Mein Vater Alfons

Lutz Baumann

Als mein Vater im Oktober 1909 in der Kreuzberger Reichenbergerstr. 9 geboren wurde, waren seine sieben Schwestern schon auf der Welt. Sein Vater, Wilhelm Baumann, geb. 1868 in Strelno/ Schlesien als unehelicher Sohn eines Gutsinspektors, verschlug es nach Reichsgründung und Ableistung seines Wehrdienstes nach Berlin in die Reichshauptstadt. Hier hoffte er sein Glück zu finden. Erst wohnte er mit seiner Frau in einer Laubenkolonie vor den Toren von Berlin. Dann gelang es ihn, in Kreuzberg eine Wohnung zu mieten. Seine Frau, die er in Berlin kennenlernte und heiratete, war die uneheliche Tochter eines eines Adligen. Sie stammte aus Hettstett in Sachsen /Anhalt. Das erste Kind, älteste Schwester meines Vaters, meine Tante Lydia kam 1895 auf die Welt und meine Tanten erzählten mir, dass ihre Mutter fast jedes Jahr schwanger wurde. Es folgten immer wieder Abtreibungen und die letzte im Jahre 1911 überlebte sie nicht. Da war sie 42 Jahre alt. Nach meinem Vater Alfons wurden keine weiteren Kinder lebend geboren. Die acht Kinder wuchsen dann ohne Mutter auf. Alle meine Tanten sind in Kreuzberg zur Schule gegangen und haben einen Beruf erlernt.

Mein Vater mit Hut als er, anfang der Zwanzigerjahre in Kopenhagen lebte.

Mein Vater kam 1919 zu einer Dame in Kopenhagen in Pflege. Diese Frau Nielsen, Inhaberin eines Wäschereigeschäfts, die selber keine Kinder bekommen konnte, kümmerte sich um Kinder aus Deutschland und nahm sie bei sich zu Hause auf. Mein Vater besuchte in Kopenhagen die Realschule. Seine Mitschüler waren wie er ausländische Kinder und einige hatten Diplomaten als Eltern. Die Zeit in Kopenhagen bei seiner Pflegemutter Frau Nielsen bezeichnete mein Vater später als die glücklichste Zeit seines Lebens. Es gibt ein Foto von ihm aus seiner Zeit in Kopenhagen auf dem er stolz mit einem / seinem Fahrrad zu sehen ist. In der Schule hatte er neben englisch sogar Lateinunterricht. Leider wurde Frau Niesen krank und er musste zurück nach Berlin, wo er dann bis zum Schulabschluss der achten klasse die Volksschule in Kreuzberg besuchte. Manche seine älteren Schwestern hatten mittlerweile das Vaterhaus verlassen. Inzwischen war sein Vater in eine andere Wohnung umgezogen. Die Drei-Zimmerwohnung, Vorderhaus, erste Etage in der Kreuzberger Ratiborstr.11 besaß Küche, Bad mit WC, Badeofen, Badewanne und einen Balkon. In dieser Wohnung lebte er zusammen mit seiner Schwester Martha, seiner Schwester Gretchen und seinem Vater Wilhelm Baumann. Martha führte den Hausstand und hatte das Sagen.

Mein Vater absolvierte nach Abschluss der achten Klasse eine Lehre als Kaufmann im Berliner Textilviertel am Döhnhofplatz. Nach erfolgreicher Beendigung seiner Lehre als kaufmännischer Handlungsgehilfe war er aber nicht in diesem Beruf tätig. Auf Druck seines Vaters musste er seine kaufmännische Stellung aufgeben und in dem Einmann Dachdeckerunternehmen seines Vaters mitarbeiten. Das hieß für ihn statt Anzug nun Arbeitskleidung zu tragen, beim Wind und Wetter draußen zu sein und von der Gnade seines Vaters zu leben. Es blieb ihn nichts anderes übrig, er musste sich erst mal in seinem Schicksal ergeben, da er selbst über keine Mittel verfügte, um eine eigene Bleibe zu bezahlen und ein eigenständiges Leben zu führen. Das alles geschah in den ausgehenden zwanziger Jahren, die als goldene zwanziger Jahre in die Geschichte eingingen.

Als ich meinen Vater nach dieser Zeit fragte, wurde er zornig. Für ihn und dem überwiegenden Teil der Berliner war das Leben überhaupt nicht golden. Weder besuchte er Kneipen oder Restaurants und auch andere Vergnügungen konnte er sich leisten, außer ab und zu mal ins Kino zu gehen. Haften geblieben in seinem Gedächtnis sind ihm aber die vielen Skandale dieser Zeit. Der Barmat-Bank-Zusammenbruch, die Betrügereien von Wirtschaftsspekulanten wie den Sklarek Brüdern, die seiner Meinung nach zu rücksichtsvolle Behandlung der Verbrecherwelt durch die SPD geführte Berliner Polizei. Besonders verhasst war ihn das Scheunenviertel unweit des Berliner Alexanderplatzes, das nur aus Schiebern, Betrügern, Hehlern, jüdischen Schnorrern, Dieben. Verbrecherkneipen und Kommunisten zu bestehen schien. Jedenfalls, so hatte es mein Vater in Erinnerung, als ich in den siebzigern Jahren mit ihm über diese Berliner Gegend unterhielt.

