Frauenblick. Andrzej Stasiuk.

Monika Wrzosek-Müller

Andrzej Stasiuk – nach Jahren

Vor Jahren, als ich ganz kurz im Polnischen Kulturinstitut die Spalte: Kultur, Politik, Literatur leitete, habe ich u.a. Andrzej Stasiuk zu einer literarischen Soiree eingeladen. Schon damals fiel mir auf, wie gutaussehend und erzählbegabt der Schriftsteller war, ein Typ mit Esprit, mit Lebens- und Durchsetzungskraft. Bei dem Abend war auch sein Übersetzer Olaf Kühn anwesend, das Gespräch stützte sich vor allem auf die Erzählungen aus dem Leben des Schriftstellers, das für mehrere Romane den Stoff liefern könnte; er gab auch etwas später das Buch Jak zostałem pisarzem [Wie ich Schriftsteller wurde. Versuch einer intellektuellen Autobiographie] heraus. Irgendwie erinnerte mich seine Erzählweise und der
Versuch sich selbst zu positionieren an Lessico famigliare [Mein Familien-Lexikon], 1965, und die kurze Erzählung Il mio mestiere aus Le piccole virtú von Natalia Ginzburg. Ob er ihr Werk kannte, scheint mir eher unwahrscheinlich. Damals habe ich ihn nicht danach gefragt. Stasiuk selbst beruft sich in einem Gespräch auf seine Vorbilder wie Thomas Dylan, Joseph Brodsky oder Czesław Miłosz. Es sind also eher Dichter als Prosautoren, die ihn inspirieren. Das Poetische bleibt also ein Markenzeichen in der Stasiuks Prosa erhalten.

Andrzej Stasiuk reiht sich für viele Polen in eine Figur des gepflegten Außenseiters, der gegen vieles rebelliert und sich dem „normalen“ Leben eines Intellektuellen Schriftstellers entzieht. Schon sein Lebenslauf mit der abgebrochenen Schulbildung, einem Aufenthalt im Gefängnis wegen der Rebellion gegen den Drill und unmenschliche Behandlung während des Militärdienstes, dann der Wohnortwechsel aufs noch tiefere Land (damals noch völlig unüblich…) in das Dorf Czarne in den Niederen Beskiden klingen nach einem extravaganten, selbstbestimmten Leben, das er wie ich neulich erfahren habe, fortsetzt. Später heiratete er Monika Sznajderman und zusammen gründen sie den Verlag Czarne, der bis heute existiert und sehr gute Literatur (vor allem die aus dem sog. Mittelosteuropa und Reiseliteratur) herausbringt.

Natürlich denkt man bei Stasiuk an seine wunderschön herausgegebenen Bücher wie Dukla schon im Verlag Czarne [Die Welt hinter Dukla] in der schönen Übersetzung von Olaf Kühn, oder Kruk [Der weiße Rabe]. Später folgen viele Titel, viele gute Romane, fast jedes Jahr einer, die sehr oft weiterhin von Olaf Kühn ins Deutsche übertragen werden. Er schrieb auch über seine Lesereise in Deutschland das Buch unter dem Titel Dojczland, das mit demselben Titel in Suhrkamp 2008 erschienen war. Irgendwann wurden seine Bücher eher von Renate Schmidgall übersetzt. Der letzte Titel, der mir in Erinnerung geblieben ist, hieß Wschód [Der Osten]. Stasiuk schien sehr viel zu reisen, schien auf einem poetischen, Selbstfindungsweg zu sein. Der Osten, weite Steppen, die Wüste, menschenleere Räume, unberührt und manchmal doch grausam, die Ukraine faszinierten ihn; da suchte er seine Wurzeln und sein Verständnis der Ereignisse. Er entzog sich weiterhin dem „modernen“ Leben, benutzte kein Handy, war in keinen Netzwerken unterwegs.

