Kassandra

Monika Wrzosek-Müller

„Was wir wissen können“

Ich will nicht wie Kassandra klingen und eigentlich wollte ich, dass sich meine Befürchtungen nicht so schnell bewahrheiten. Trotzdem spürte ich schon lange, dass wir hier, in Deutschland als Gesellschaft, als Land irgendwohin driften, wo es ziemlich düster aussieht, aber auch, dass die Welt nicht optimal vorankommt, sei es in Sachen Klimakrise oder angesichts der vielen Konflikte, die militärisch und nicht diplomatisch gelöst werden. Manche Konflikte erscheinen einem unlösbar, andere werden von Kräften blockiert, die offensichtlich niemand bewegen kann. Für mich fehlte es in der westlichen Welt von Anfang am Gedanken der Solidarität in den Gesellschaften, in den Familien, in Deutschland fehlte es auch an einem positiven nationalen Gedanken, aus bekannten Gründen; die Religionen haben ihre Rolle bei der moralischen Bildung der Menschen sowieso schon längst aufgegeben. Je tiefer der Individualismus in die Falle des Narzissmus geriet, desto schwieriger gestaltete sich der gesellschaftliche Zusammenhalt. Jeder zog für sich das Wenige heraus, das er erlangen konnte, und das meiste blieb sowieso in den Händen der Wenigen, die materielle Güter ohne Anstrengung und Arbeit vervielfachten; einfach durch irgendwelche dubiosen Geldanlagen, Fonds und Spekulationen. Inzwischen sind wir an einem toten Punkt angelangt, wo wirklich eine Minderheit in den westlichen Ländern so viel Geld besitzt, dass sie eigentlich über alles bestimmen könnte. Anrüchig dagegen sind „nur“ die Oligarchen und die Mafiosi; dass mit legalen Mitteln des Finanzmarkts dasselbe passiert, interessiert eigentlich niemanden, und dass wir hier in Deutschland längst zu einer „unverdienten Ungleichheit“ gekommen sind und sich die Erbgemeinschaft ausgebreitet hat, wird nicht laut besprochen, und dass das alles unzertrennlich mit unserer Demokratie und Freiheit verbunden ist, die inzwischen auch bedroht sind, wird auch irgendwie außer Acht gelassen.

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Frauenblick auf Toscana

Monika Wrzosek-Müller

Maremma-mare ma

Schon wieder ist ein Jahr um; ich merke es nicht einmal so deutlich an meinem Geburtstag wie am Aufenthalt in der südlichen Toskana. Die Signora grüßt uns überschwänglich, für sie ist auch ein Jahr glimpflich vergangen. Der heiße Sommer ist nun vorüber, die schöne ruhigere Zeit mit wenig Touristen aber doch sonnigen, klaren Tagen beginnt. Das Meer ist immer noch warm, erstaunlich warm, die Blaukrebse vermehren sich darin überraschend schnell, vor allem begünstigt durch die Lagune mit ihrem Brackwasser.

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Blackpool

Monika Wrzosek-Müller

Ewa fährt nach Blackpool, nicht im Sommer, sondern eher in der dunklen, herbstlichen, fast vorweihnachtlichen Zeit.

Aus den Tiefen meiner Erinnerungen tauchten Erzählungen meiner Mutter auf, über ihre Englandreise im Jahr 1958 – ein für die damalige Zeit in Polen unerhörtes Ereignis. Meine Tante und meine Mutter hatten sich auf Einladung irgendeiner Dienststelle der RAF (Royal Air Force) auf die Reise gemacht, denn die Air Force konnte die Witwenrente, die meiner Oma als Ehefrau eines im Krieg gefallenen polnischen RAF-Piloten zustand, nicht nach Polen auszahlen und man wollte wenigstens den Töchtern die Reise zum Grab ihres Vaters, meines Großvaters, in Großbritannien ermöglichen.