Mit Kommunisten hatte er eigene persönliche Erfahrung machen müssen. Außerhalb der Arbeit als Dachdeckerdhelfer war er immer adrett gekleidet. Man sieht ihn als jungen Mann auf Fotos mit Schlips und Kragen, dazu ein Jackett und auf dem Kopf trägt er einen Hut. Er berichtete mir, dass dies einigen Jungkommunisten in Kreuzberg gar nicht gefiel. Sie rempelten ihn in der Reichenbergerstrasse an, beschimpften ihn als einen Bourgeois, schlugen auf ihn ein und rissen sein Abzeichen vom Verein christlicher junger Männer von seinem Revers. Eine Anzeige bei der Polizei verlief im Sande.

Eine andere Erinnerung aus dieser Zeit: Sein Vater bekam einen Auftrag auf dem jüdischen Friedhof in Berlin Weißensee. Sie sollten dort ein paar Meter asphaltieren und so machten sich Wilhelm und Alfons mit einem Leiterwagen nebst Asphaltkessel auf dem Wagen zu Fuß auf den Weg von Kreuzberg zum Friedhof. Als der Auftrag erledigt war, wollte der Auftraggeber kein Geld geben, sondern bot als Lohn zwei Hasen an. Das muss wohl meinen Vater damals in seinen Vorurteilen bestärkt haben, “die Juden sind oft Betrüger“.

Am ersten Mai 1928 trat er mit der Mitgliedsnummer 88067 in Berlin in die NSDAP ein. Das ging nicht lange gut, denn er verdiente so wenig bei seinem Vater, dass er nach kurzer Zeit den Parteibeitrag nicht mehr bezahlen konnte.

Als das Redeverbot für Hitler 1928 in Berlin aufgehoben wurde, war mein Vater unter den 16000 Zuhörern im Berliner Sportpalast. Das ist erstaunlich, denn bei Hitler-Reden musste Eintritt bezahlt werden. Die Nazis waren zu dieser Zeit in Berlin noch unbedeutend. Das sollte sich aber mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise ändern.

Am 29. Oktober 1929, der als schwarzer Freitag in die Geschichte eingegangen war, war es auch in Deutschland schnell endgültig mit den „goldenen Jahren” vorbei. Das Dachdeckergeschäft von Wilhelm Baumann bekam keine Aufträge mehr. Mein Vater musste sich ab 1930 arbeitslos melden, mit den anderen in der Warteschlange vor dem Arbeitsamt stehen und auf seine Unterstützung warten. Deshalb schien es für ihn nur eine Rettung zu geben.

Ohne geregelte Arbeit und Einkommen war an eigenständiges Leben für meinen Vater nicht zu denken. Er besaß nicht mal einen eigenen Haustürschlüssel, der wurde ihm von seiner Schwester vorenthalten und so musste er nach 20 Uhr pfeifen oder ein Steinchen an das Fenster werfen, damit seine Schwester die Haustür aufschloss.

Die wirtschaftlichen Bedingungen verschlechterten sich bekanntlich weiter. Mein Vater fand mit anderen der Millionen Menschen keine Arbeit.

Mein Vater beim freiwilligen Arbeitsdienst 1933 in Mecklenburg

1931 wurde ein freiwilliger Arbeitsdienst geschaffen. Nach der Nazi Machtergreifung am 30.1.1933 bestand dieser noch bis 1935. Diesen freiwilligen Arbeitsdienst trat mein Vater im August 1933 bei. Zuvor am 1. Mai 1933, jetzt ein gesetzlicher Feiertag der „Tag der Arbeit“, bat mein Vater nochmals um die Aufnahme in die NSDAP. Diesmal laut seiner NSDAP Akte mit der Mitgliednummer 3478755.

Postkarte an meine Mutter Margarete Schmidt in Waren an der Müritz; Text: Dir liebe Grete zum ewigen Andenken dein dankbarer Alfons, Bln. d. 2. August 1934

Seine Arbeitsdienstlager befand sich in Mecklenburg in der nähe der Kleinstadt Waren an der Müritz. Hier entwässerten die Arbeitsdienstmänner brachliegende Flächen die landwirtschaftlich genutzt werden sollten. An einem freien Sonntag besuchte er mit seinen Kameraden eine Tanzveranstaltung in Waren an der Müritz. Hier lernte er ein 18-jähriges Mädchen namens Margarete kennen, in die er sich sofort verliebte. Das war meine zukünftige Mutter. Das kuriose dabei – Margarete ist die Tochter eines stadtbekannten Kommunisten, der die KPD in Waren an der Müritz mitbegründete. Das tat aber der Liebe keinen Abbruch und da die KPD inzwischen verboten war, behelligten die Nazis ihren Vater nicht. Auch als seine Zeit beim Arbeitsdienst abgelaufen war, hielt ihre Beziehung an, obwohl Margaretes Eltern Fahrgeld und Unterkunft bei den Besuchen meines Vater in Waren bezahlen mussten. Anfang 1936 findet mein Vater eine Anstellung als Hilfsfahrkartenverkäufer beim Mitteleuropäischen Reisebüro (MER) in Berlin. Gehalt 80 Reichsmark im Monat. Der Arbeitsvertrag wird bis 1937 verlängert und dann in eine Festanstellung umgewandelt. Die Tätigkeit beim MER war sein Traumjob. Auf Fotografien im Reisebüro aufgenommen sind lauter Mitarbeiter seines Alters zu sehen.

