Kochani, dziś Joanna gości w Polskiej Kafejce Językowej / Meine Lieben, heute ist Joanna zu Gast im SprachCafé Polnisch
Pfaff-Czarnecka, Joanna
Kannitverstan im Bett. In: Die Weltwoche, Nr. 40, 1996
Ende der zwanziger Jahre brach ein junger Religionsforscher nach Indien auf, wo er seine Suche gleich zweispurig betrieb. Sein Schriftstudium beim bengalischen Sanskritgelehrten Surendranath Dasgupta ergänzte er durch Sinneseindrücke: In der Freizeit suchte er unter anderem dessen Tochter Maitreyi Devi zu verführen. Die Ergebnisse beider Studiengänge sind allgemein bekannt. Der Rumäne Mircea Eliade (1907-1986) hat mit seinen Veröffentlichungen zu vergleichender Religionswissenschaft Weltruhm erlangt und ist auch als Romancier hervorgetreten. Bereits im Jahr 1934 hat Eliade sein Liebesabenteuer in Romanform gleich in zwei Sprachen veröffentlicht. Der rumänische Titel «Maitreyi» gab die Identität der Geliebten preis; der französische Titel «Les nuits bengales» («Die bengalischen Nächte») nahm den Ausgang der Geschichte vorweg.
Weitgehend unbekannt im deutschsprachigen Raum ist hingegen das Nachspiel der Geschichte, das nicht nur Eliades kulturelle Kompetenz in Sachen orientalische Erotik in Frage stellt, sondern vielmehr allgemein die Produktion des Wissens über die Anderen zum Gegenstand hat – ein immer «heisser» werdendes Thema, da die vormals stummen Objekte westlicher Darstellungen vermehrt das Wort selbst ergreifen und sich vehement zur Wehr setzen. Maitreyi Devi hat schon in den siebziger Jahren eine Replik veröffentlicht, die jetzt, da Kulturkonflikte zunehmend in der Weltöffentlichkeit ausgetragen werden, an Aktualität gewinnt;
Dabei haben im Westen Generationen Eliades «Maitreyi» gelesen und glaubten – mehr oder weniger begeistert -, in die östliche Gefühlswelt und in die orientalische Erotik eingeführt zu werden. Im Jahr 1988 ist der Roman, gegen Widerstand von Maitreyi Devi, gar verfilmt worden – dem Vorwort zum «Indischen Tagebuch» entnehmen wir, dass die Rolle Eliades ein damals ganz unbekannter britischer Schauspieler mit Namen Hugh Grant spielt.
Alan, der Ich-Erzähler des Romans, zieht auf Einladung eines indischen Ingenieurs in dessen Haus ein – ein für die damalige Kolonialgesellschaft ungewöhnlicher Schritt. Das Geschehen im indischen Haushalt wird mit Staunen und nicht selten mit großem Befremden geschildert, über das die Begegnung mit der sechzehnjährigen Tochter Maitreyi hinweghilft. Sie ist es, die die fremde Welt sinnlich und verlockend erscheinen lässt – und deren Schleier langsam lüftet. Nach einer kurzen Zeit glaubt Alan, die Sitten und die Benimmregeln seiner Gastgeber zu kennen.
Bald entsteht zwischen dem überspannt schwelgenden Europäer und der selbstbewussten und vitalen Maitreyi eine Zuneigung. Hinter gezogenen Vorhängen, hauchdünnen Wänden, im Schutz der Dunkelheit werden Zärtlichkeiten ausgetauscht, die der Autor schwülstig schildert: «Maitreyis ganze Leidenschaft schien sich unter dieser mattbraunen Haut konzentriert zu haben. Ich hielt den Arm wie eine lebendige Opfergabe in meinen Händen, verwirrt von der Intensität ihrer Erregung und die Folgen vorausahnend.»
Wollust und Laster
Die Freiheit, die Maitreyi in dem liberalen und dennoch entsprechend den Sitten hochkastiger Hindu geführten Haus genießt, ist in der Tat groß. Der junge Europäer genießt das unbeaufsichtigte Beisammensein mit Maitreyi, schwärmt und ist verwirrt. Dem staunenden Mann offenbart sich eine ungeahnte Erotik: «Die Liebe sollte ihrer Ansicht nach ganz ausgekostet werden, sonst würde die Wollust zum Laster, die Freude unserer Vereinigung auf fleischliche Begierde reduziert. Sünde. waren für sie nicht meine Versuche, ihren Körper noch gründlicher kennenzulernen, sondern die Zurückhaltung, die ich mir auferlegte und in der sie die höchsten Schauer erlebte (…). In ihrem indischen Fühlen und Denken verurteilte sie dieses Zurückscheuen vor dem letzten Schritt.»