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Affari tuoi oder Deal or no deal

Monika Wrzosek-Müller

Wie jedes Jahr gehört der September meiner geliebten südlichen Toskana, der Maremma. Seit vielen Jahren pilgern wir hierher; ich schreibe bewusst „pilgern“, weil es sich für mich auch etwas wie eine spirituelle Reinigung anfühlt. Von weitem grüßen die riesigen Schirme der Pinien, das Meer glitzert, die Menschen lachen, die langen Fahrradpisten sorgen auch für sportliche Herausforderungen, der Kaffee kostet immer noch 1,60, ein budino di riso (eine Spezialität in der Toskana, ein Reisküchlein) 1,50, das Eis gibt es in unmöglichsten Geschmacksrichtungen, auch Dubai-Schokolade ist dabei, das Essen schmeckt überhaupt hervorragend; das hört sich wie eine Ansammlung von Klischees an, doch es ist die reine Wahrheit, die wir hier Jahr für Jahr erleben. Dieses kleine Paradies befindet sich unter dem Monte Argentario, und auch wenn rundherum in der Welt vieles den Bach runter läuft und wir als passive Beobachter untätig bleiben, bilde ich mir ein, hier darf ich das Paradies genießen.

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Der Tag danach

Monika Wrzosek-Müller

Prolog: der Text ist während einer Sitzung der Schreibwerkstatt im Polnischen Sprachcafé entstanden. Unverständlich für mich kamen Einwände von einer angeblich polnischstämmigen Teilnehmerin, dass sie über den Warschauer Aufstand nichts wüsste und nichts wissen wolle. Ihre Eltern hätten ganz andere Erfahrungen…

  1. August 2025

Der Tag danach. Gestern um 17.00 Uhr stand ganz Warschau still, hörte auf die Sirenen, dann wurden Lieder angestimmt, die polnische Nationalhymne. Unheimlich, dachte ich, als ich auf meinem Handy die Videos aus Warschau sah, die wissen jetzt mehr über den Warschauer Aufstand von 1944 als ich, die ich mein Leben lang neben meinem Vater lebend gewusst hatte. Er hat so lange geschwiegen, die Angst vor möglichen Konsequenzen war größer als sein Wille, seine Erlebnisse im Warschauer Aufstand mit uns zu teilen. Zum Glück hat er noch den Bau des Museums des Warschauer Aufstands erlebt, konnte noch aktiv daran mitwirken, indem er seine Erinnerungen aufschrieb und dem Museum übergab, sich interviewen ließ. Vielleicht hat ihn das erleichtert; da war er schon sehr alt und sehr krank… und ich war in Deutschland. Er gehörte dem Bataillon junger Pfadfinder „Parasol“ an, fast alle kamen bei den Kämpfen ums Leben, nur einige wie mein Vater verwundet, wurden aus dem völlig zerstörten Warschau in Gefangenenlager in Deutschland abtransportiert. Doch ihr Mythos lebte in Polen weiter.

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Zum Tod von Giorgio Armani

Monika Wrzosek-Müller

Mit 91 Jahren ist am 4. September Giorgio Armani gestorben, gerade noch hatte er in Paris seine Haute-Couture-Show gemanagt, noch vor Kurzem hat er ein Club, ein Kultlokal „La Capannina di Franceschi“ in Forte dei Marmi in der Toskana gekauft. Überhaupt, seine Umtriebigkeit in Sachen Immobilien war fast mit seiner Liebe zum Design, zur Mode vergleichbar. Vielleicht sammelte er seine zahlreichen Domizile wie er seine Kollektionen entwarf. Für mich war er der Guru, wenn es um Mode ging. Es gab niemanden, der solche zeitlose Eleganz zelebrierte. Seine Farbpalette war immer gedeckt und trotzdem gab es die auffälligsten Kleider, die von den schönsten Frauen auf den roten Teppichen getragen wurden. Doch das war erst viel später.