Hochzetreise nach Borkum 1939 / 1941?

Jetzt konnten er und Margarete Pläne schmieden. Er hielt um die Hand seiner großen Liebe an. Juli 1938 ist es dann soweit, in Waren an der Müritz läuten die Hochzeitsglocken. Die Hochzeitnacht verbringt er er alleine im Hotel zum grünen Baum. In der elterlichen zwei Zimmerbrautwohnung ist kein Bett frei.

Meinem Vater gelingt es eine Neubauwohnung in Berlin Adlershof in der Kaiserin Victoria Str. 40 zu mieten. Adlershof liegt zwar 50 Minuten mit der S-Bahn entfernt von seiner Arbeit, aber endlich ist er raus aus Kreuzberg, das er nie besonders mochte. Sein neues Zuhause in Adlershof hat ein Badezimmer mit WC, Badewanne und Kohlebadeofen. Eine Stube mit Wohnküche und Gasherd, rechts Parterre steht auf dem Mietvertrag. Die Miete beträgt 40 Reichsmark. Die Wohnungseinrichtung begleichen meine zukünftigen Eltern mit dem Ehekredit, der den jungen Eheleuten in dieser Zeit von der Naziregierung gewährt wird. Der damals gekaufte Miele-Staubsauger versieht bis Ende der sechziger Jahre seinen Dienst. Das alles bestärkt wohl meinen Vater in der Annahme, das alles hat erst der Führer möglich gemacht.

Er konnte oder wollte es nicht wissen, dass sein Führer mit ihm noch viel vor hatte. Im Sommer 1939 holen meine Eltern ihre Hochzeitreise nach. Es geht an die Nordsee, auf die Insel Borkum. Das können sie sich leisten, da meine Mutter in der Wäscherei Spindler in Berlin Spindlersfeld in ihren Beruf als Kontoristin Arbeit gefunden hat. Meine Mutter berichtete mir, dass sie bei dieser Reise auf der Nordsee schon übende U-Bote sah. Als sie wieder in Berlin sind, nur ein paar Tage später ist das Unglück geschehen, vor dem sich alle fürchten. Hitlerdeutschland überfällt Polen, der Hitler-Stalin Pakt macht es möglich.

Leutnant Baumann in Warschau, in Tschenstohau, auf der Fahrt nach Ungarn

Mein Vater wird nicht zur Wehrmacht eingezogen, da er schon 29 Jahre alt war, sondern muss im Reservepolizeibatallion 7 in Berlin seinen Dienst antreten. Diese Polizisten versehen erst in Berlin ihren Dienst. Dann verlegt man sie in das besetzte Warschau. Ich habe ein Foto meines Vater, das ihn vor einem Geschäft mit deutscher Beschriftung in Warschau zeigt. Da hat er den Dienstrang eines Revieroberwachtmeisters. Was er in Warschau machte, hat er mir nie mitgeteilt, obwohl ich immer wieder danach fragte.
Von Warschau versetzt man das Bataillon nach Tschenstochau / Częstochowa. Von dort schrieb er 1940 in einen Brief an seine Schwester Wally folgende Sätze: „mir gefällt es hier etwas besser als in Warschau. Wenn nicht diese vielen Juden hier wären. Es wimmelt nur so davon. Die Polen sind sehr fromm, aber von Kultur haben sie keine Ahnung. Die Hauptsache ist ein Bild von der Heiligen, der Dreck in den Wohnungen kann noch so hoch stehen. Es wird wohl Jahre dauern, bis wir den Polen Kultur beigebracht haben.“

In dem Buch „Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei“ schreibt der Autor Wolfgang Curilla „das Reserve- Polizeibataillion 7 war von Februar bis Oktober 1940 in Tschenstochau stationiert und vorwiegend überörtlich für die Bekämpfung von Partisanen und Banden eingesetzt“. Es leistete Wachdienst im Gestapo Gefängnis und führte mehrfach Exekutionen polnischer Bürger durch. Ob mein Vater direkt an diesen Verbrechen und Morden beteiligt war, weiß ich nicht. Ich besitze ein Paas-Foto in Uniform von ihn, da steht drauf Tschenstochau den 29. August 1940. 1942 kehrt das Reserve-Polizei- Bataillion 7 nach Tschenstochau zurück und mordet weiter. War mein Vater dabei? Ich werde es nie erfahren.