Eliades Roman findet seinen ersten Höhepunkt in einer nächtlichen Liebesszene, in der Maitreyi sich dem jungen Mann mit einer archaischen Emotionalität und Instinkt hingibt. Er findet die östliche Lust in Maitreyi verkörpert, nach der er nur seine Hand auszustrecken braucht: «Ich beneidete sie um den Instinkt, mit dem sie auf alles einging, worauf ich Lust hatte, und es in Wonne für uns beide verwandelte.»
Erstaunlich spät realisieren die arglosen Eltern, dass der junge Europäer das Gesetz der Gastfreundschaft missachtet hat. Eliade muss ernüchtert zur Kenntnis nehmen, dass die Inder ebenso auf ihn herabschauen wie seine Gesellschaft damals auf die Inder. Innerhalb der Kastenhierarchie der Hindu ist er rituell zu unrein, um Maitreyi heiraten zu können. Für ihn endet die Geschichte mit einem augenblicklichen Hausverweis. Seinen Liebeskummer wird er meditierend im Himalaja verarbeiten.
So endet Eliades Roman. Erst 40 Jahre später ergreift Maitreyi Devi das Wort. Maitreyi Devi (1914-1990), eine in Indien prominente Schriftstellerin. und politische Aktivistin, wurde auf ihren Reisen durch den Westen immer wieder gefragt, ob sie die Maitreyi sei. Sie wusste, dass sie zur Heldin eines Romans geworden war, dessen Sprache sie nicht verstand. Offenbar hat sie aber lange nicht gewusst, dass Eliades Roman nächtliche Liebesszenen enthält. Ihren Bericht beginnt die in ihrer Ehre verletzte Frau mit der Schilderung, wie sie, 58jährig, mit Entsetzen erfährt, dass Eliade den beiden eine Bettaffäre angedichtet hätte. Sie bestreitet, dass es der Fall war, und ist erschüttert, dasssie, namentlich genannt, entehrt worden war.
Entzücken und Entsetzen
Maitreyi Devi ist eine nicht minder geübte Erzählerin. Sie schildert die Ankunft des jungen, überaus begabten jungen Europäers in ihrem Elternhaus, wo er schnell zum Mitglied der Familie wird. Sie verschweigt nicht, dass ihr Vater sich mit seinem begabten Schüler in der bengalischen Haute Volee gerne schmückte. Äußerst subtil flicht die Autorin jedoch ein, dass in ihrem Haus sogar langjährige Diener zu Familienmitgliedern zählen. Die Zeichensprache ist also komplex und nicht leicht zu beherrschen. Während Eliade das Gefühl hat, dass man ihm Maitreyi geradezu in die Arme treibt, wird ihm von der anderen Seite Freundlichkeit zuteil, aber auch eine durch seinen tiefen Kastenstatus verursachte Reserve, die er nicht in der Lage ist wahrzunehmen.
Zu Beginn ist man in Maitreyis Haus gewillt, von dem jungen fremden Mann entzückt zu sein. Die Frauen in Maitreyis Haushalt können es anfänglich nicht fassen, dass Mircea ihre Hand küsst und sich immer erhebt, wenn sie den Raum betreten. An patriarchalisches Gebaren ihrer männlichen Verwandten gewöhnt, genießen sie die angenehmen Umgangsformen des jungen Europäers, um so mehr, als er die kulturelle Distanz zu überbrücken sucht, indem er sich darum bemüht, die lokalen Bräuche zu übernehmen. Die Annäherung wird in mannigfaltigen Handlungen versucht: So lernt Eliade, nach der indischen Sitte mit der Hand zu essen und die lokale Tracht zu tragen.
Maitreyi Devis Buch illustriert in einer bemerkenswerten Weise, wie widersprüchlich Begegnungen zwischen verschiedenen Kulturen sind und wie wichtig dabei die Entscheidung auf beiden Seiten ist, eine Annäherung zu wünschen. Man freut sich über Eliades «going native», solange Friede i herrscht. Beide Seiten scheinen ihre Anpassung bis zu dem Augenblick zu genießen, da Maitreyis Vater beschließt, jeglichen Umgang mit dem Fremden zu unterbinden. Die Entscheidung, keine Kommunikation mehr zu wünschen, genügt, um die Annäherung ungeschehen zu machen. Ab sofort werden Eliades Bemühungen, sich indische Kulturelemente zu eigen zu machen, ins Lächerliche verkehrt. Weshalb soll ein Europäer indische Kleidung tragen? Weshalb biedert er sich an? Ein langer Prozess der Begegnung wird im Nu zunichte gemacht.