Fast nebenbei, oder doch erst später fing er auch an, sich für Musik, für Jazz zu interessieren und dieses Interesse verfolgt er bis heute. Schon 2007 gab er zusammen mit Mikołaj Trzaska und anderen Musikern einen Album Kantry heraus, in dem er von der Reise über das ehemalige Jugoslawien berichtet. Bei langsamen Klängen, jazzartig werden die Szenen untermalt, kommen die Erlebnisse der Reise noch besser zur Geltung; z.B. die Stücke Istrianna und Sarajewska. Zugegeben Stasiuk verfügt über eine sehr angenehme, tiefe, melodische Stimme, fast priesterliche, ohne belehrend zu klingen.

2020 erschienen weitere zwei CD mit Trzaska Grochów głosem [Grochow (Stadtviertel von Warschau) mit der Stimme] liest Stasiuk seine frühen Texte über die Gegend (die auch teilweise in Tygodnik Powszechny veröffentlicht wurden) und wird wiederholt von den Musikern begleitet. Für die Fans dieser rechtsseitigen Weichsel Warschau ein Muss. Er beschreibt noch die erhaltenen Holzhäuser und das ärmliche, meistens Arbeiterleben und den Stolz der Bewohner, die für ihren Viertel zwar leidend doch gradestehen. Die Musik ist wirklich minimalistisch, so dass die Texte gut hörbar und nachvollziehbar sind. Dabei kommt es sehr gut heraus, worum es Stasiuk wie auch in seinen Prosawerken geht, mit vielen Beschreibungen der Natur hebt er das Poetische, Erlebte, die Landschaften, Orte nach oben; er erlebt das sehr intensiv und hautnah, dadurch wirkt alles sehr authentisch und keineswegs snobistisch und überzogen.

Später gibt es noch eine CD mit der Gruppe Haydamaken, eine sogar schon 2018 unter dem Titel: Mogiły Haremu und jetzt 2021 eine neue, in der er die Gedichte von Mickiewicz vorträgt.

Der eigentliche Anlass, warum ich über Stasiuk jetzt gerade schreibe, ist sein neues Album Opla Stasiuk Trzaska. Es ist eine Improvisation um die polnische Religiosität und Gewalttätigkeit. Stasiuk selbst hebt die Musik hervor, seine Rezitation beschränkt sich hier aufs Beten, das Beten an die heilige Maria, das Gemurmel. Das Album wurde mit großer Aufmerksamkeit in den polnischen Medien aufgenommen, es gab viele Interviews mit dem Schriftsteller; in einem sagt er sehr deutlich und unverblümt, worum es ihm geht: „Ich sage: ‘jetzt wird es über Polen und die Heilige Maria gehen’ und die Zuschauer und Zuhörer flüstern: ‘jetzt wird er PIS und die Religion mit Scheiße bewerfen.’ Wie groß war dann die Überraschung, dass ich einfach ein Gebet gesprochen hatte“. Stasiuk berührt schon interessante Seite der polnischen Religiosität, er spricht von einem fast heidnischen Kult der Maria und dazu kommt von der Musikerseite der Rhythmus von Oberek. Oberek ist ein polnischer Drehtanz, in dem sehr bewegten und raschen Tanzschritten drehen sich die Paare, immer schneller und immer wieder, man denkt fast an die Derwische, an ihre Drehfiguren und das Magische, Mystische, das dabei entsteht. Das findet auch Stasiuk, Oberek symbolisiert für ihn gut polnische Wirklichkeit, es drehe sich alles im Kreis ständig und wiederholt, und irgendwann versuche man sich loszureißen, manchmal per Zufall scheint es, als würde es für eine Weile gelingen und dann gleich danach kommt die Bauchlandung. So bleibt nach einem Fest, nach einer Hochzeit nur Kater. Die Gruppe hat diese Musik, die ganze CD den Sommer über probiert, aufgenommen, auch immer wieder aufs Neue versucht, die richtige Stimmung, den richtigen Rhythmus zu treffen.

Das, was mir bei Stasiuk gefällt, er bleibt sich selbst treu, läuft nicht mit, kritisiert auch gezielt, immer seinen Standpunkt bewahrend.

Inzwischen ist auch ein neuer Roman Przewóz [Flussfähre, Flussüberfahrt] von ihm erschienen, ein Buch über die Normalität des Krieges, das Alltagsleben unter widrigen Umständen, mit Gerüchen, Stimmungen und Atmosphäre.

Auf jeden Fall ein Schriftsteller, den man beobachten soll.

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