1941 wird meinen Eltern ein Sohn geboren. Wo sich zu dieser Zeit meines Vaters Polizeieinheit aufhielt, kann ich nicht sagen. Ende 1942 beginnt mein Vater mit einem Offizierslehrgang in Oranienburg bei Berlin. Dort wurden sogenannte Kriegsleutnante ausgebildet, das heißt die Angehörigen rekrutierten sich aus höheren Mannschaftsdienstgraden, die von ihren Vorgesetzten als besonders fähig und regimetreu angesehen werden, aber keinen höheren Schulabschluss besitzen. Nach einem Jahr Ausbildung wird mein Vater Leutnant und ist damit Offizier. Er kommt wohl nicht gleich an die front. Durch seine Erzählungen weiß ich, dass er Mitte 1944 in Jugoslawien eingesetzt wird und dann nach Rumänien kommt. Er ist Zugführer in seiner Kompanie. Sie sollen den Vormarsch der Roten Armee in Rumänien stoppen. Seine Kompanie besteht vorwiegend aus sogenannten Volksdeutschen, die keine Lust mehr haben, auf dem Schlachtfeld für Hitler zu sterben, sondern zurück in ihre Dörfer wollen. Deswegen desertierten einige Soldaten und mein Vater kann das nicht verhindern, und soll dafür verantwortlich gemacht werden. Sein Vorgesetzter, der ein Disziplinarverfahren in die Wege leitet, fällt beim nächsten Angriff der Sowjets. Seine Einheit muss sich zurückziehen, die Unterlagen, die sein Vorgesetzter gegen ihn gesammelt hat, gehen, wie mein Vater mir erzählte, verloren. Im Herbst 1944 wurde er nach Ungarn verlegt. Hier gefiel es ihm ausgesprochen gut. In Ungarn damals noch treu an der Seite von Hitlerdeutschland hat er ein Reitpferd namens Helga, und einen ungarischen Offiziersburschen. Er ist sehr von den Ungarn angetan, einem Land, wo „sogar die Schweine ein Bad bekommen“. Ich besitze aus dieser Zeit ein Foto die meinen Vater neben einen Kübelwagen zeigt.

Die Russen greifen weiter an allen Fronten an. Mein Vater muss sein Pferd abgeben. Die Wehrmacht und ihre Verbündeten-Truppen stehen immer mehr auf verlorenen Posten. Als in Ungarn im März 1945 die letzte Offensive Hitlers gegen die Rote Armee scheitert, an der mein Vater teilnimmt, werden die Reste seiner Einheit Anfang April an die Oderfront bei Stettin verlegt. Hier sollen sie die zweite Belorussische Front unter Marschall Konstantin Rokossowski aufhalten, die noch auf der östlichen Seite der Oder steht. Oberbefehlshaber ist hier auf deutscher Seite SS- Obergruppenführer von dem Bach-Zelewski, ein ganz besonders fanatischer Nazi.

Ich denke, den Glauben an den Endsieg hat mein Vater längst verloren, als er an seinem befohlenen Frontabschnitt eintrifft.

Er muss einen Posten an der Stettiner Autobahn beziehen. Seine Befehlsstelle befindet sich in einer Sprengkammer eines Autobahnpfeilers. Ringsherum ist das Land von der Oder überflutet, es gibt kein zurück. Er fasst einen radikalen Entschluss. Im frühen Morgengrauen des 21. Aprils 1945 verlässt mein Vater mit drei Soldaten unbemerkt von der deutschen Seite, seinen Posten, watet durch das fast hüfthohe Wasser der Oderüberschwemmung und gibt sich der Roten Armee gefangen.

Seine Gefangennahme konnte ich in dem Buch von der Wolga bis zur Oder eines sowjetischen Autors nachlesen. Dort stand: am Morgen des 21 April 1945 ergaben sich ein Leutnant und drei Soldaten der faschistischen Truppen. Mein Vater wird bei seiner Gefangennahme von sowjetischen Kameraleuten gefilmt.

Für ihn begann nun der Weg durch die sowjetischen Gefangenenlager. Da er einer Polizeieinheit angehört, verurteilt ihn ein sowjetischer Militärtribunal zum Tode. Das Urteil wird später in 20 Jahre Arbeitslager umgewandelt. Trotz tagelanger nächtlicher Verhöre durch das NKWD werden ihm keine Kriegsverbrechen nachgewiesen. Er meinte, um Gnade zu flehen hat bei den Sowjets keinen Zweck, man muss standhaft bleiben. Nach seiner Verurteilung kommt er in das Kriegsgefangenlager 153 nach Nischni Tagil, einer Stadt im mittleren Ural. Die Gefangenen mussten unter Tage in einem Asbestbergwerk arbeiten. Durch die schlechte Ernährung war er total abgemagert. Eine sowjetisch-jüdische Ärztin rettete ihn das Leben. Er lag im Lazarett des Lagers und die Ärztin musste ihn mit einem Holzlöffel füttern, da er selbst dazu zu schwach war.

Mein Vater meinte auch, die Lebensmittelration der Wachposten war kaum höher als die der Gefangenen.