Geboren wurde er in Piacenza, seine Liebe zur Mode vertiefte er im Kaufhaus Rinascente in Mailand, direkt am Dom. Die Schneiderkunst der Herrenanzüge erlernte er beim Altmeister Cerruti. Doch bald gründete er seine eigene Marke, eigene Firma. Er war in der Mode wirklich ein Revolutionär; selbst trug er als erster ein schwarzes T-Shirt zum Jackett oder gar zu einem Anzug, abgerundet mit weißen Sportschuhen. Später war auch Nachtblau seine Lieblingsfarbe. Er baute richtiges Imperium auf, entwarf nicht nur Kleidung für Männer und später auch für Frauen, nebenbei auch die Unterwäsche, sondern auch Inneneinrichtungen mit Kochutensilien, Parfüms, Schmuck, Accessoires wie z.B. Sonnenbrillen. Er besaß unzählige Immobilien, die er selbst einrichtete, darunter auch Hotels. Die Firma gliederte sich in einzelne Unternehmen, wie Emporio Armani, Armani Jeans für jüngeres Publikum, dann besagtes Armani Privé für große Anlässe, AX. Interessant ist, dass er angeblich selbst Kontrolle über sein Unternahmen besaß und Übernahmeangebote von anderen großen Modehäusern regelmäßig abgelehnte.

Ich erinnere mich, wie ich mir bedächtig, wie in einer Kirche, seine Kollektionen in Florenz in den frühen 90er Jahren anschaute und bewunderte. Die Geschäfte waren wunderschön eingerichtet mit aber unheimlich netten Verkäuferinnen, die mich immer aufforderten: „probieren sie, Madame, das kostet nichts…“. Manchmal sagten sie mir auch, wann der nächste Schlussverkauf beginnt. Sie waren in ihrer ganzen Schönheit gar nicht hochnäsig und arrogant. Ich liebte seine Stoffe, weich und manchmal durchsichtig, fein und edel. Gekauft habe ich damals ein Seidentuch, das ich immer noch habe und trage. Es umgab ihn und sein Modeimperium eine Art von Leichtigkeit, von künstlerischem Nimbus, niemand war eifersüchtig, dass er wirklich der Modezar war und unheimlichen Reichtum angesammelt hatte.

Legendär sind seine Anwesen, von denen er sieben besaß, dazu eine Luxusjacht. Das in Forte dei Marmi, war sein erstes Urlaubsdomizil, unweit von Florenz und Viareggio an der ligurischen Küste verbrachte er auch die letzten Tage mit der Familie. Doch wunderschön anzusehen ist auch ein Komplex von historischen Bauten mit Kuppeldächern aus Lavasteinen auf der Insel Pantelleria. In der Nähe von Pavia besaß er ein kleines Schlösschen, das er als Ruine kaufte und ausbauen ließ. Auch in Paris besaß er ein Appartement, wo er sich während der Modeschauen aufhielt. Dann in Saint Tropez kaufte er ein Anwesen direkt am Meer und legte einen großen Park rundherum an. In Sankt Moriz besaß er ein Ensemble aus dem 17. Jh., wo er im Winter längere Zeit verbrachte. Nicht zu vergessen verschiedene Immobilien in Mailand, die wichtigste, die ihm als sein Wohnhaus diente, in der Via Borgo Nuovo. Alle diese Häuser stattete er mit selbst entworfenen oder gekauften Möbeln aus, ließ sehr gute Architekten für sich arbeiten, ansonsten beschäftigte er ganze Armeen von kreativen Mitarbeitern.

Ich erinnere mich, dass ich in Berlin, in der Neuen Nationalgalerie 2003 eine Armani Ausstellung mit dem Titel: „Giorgio Armani – The Style of Milano“ gesehen habe. Die Ausstellung wurde von einem sehr guten Regisseur, Bob Wilson, inszeniert in Kooperation mit der S. Guggenheim Foundation. Es war eine wunderschöne Ausstellung, die Tendenzen im Armanis Schaffen zeigte, z.B. die Rolle des Smokings in der Frauenkleidung. Natürlich spielte auch die Farbpalette von Sandfarben eine Rolle. Es waren himmlisch schöne sandfarbene bis grünlich angehauchte Smoking-Anzüge für die Frauen zu sehen. Auch die Einflüsse ferner, exotischer Kulturen wie China, Indonesien, Japan oder Polynesien waren sichtbar, aber alles in der zurückgezogenen, stillen Armani Art präsentiert, mit wirklich fantastischen Kollektionen von Anzügen, Kleidern, auch denen vom roten Teppich. Es war teilweise eine Modeschau, nur wurde sie durch ausgewählte Skizzen, Modefotos und Dokumentarfilme ergänzt. Man tauchte richtig in die Armani-Welt ein. Ich erinnere mich an ein Spektakel aus Licht, Ton und Bildern und natürlich Defilees von Mannequins in schönsten Kleidern der Welt.