Dieses Jahr ist nun eine dritte Fassung von Eliades indischer Eskapade bekannt geworden, sein erstmals veröffentlicht «Indisches Tagebuch». Im Vergleich zu Roman und zu seinen kulturellen Trampligkeiten legt Eliade hier mehr der Zurückhaltung und Distanz an den Tag. Wir lese einen intensiven Bericht vom Aufenthalt Eliades auf dem indischen Subkontinent (1928-1931). Es entstehen dichte Momentaufnahmen des indischen Unabhängigkeitskampfes, der im Hause Maitreyis, kaum Widerhall findet. Detailliert erfahr wir den kulturellen Kontext, in dem sich die Liebesgeschichte abgespielt hat. Und wir stellen fest, dass die Sinnlichkeit von Eliades Berührung mit Indien im Tagebuch mehr zum Ausdruck kommt als im Roman. Im Vorwort zum «Indischen Tagebuch» geht Edward Kanterian auf Eliades kulturelle Verwirrung ein. Der Versuch, mit der Heirat die Adoption in seine Wahlheimat voranzutreiben, wird als die zweite Phase von Eliades «Indisierung» bezeichnet, die auf die Phase des Philosophiestudiums bei Prof. Dasgupta folgt. Der dritte Abschnitt spielt sich in der Eremitenklause im Himalaja ab, und erst im vierten Anlauf erkennt Eliade – wieder in einer europäischen Inkarnation-, dass er sich Indien als Gelehrter zu nähern habe. Mit der neuen Distanz ergibt sich möglicherweise der Loyalitätsbruch gegenüber Maitreyi – ein endgültiger Häutungsversuch gewissermaßen.
War die Wahrheit nicht genug?
Maitryei Devi geht es in der Replik nicht bloß darum, auf die Bettgeschichte ein Dementi zu schreiben. Sie will ein kulturelles Missverständnis zur Sprache bringen, das ihrer Meinung nach auf einem, fundamentalen Widerspruch zwischen Ost und West beruhe: Indem er den Geschlechtsakt zum Höhepunkt erhebt, bezeugt Eliade seinen westlichen Materialismus, während ihre Liebe ideeller Natur war.
Können wir uns im Westen mit dieser Gegendeutung einverstanden erklären? Ist in Eliades literarischem Frevel das westliche Denken verkörpert? Eliade erlaubt sich, Indien in der Person Maitreyis gefügig zu machen, und die verletzte Frau rächt sich mit einer einfachen Formel, welche die indische Kultur über die westliche erhebt. Wie tief der Stachel sitzt, zeigt sich in der Art, wie Maitreyi Devi aus der Warte ihres erfüllten Lebens immer noch auf den inzwischen weltberühmten Eliade als den Geliebten ihrer Jugend zurückblickt: «Armer Junge», schreibt sie, «trotz all seiner Studien verstand er unsere Gesellschaft, unseren Glauben und unsere Sitten nicht.»
Im Augenblick der Krise ziehen sich beide Seiten in die Schneckenhäuschen ihrer kulturellen Gewissheiten zurück. So fragt Maitreyi: «Warum hast Du nicht die Wahrheit geschrieben, Mircea? War die Wahrheit nicht genug? Hast Du das Buch geschrieben, um damit Geld zu verdienen? Ja, das hast Du getan – das ist die westliche Denkungsart – Bücher gehen gut, wenn sie von Sex handeln, nicht von Liebe.» In der Krise beginnen sich die Protagonisten nicht mehr als Individuen, sondern als Repräsentanten der eigenen und der fremden Kultur zu sehen. Die faszinierende sinnliche Berührung weicht dem jähen Empfinden einer glasklaren Trennung zwischen Ost und West.
Mircea Eliade: Das Mädchen Maitreyi. Deutsch von Edith Silbermann. Suhrkamp Verlag. 204 Seiten, Fr. 23.80.
Mircea Eliade: Indisches Tagebuch. Reisenotizen 1928-1931. Herausgegeben und übersetzt von Edward Kanterian. Diederichs 399 Seiten, Fr. 46.
Maitraye Devi: Liebe stirbt nicht. Rütten & Loening. Neuauflage unbestimmt