Nach und nach verbesserten sich die Verhältnisse für Gefangene im Lager. Es gab eine Lagerbücherei und mein Vater fing an, die russischen Klassiker und Werke der Weltliteratur zu lesen. Ab Ende 1948 wurden die ersten Gefangenen nach Haus in die Heimat entlassen. Seine 20-Jahre Arbeitslager wurden gestrichen, aber nach Hause kam er nicht.

In meinen Besitz sind die genormten Postkarten, die er aus der Gefangenschaft nach Hause sendet.

Auf einer dieser Karten an seine Frau schreibt er 1949: „ich schwöre bei Gott, ich habe im Krieg doch nichts unrechtes getan, keinen Menschen ein Leid zugefügt“.

Der Tag der Freiheit kommt für ihn am 21. April 1950, genau 5 Jahre nach dem er sich der roten Armee an der Oder ergeben hat. Über Frankfurt an der Oder, jetzt Grenzstadt zwischen Deutschland und Polen, rollt der Zug nach Berlin. Bei einer letzten Kontrolle an der Grenze holt der sowjetische Geheimdienst einige seiner Kameraden aus dem Zug. Mein Vater sparte sich seine Brotration auf, weil er dachte, seine Frau und Kind hätten in Ostberlin zu wenig zum essen.

Das er die Gefangenschaft durchstehen konnte, war die Liebe zu seiner Frau, meiner späteren Mutter. Das befähigte ihn, die Widrigkeiten des Gefangenendaseins zu widerstehen und auszuhalten.

Sein Sohn ist mitlerweile 9 Jahre und kennt seinen Vater nicht. Die Wohnung in Adlershof überstand den Krieg unversehrt, da in Adlershof weit ab vom Berliner Zentrum, keine Bomben fallen. Meine Mutter arbeitet bei der HO (Handelsorganisation Lebensmittel/Gaststätten ) in der Lohnbuchhaltung. Sein Sohn besucht in Adlershof die Schule.

Alfons Baumann bewirbt sich um Beschäftigung beim Reisebüro in Ostberlin, aber die haben keinen bedarf an neuen Mitarbeitern oder liegt es an seiner früheren Mitgliedschaft der NSDAP, die er natürlich angeben muss. Seine ehemalige Arbeitsstelle ist nach Frankfurt am Main gezogen. Dort wollte er nicht hin, da er Berlin sehr verbunden ist. Seine Schwestern mit ihren Familien haben den Krieg gut überstanden und leben in oder bei Berlin.

Im VEB Elektro Aparate Werke J.W. Stalin Treptow, ehemals ein Betrieb der AEG, findet er im Büro eine Stelle als Nachkalkulator. Das EAW Treptow ist bis 1953 noch eine sowjetische Aktien Gesellschaft. Hier wird er vom sowjetischen Geheimdienst angesprochen und soll angeworben werden, um ehemalige Kameraden aus der Kriegsgefangenschaft zu bespitzeln. Das lehnt er ab. Der KGB gibt auf und bricht den Kontakt zu ihm ab. Auch tritt er keiner Partei mehr bei. In der DDR gibt es eine sogenannte Blockpartei „die National Demokratische Partei Deutschland“, die ehemalige geläuterte NSDAP Mitglieder binden soll. Mit denen will er nichts zu tun haben. Auch die evangelischen Kirche verlässt er. Nur in der Gesellschaft für deutsch sowjetischen Freundschaft und im FDGB der Ostgewerkschaft ist er Mitglied: Im EAW Treptow arbeitet mein Vater dann bis zu seiner Rente 1974.

Bei der Arbeitsstelle

Nur zwei Monate nach Rückkehr meines Vaters aus der Gefangenschaft ertrank sein Sohn Jens Baumann, der nicht schwimmen konnte, beim baden während eines Schulausfluges. Ermittlungen ergaben, das er in einen Unterwasserbombentrichter geraten war, von dem in der Nichtschwimmerzone keiner gewusst hatte.

Meine Mutter bekam 1951 eine Tochter, die aber kurz nach ihrer Geburt starb. Meine Mutter wollte aber nicht kinderlos bleiben und so wurde ich im Juni 1953 geboren.

Mein Vater war bei meiner Geburt fast 44 Jahre alt, meine Mutter im 38. Lebensjahr.

Da sie zwei Kinder verloren hatten, wuchs ich als total behütetes Kind auf.

Bis zu meinem 19. Lebensjahr schlief ich gemeinsam mit meinen Eltern im elterlichen Schlafzimmer. Ich kann mich erinnern, als ich ein kleiner Junge war, dass mein Vater oft im Schlaf schrie und ich dadurch aufwachte. Meine Mutter sagte dann zu mir. „Mach dir keine Sorgen, Vati hat nur wieder von Gefangenschaft und Krieg geträumt“. Als ich größer war, fragte ich meinen Vater: was hast Du im Krieg gemacht z.B. in Polen, wie war das, wenn du bei einem Angriff auf den Feind geschossen hast? Er antwortete, er hätte nie gesehen, ob er jemanden getroffen hatte. Zu seinen Aufgaben in Polen erhielt ich keine Antwort.

