Von schwarzen Tulpen und Zinksärgen
Wahrscheinlich war die Wahl des Stoffes für die jüngste Arbeit von Elżbieta Bednarska, einer polnischen Regisseurin und Theatermacherin, nicht durch die Ereignisse des Angriffskrieges auf die Ukraine bestimmt. Wahrscheinlich hat die Regisseurin schon vorher die Vorlage gewählt, nämlich das Buch von Swetlana Alexejewitsch, Zinkjungen Afghanistan und die Folgen. Doch Krieg bleibt Krieg, seine Zustände, Begleitumstände und Folgen sind ähnlich und so erleben wir ein einzigartiges Spektakel, für 90 eiskalte Minuten tauchen wir in die Absurdität des Krieges und seiner Grausamkeiten ein. Die Kälte der wunderschönen, doch nicht beheizten riesigen Vierung der Parochialkirche erinnert uns umso eindringlicher an das, was die Menschen in der Ukraine jetzt erleben: Kälte, Dunkelheit, Unsicherheit, Krieg, Detonationen, Sterben… Schrecken.
Der Reihe nach; am 19. 01. 2023 fand in der Parochialkirche in Berlin-Mitte die Premiere des Stücks Zinkjungen – Von schwarzen Tulpen und Zinksärgen statt. Das Konzept, die Auswahl der Texte und die Regie hat Elżbieta Bednarska besorgt, eine polnischstämmige Regisseurin. In Zinksärgen wurden die sterblichen Überreste der jungen russischen Soldaten, die im Afghanistankrieg gestorben waren, nach Hause gebracht; die Särge waren verschlossen, damit die Eltern nicht den entstellten Zustand der Leichen sehen konnten; sie wurden von den Schwarzen Tulpen, den Flugzeugen, „nach Hause“ gebracht, in die auseinanderfallende Sowjetunion, in der die Parolen des Kommunismus nichts mehr galten. Ihr Unglück war ein doppeltes: sie kehrten nicht als Helden zurück, der Krieg wurde nicht als großer Vaterländischer gefeiert, sondern sie wurden nur zu Opfern der Lüge und der Fehler gemacht. Den Eltern wurde eine Entschädigung in den damals gerade inflationären Rubel ausbezahlt, die auch bald nichts mehr Wert waren.
Zwar schreibt Alexejewitsch: „Es geht nicht darum, möglichst viel Schreckliches zu erzählen, das ist keine Literatur. Wichtig ist eine neue Perspektive“; doch ihre dokumentarische Erzählung, so nah am Kriegsgeschehen, bietet ein Bild des schrecklich sinnlosen Krieges, der für nichts und wieder nichts geführt wurde – dessen Opfer, die zu Tausenden gefallenen Soldaten, dann sehr schnell vergessen werden sollten. Ihre Stimme ist dreifach mächtig. Sie ist selbst dahin, also nach Afghanistan, gereist und hat darüber Tagebuch geführt; sie hat mit verschiedenen Soldaten gesprochen, nach der Rückkehr dann aber auch mit den Eltern, hauptsächlich Müttern. Es wurde sogar ein Gerichtsverfahren gegen ihre vorgeblich lügnerischen Berichte angestrengt; in einigen Anklagepunkten wurde sie schuldig gesprochen und sie musste für die Gerichtskosten aufkommen. Es entspann sich danach eine längere Diskussion darüber, was es denn eine „dokumentarische Erzählung“ im literarischen Sinn bedeutet, welchen Zwängen, Pflichten unterliege sie, aber auch welche Freiheiten bringt das Genre mit sich. Es gibt nämlich den Raum der Erkenntnis, dass jeder Angriffskrieg sich früher oder später als eine Lüge, als ein Unglück für die betroffen Menschen auf beiden Seiten entpuppt.
Die große stärke aller Inszenierungen von Bednarska sind die Orte, an denen sie stattfinden; immer ausgefallen, ungewöhnlich, bildstark, unterstreichen das Thema und verstärken den visuellen Charakter des Spektakels. Mir fielen im Vorraum der Kirche sofort der Totenschädel und das Skelett auf. Die Größe und die Pracht des leeren Raumes, der kreuzartig angelegt ist, mit einer riesigen Kuppel darüber, mit ganz schlichten freiliegenden Backsteinwänden eignet sich hier wunderbar. Bei der Kirche handelt es sich um den ältesten in Berlin reformierten Gemeindebau. Auf jeden Fall spielt der Raum mit und ist Teil der Aufführung. Auch die von Aljosa Dakic gestaltete Beleuchtung mit den Fresken, die auf das Gewölbe oben durch Handbewegungen immer neu projiziert werden – sich zwischen Helligkeit und Dunkelheit ständig verschiebende Sandmengen – spielen mit. Der Zuschauer muss sich immer wieder neu orientieren und konzentriert auf das Geschehen auf der riesigen Bühne reagieren. Diesmal wurden wir eigentlich auch sitzengelassen (was angesichts der Kälte fast eine „Zumutung“ war), wir konnten uns nur umdrehen und aufstehen, normalerweise (in anderen Aufführungen von Bednarska) wurden wir auf die Reise des Geschehens wortwörtlich mitgenommen. Die wunderbar gesungenen russischen, sowjetischen Lieder runden das Geschehen ab.
Mir ist besonders die junge Schauspielerin (Florentine Schara) auf den Rollschuhen aufgefallen, die mit Tempo und Bravour mit einer riesigen roten Fahne durch den Raum rast, zu pathetischer Musik; dieses Bild gibt dem ganzen Stück zusätzliche Dynamik, überzeugt auch mit symbolischer Kraft. Dem entgegengesetzt sind die fast in Zeitlupentempo vorgeführten Bewegungen der Soldaten auf der Bank; gelungenes Spiel mit den Gegensätzen.
Mir fehlten eindeutig die Särge, ich hätte sie in den Raum gestellt, sie sind so aussagekräftig. Die Schwarzen Tulpen haben wir richtig sehen können und ihre Landung beobachten. Die Texte von Swetlana Alexejewitsch sind für etliche Kriege repräsentativ; es reicht, das Wort Sowjetunion in Russland zu ändern – und dann passt der Text auch zu dem anderen, aktuell geführten Krieg. Diese Wahrheit über die Lügen des Krieges transportiert die Aufführung ganz klar und eindeutig.
(…) es reicht, das Wort Sowjetunion in Russland zu ändern – und dann passt der Text auch zu dem anderen, aktuell geführten Krieg.
ah! so einfach ist das? und der tod von (z.b.) anna politkowskaja und martyrium von aleksander nawalny umsonst?
gute nacht;