Jetzt ist der Mann gestorben, doch sein Werk, seine Firma wird weiter von seiner Kusine fortgeführt. Doch der große Geist wird fehlen. Ich empfinde seinen Tod als großen Verlust für unsere Welt…

Glück der Tiere?

Monika Wrzosek-Müller

Die melancholischen Kühe

Als Kind bin ich oft in die Berge, oder eher in das Hügelland der Vorkarpaten, Beskiden gefahren. Die Reisen traten wir zuerst mit meiner Oma und meiner Tante an, dann kamen auch meine Eltern nach. Die langen Sommerferien in Polen, vom 24. Juni bis Anfang September, waren jedes Mal eine richtige Herausforderung für die arbeitenden Eltern.

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Die Kraft der Bilder, der gemalten und der gesehenen

Monika Wrzosek-Müller

Vor ein paar Tagen bin ich ins Museum Barberini gegangen; das Wetter war schon wieder sommerlich, alles aber nach den sintflutartigen Regenfällen grün, sauber, frisch, blühend, lebensbejahend. Die Gegend um das Barberini ähnelt inzwischen der Kulisse aus einem Film, der Anfang des 19. Jh. spielt und wo alles picobello aussieht; doch eigentlich gefällt mir das, die Patina und das Alltägliche werden sich noch schnell genug einnisten, der Grauschleier auf den Fassaden ausbreiten.

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Carlo Levi – Die doppelte Nacht. Eine Deutschlandreise im Jahr 1958

Monika Wrzosek-Müller

La doppia notte dei tigli

Welch eine Koinzidenz; gerade sprach ich darüber, dass in Italien auf dem Lande die „Madonna della segiolla“ von Raffael überall über den Betten hing und in Polen die „Matka Boska Częstochowska“ diese Aufgabe erfüllte. Da sah ich im Blog einen Eintrag: Matka Boska Częstochowska. Auf die Madonna kam ich wiederum über den Schriftsteller, Maler, Arzt und Politiker Carlo Levi (1902-1975), in Turin in einer wohlhabenden jüdischen Familie geboren, und über sein Buch „Die doppelte Nacht“; als Levi das schrieb, war er schon weltbekannt. Er wurde von den Faschisten schon 1935 nach Kalabrien in das Dorf Aliano verbannt. Seine Erlebnisse dort hat er in einem berühmten Roman „Christus kam nur bis Eboli“, [Cristo si e fermato a Eboli] verarbeitet. Darin beschreibt er das schwere Leben der Bauern auf den steinigen Feldern und erwähnt eben auch die obligatorische, berühmte „Madonna della seggiola“ über den Ehebetten, die er aber dann im Original im Palazzo Pitti gesehen haben muss, denn er bewohnte eine Wohnung in Florenz, während des Krieges, direkt an der Piazza dei Pitti.

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Frauenblick auf die Engel

Monika Wrzosek-Müller

Engel der Geschichte und andere Engel – und weitere Kunst in Bode-Museum

Paul Klees Engelsbilder begleiten mich schon seit langem. Es gab 2013 eine wunderbare Ausstellung dazu in der Kunsthalle Hamburg: Engel von Paul Klee. Da waren sie fast alle versammelt, kleinformatig und ungeheuer poetisch, immerhin 80 Bilder der geflügelten Wesen, die mit dem Betrachter in Dialog traten. Manchmal mit gesenkten Augen, nur mit leichtem Lächeln bescheiden etwas andeutend, was in der Luft lag, oder auf dem Herzen, aber nicht direkt und offensichtlich gezeigt werden konnte. Die meisten der Engelbilder entstanden in Klees letzten Lebensjahren, zwischen 1938 und 1940. Sie waren schon Boten, Beschützer, Begleiter und Flüsterer; man spürt die Nähe zum Tod aber auch die Verbindung zum Leben, so als ob sie mit letzter Kraft gezeichnet, gemalt worden wären; mit leichtem Pinselstrich oder gar dem Bleistift, markierten sie die Verbindung zwischen der irdischen und überirdischen Existenz.

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