Der Krieg war oft Thema in meiner Kindheit. Da hieß es, das war noch vor dem Krieg oder nach dem Krieg, das ist noch Friedensware oder das haben die Russen geklaut, der ist in Russland gefallen, den haben damals die Russen mitgenommen, der ist nicht wieder gekommen, der hat Glück gehabt, der war doch bei den Amis in Gefangenschaft, am besten waren die Tommys…

Als ich schon Jugendlicher war, erzählte meine Mutter von ihrer Vergewaltigung durch betrunkene sowjetische Besatzungssoldaten, zwei Monate nach Kriegsende, bei ihren Eltern auf dem Wäscheboden; sie meinte, die hatten alle drei Schlitzaugen und waren noch ganz jung und wahrscheinlich noch nie etwas mit einer Frau gehabt.

Bis zur Errichtung der Mauer am 13. August 1961 ist mein Vater mit mir viel in Westberlin unterwegs. So fahren wir auf dem Funkturm; besuchen 1961 die internationale Wassersportausstellung, bummeln den Kudamm entlang. Alle drei Wochen bin ich mit meinen Eltern bei Tante Hertha und Onkel Fritz in der Glogauerstr. 19 B in Kreuzberg zu Besuch. Tante Hertha ist die viertälteste Schwester meines Vaters. In ihrem Wohnzimmer steht ein Klavier. Dort sitzt dann mein Vater und spielt uns was vor. Er kann sogar nach Noten spielen, denn das hat er in seiner Jugend gelernt.

Von 1959-1969 fahre ich jedes Jahr mit meinen Eltern in den großen Ferien mit dem Feriendienst der Ostgewerkschaften dem FDGB 14 Tage in den Urlaub. Meistens in Ferienquartiere in der sächsischen Schweiz oder dem Erzgebirge.

Nach dem ich lesen kann, habe ich alles gelesen, was ich in der Bibliothek über den zweiten Weltkrieg finden konnte. Ich fing an, mich für Waffen zu interessieren, ich las „Die Armeerundschau“, ein Magazin für NVA Soldaten, die Zeitschrift Militär Technik. Mein Vater trägt als Leutnant eine Pistole von Sauer und Sohn und statt einem Karabiner 98K eine Mascinenpistole MP-40.

Mein Vater war durch seine Kriegserlebnisse zum Antimilitaristen geworden. Als die Grenze noch offen war, besaß ich als siebenjähriger eine Wasser- und eine Knallplätzchen-Pistole, die mir meine Westtante kaufte. Mein Vater sah das nicht gern, nahm mir die Spielzeugwaffen aber auch nicht weg. Er sagte: In der Gefangenschaft habe ich unterschrieben, dass nie wieder ein Deutscher ein Gewehr in die Hand nehmen solle.

Die Silvesterknallerei war ihm immer ein Graus. Er meinte im Krieg hätte er genug Knallerei gehabt. Der Mauerbau war ein großer Schock für ihn, aber das irgendwas in diese Richtung passieren würde, hatte er kommen sehen. Sein Kommentar dazu: “mit Franzosen hätten die Kommunisten das nicht machen können“.

1964, zur Tokioer Olympiade schafften meine Eltern einen Fernseher an. Meine Eltern hörten nie Ostsender und so blieb es es auch, als der Fernsehapparat im Wohnzimmer stand. Aus dem Fernsehprogramm in der Zeitung wusste ich – im Ostfernsehen liefen manchmal sowjetische „Partisanenfilme“. Für meinen Vater waren das „Kriegsfilme“, das ging gar nicht, erstens Ostfernsehen und dann noch „Kriegsfilme“ – unmöglich. Trotzdem kam der Krieg in unser Haus. Denn auch im Westfernsehen wurde immer mehr über den sich ausweitenden Vietnamkrieg berichtet.

Als im Juni 1967 Israel einen Angriff der arabischen Staaten zuvor kam und dann die arabischen Armeen besiegte, nahm das mein Vater mit großer Genugtuung zur Kenntnis.

War Franz Josef Strauss im Fernsehen zu sehen und zu hören, so blühte er auf. Strauss lag voll auf der politische Linie, die auch mein Vater vertrat: Moskau und den Kommunisten auf keinen Fall nachgeben. Meine Mutter und ich bewunderten mehr Willy Brandt und setzten auf die sich abzeichnende Entspannungspolitik. Ich habe oft mit ihr zusammen die Bundestagsdebatten zur neuen Ostpolitik im Radio verfolgt. Die Politik Brandts passte da nicht in das konservatives Weltbild meines Vaters.

