Leiden der Tiere oder Affenbaby eingeschläfert

Lotta Drügemöller, taz, Sept 2025

Schimpansen züchten, Schimpansen töten

Im Zoo Bremerhaven wurde ein Schimpansenbaby eingeschläfert, die Tierrechtsorganisation Peta hat Anzeige gestellt.

Ein Symbolbild: Die Mutter kümmert sich um ihr Neugeborenes / Foto: Peter Byrne/picture alliance/dpa/PA Wire

Ob man das darf? Ein gesundes Jungtier töten, obwohl die Art vom Aussterben bedroht ist? Noch dazu: ein Schimpansenbaby – also einen Menschenaffen, wie wir auch selbst einer sind?

Die Staatsanwaltschaft in Bremerhaven wird sich dieser Frage bald juristisch nähern: Die Tierrechtsorganisation Peta hat Anzeige gestellt gegen den Zoo am Meer. Dort hatte die Schimpansin Lizzy am 4. September ein Baby zur Welt gebracht. Bei der Geburt erlitt sie einen lebensbedrohlichen Kreislaufzusammenbruch. Doch auch, als es ihr wieder besser ging, beachtete sie das Jungtier nicht, während Vater Dumas es, laut Zoo, „fürsorglich umhertrug“. Nach zwei Tagen entschied der Zoo, das Jungtier einzuschläfern.

Zoos rechtfertigen ihre Existenz mit ihrer Funktion für den Artenschutz. Goldene Löwenäffchen und Przewalski-Wildpferde wurden auch dank der ausgewilderten Nachzüchtungen aus Zoos vorerst vorm Aussterben gerettet. Um das Überleben eines einzelnen Tieres muss es dafür nicht gehen, sondern um „langfristig genetisch gesunde Populationen“, so schreibt es auch Bremerhavens Zoodirektorin Heike Kück.

Das Schimpansenbaby per Hand aufzuziehen, hätte zu einer Fehlprägung auf den Menschen geführt. Und die kann die späteren Fähigkeiten, in einer Schimpansengruppe selbst Nachwuchs großzuziehen, beeinträchtigen. Das kleine Affenmädchen ist in dieser Sicht einfach eine Vertreterin ihrer Art – und zwar eine, die sich dann möglicherweise selbst nicht arterhaltend fortpflanzt.

Zoos kommunizieren die Tötung von Tieren vermehrt in der Öffentlichkeit. Geburten und Tod gehören zum Leben, so das Argument; eine gesunde Zoopopulation muss jung sein – es braucht Fortpflanzung, nicht nur Pflege der Alttiere. Einige deutsche Zoo­di­rek­to­r*in­nen hatten im Dezember in einer Fachzeitschrift dafür plädiert, auch „überschüssige“ Jungtiere zu züchten – und bei Überpopulation zu verfüttern.

Praktisch demonstriert wurde das vom Zoo Nürnberg, der im Juli zwölf überzählige Paviane töten ließ. Und die Tötung von zwei verstoßenen Löwen- und drei Tigerbabys im Kölner und Leipziger Zoo in diesem Sommer zeigt, dass auch Publikumslieblinge nicht mehr zwangsläufig von Hand aufgezogen werden wie einst noch der Eisbär Knut im Berliner Zoo.

Unsere nächsten Verwandten

Doch im Bremerhavener Fall können sich noch einmal andere Fragen stellen: Schließlich geht es um Schimpansen als unsere nächsten Verwandten. Das Affenbaby wurde durch menschlichen Willen gezüchtet – Vater Dumas musste in einer urologischen OP eigens refertilisiert werden – und durch menschliche Hand getötet.

Das Great Ape Project (GAP) plädiert seit 1993 dafür, den moralischen Blick zu weiten und alle Menschenaffen in eine „Gemeinschaft der Gleichen“ einzubeziehen. Schimpansen haben ein Ich-Bewusstsein, sie sind, so definieren es die Verfechter des GAP, Personen und verdienen Grundrechte. Das lenkt den Blick aufs Individuum: Ähnlich wie beim Menschen dürfte dann frei nach Kant keiner nur als Mittel, sondern jeder als Selbstzweck gesehen werden.

Doch auch der Zoo argumentiert mit individuellem Tierwohl: Wie lebenswert wäre das Leben der kleinen Schimpansin, die dank Fehlprägung nicht sozial kompatibel ist?

Dass Schimpansen aus Menschenaufzucht keinen Anschluss an eine Schimpansengruppe finden, ist allerdings in vielen Fällen widerlegt. Peta akzeptiert das Argument auch nicht, so lange es von einem Zoo kommt: Dort schließlich sei überhaupt kein artgerechtes, sondern nur ein trauriges Ersatzleben in Gefangenschaft möglich. Das zumindest bleibt dem Affenkind erspart.

Leave a comment