Die aufkommende Beatmusik, die ich in den beiden Westradiosendern SFB und Rias und im AFN, den amerikanischen Soldaten Sender, hörte, lehnte mein Vater wie die meisten seiner Generation ab. Wenn ich das Radio nicht zu laut aufdrehte, konnte ich diese Musik aber hören. 1965 gab es im Fernsehen eine neue Sendung von Radio Bremen, die hieß Beatclub. Hier spielten internationale Bands live. Den Beatclub durfte ich aber nicht zu Hause sehen und musste deswegen bis Anfang 1967 immer zu einem Schulfreund gehen. Ich war ein begeisterter Beatfan und hätte gerne auch so lange Haare gehabt wie die Musiker die im Beatclub zu sehen waren. Meine Lieblingsgruppe sind natürlich die Rolling Stones, damals ein rotes Tuch für die meisten Erwachsenen. Die Stones die dann sogar April 1967 im Dom Kultury in Warschau spielten, einfach undenkbar für einen Fan in Ostdeutschland, das so etwas in Ostberlin stattfinden könnte.

Die 68- Bewegung sah der Vater als Gefahr für den Westen. Die 68-er sind für ihn eine fünfte Kolonne Moskaus und Maos.

Die Ereignisse des Prager Frühlings 1968 begrüßt er wie die meisten Menschen im Osten. Den Russen traute er zu, dass sie den Reformen in der CSSR ein Ende bereiten. Da war ich mit ihm mal einer Meinung.

In Zeit meiner Pubertät gab es viele Auseinandersetzungen mit meinem Vater. Er meinte, die Beatmusik hielt mich vom lernen ab. Meine schulischen Leistungen waren auch äußerst schlecht, z.B. Betragen eine 4, Fleiss 4, Mitarbeit 4, Ordung 4. Auch in den meisten anderen Unterrichtsfächer hatte ich nichts zu melden, stand immer kurz vor dem Ungenügend. Nur in Geschichte, Staatsbürgerkunde und Erdkunde stand eine 2 in meinem Zeugnis.

In der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung von 40m meiner Eltern hatte ich keinen eigenen Bereich, nicht mal einen eigenen Schrank für meine Kleidung, schlief auf einen zusammenklappbarem Campingbett, das jede Nacht erst aufgebaut werden musste. Das stand dann am Fußende vor dem Ehebett meiner Eltern. Mein Vater hatte sich so an die Wohnung gewöhnt, dass er keine Anstalten machte, sich um eine größere Wohnung bei der staatlichen Wohnungsverwaltung zu kümmern. Als ich im April 1974 meinen 18-monatigen Wehrdienst beendete, konnte ich nun im Wohnzimmer schlafen, denn jetzt stand da eine neue Klappcouch. Auf Grund dieser Wohnsituation war es nie möglich, Freunde zu Hause zu empfangen, geschweige denn ein Mädchen mitzubringen. Ich machte es aber zu später Stunde trotzdem ein paarmal.

Ich wohnte bis 1980 bei meinen Eltern, da die staatliche Wohnungsverwaltung trotz meiner kontinuierlichen Nachfrage in ihren Büro, mich nicht mit Wohnraum versorgen konnte. Dass ich ab 1980 zu einer eigenen Wohnung kam, hatte ich meinen Vater zu verdanken.

Der schrieb im Oktober 1979 eine Eingabe an den Bezirksbürgermeister vom Stadtbezirk Treptow, schilderte die häuslichen Bedingungen, und mahnte an, dass sein Sohn, der seit 6 Jahren als Bauarbeiter beim Aufbau des Sozialismus mitarbeitete, noch immer bei seinen Eltern wohnte.

Zum Ende seines Lebens

Der Brief hatte Erfolg. Die Wohnungsverwaltung wurde vom Bürgermeister angewiesen, der Bürger Lutz Baumann ist bis zum 31.12. 1979 mit Wohnraum zu versorgen, wie es in seinem Antwortschreiben hieß. Meine erste Wohnung bezog ich Januar 1980 in der Adlershofer Hoffmannstr.13. Altbau mit Balkon, Küche, Innentoilette, anderthalb Zimmer. Das kleinere davon richtete ich mir als Fotolabor ein. Mit eigener Wohnung (mein Vater hat zu ihr einen Schlüssel) entspannte sich mein Verhältnis sofort. Während ich arbeite, sitzt er oft in meiner Wohnung und hört Musik mit meiner Radiostereoanlage. Eine ganz neue Erfahrung für ihn als Musikliebhaber.

Da ich einen Plattenspieler besitze, bringt er mir, wenn er seine Schwestern in Westberlin, besucht LP’s. Wer hätte das jemals gedacht, der Rolling Stones hatte er mit, die zu dieser Zeit nicht mehr vom DDR Zoll beschlagnahmt werden. Ich warte dann am Rentnerübergang Oberbaumbrücke ungeduldig auf ihn. September 1982 ziehe ich in eine rekonstruierte anderthalb Zimmer Wohnung mit Warmwasserdurchlauferhitzer, Badezimmer mit Gasheizung in die Schnellerstrasse 110 in Berlin Schöneweide. In meiner Stasiakte steht: „der Vater des Baumann hält sich oft in dessen Wohnung auf und es wurde festgestellt, dass er manchmal die Wohnung heizt“. Ich arbeite mittlerweile als Hausmeister in der Spezialschule für Musik der Hochschule für Musik Hans Eisler in der Brunnenstr 148, ganz in der Nähe der Mauer. Hier besucht mich mein Vater und setzt sich im Klubraum ans Klavier. Eine anwesende Musikschülerin, die dort mit ihrem Cello übt, staunt nicht schlecht.

Mit einem Freund von mir der 1984 ausgereist ist, trifft er sich bei Tante Hertha in Kreuzberg. Dieser Freund übergibt ihm ein paar LPs und eine Jacke, die für mich bestimmt sind.

Im Januar 1985 muss ich einen Reservistendienst in der NVA antreten. Zu Ostern 1985, ich bin immer noch bei der NVA, da erreicht ein Anruf von einem Nachbarn aus dem Hause meiner Eltern die Einheit. Der da anruft ist Hauptmann Reusch, Mitarbeiter im Ministerium für Staatssicherheit. Der Gefeite der Reserve Baumann ist sofort vorfristig zu entlassen, da Vater schwer erkrankt. Das passiert dann einen Tag nach Ostermontag, am Dienstag. Am Mittwoch wollen wir ihn im Krankenhaus besuchen. Ich sitze mit meiner Mutter im Warteraum der Station, da erscheint eine Ärztin. Was wollen sie? Na, zu Herrn Alfons Baumann, antwortet meine Mutter. Darauf die Ärztin: “das geht nicht, der ist doch gestern verstorben, wussten sie das nicht?“ Das war der Humanismus á la DDR.

Was mir noch im Zusammenhang mit meinem Vater einfällt:

Die Gründung der Gewerkschaft Solidarność 1980 begrüßt er ausdrücklich. Nun spricht er mit eine großer Hochachtung von den Polen, denn die polnischen Arbeiter trauen sich was.

Mit der anti-AKW-Bewegung in der Bundesrepublik kann er nichts anfangen, die Partei der Grünen lehnt er ab, die Friedensbewegung im Westen hielt er für von Moskau gesteuert, die FDP kann er nicht ausstehen, die haben keine Prinzipien, er bleibt der CDU/CSU verbunden, die Alternativbewegung und Hausbesetzerszene in Kreuzberg stößt auf sein Unverständnis, er meint ich soll auf keinen Fall einen Ausreiseantrag stellen, ich würde im Westen untergehen, wir diskutieren immer leidenschaftlich. 1982 wird Helmut Kohl Kanzler, der ist gut, sagt mein Vater. Ronald Reagan als Präsident zeigt es den Russen.

Ich hätte es meinen Vater gegönnt, dass er noch den Mauerfall miterlebt hätte.

Bis 1973 sind seine drei Schwestern und ihre Ehemänner, die im Osten lebten, gestorben, so haben wir dort außer zwei Cousins, keine Verwandtschaft mehr.

Seine Schwester Martha, die immer noch in der Ratiborstr in Kreuzberg mit ihrer behinderten Schwester Gretchen wohnte wird 1982 abberufen. Was aus Gretchen, geboren 1907, geworden ist, weiß ich nicht. Ein Jahr nach meiner Übersiedlung im Jahr 1988 stirbt im September 1989 meine Tante Hertha aus der Glogauerstr.19 b. Ihr Mann, mein Onkel Fritz, wird in einem Pflegeheim über 90 Jahre alt. Hertha folgt 1992 meine Tante Wally, ihr Mann ist schon 1985 gegangen.

Meine Mutter verlässt mich, schwer an Demenz erkrankt, im Dezember 1993, die zwei Tanten und Onkel mütterlicherseits, die in Westdeutschland lebten, sind noch bis Anfang der Jahrtausendwende auf dieser Welt.

Ab diesen Zeitpunkt habe ich außer den zwei Cousins keine direkten Angehörigen mehr. Mein Vater und meine Mutter haben nie verstanden, warum ich keine eine feste Partnerin gefunden habe. Ich lebe seit meiner ersten Wohnung 1980 als Single und weiß auch nichts von eigenen Kindern.

Mein Vater wandert gern, schwimmt im Sommer im Müggelsee fährt, leidenschaftlich gerne Fahrrad, liebt seine Frau, die ihn leider sexuell keine Erfüllung bringt, löst innerhalb kurzer Zeit die Kreuzworträtsel in der Zeitung, mag die Musik von Udo Jürgens den Ufastar Hans Albers. Der Ufa Film „FP1 antwortet nicht“, mit Albers in der Hauptrolle, ist sein Lieblingsfilm.

1976 bis 1984 trampe ich im Sommer immer wieder in meinem Urlaub durch Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Das weckt bei ihm Erinnerungen an seine Zeit auf dem Balkan.

Juni 1979 und 1980 gelingt mir illegal, mit einem Transitvisum nach Rumänien die Einreise in die Sowjetukraine/Russischer SSR. Ich und mein Freund bewegen uns auch hier mit Autostop durchs Land. Bei der Ausreise werden wir im Borispol den Flughafen von Kiew vom KGB für einen Tag festgesetzt. Man wirft uns vor, sich zu lange im Freundesland aufgehalten zu haben. Wir werden vom KGB per Dolmetscher verhört, müssen eine Bericht über unsere Reise schreiben.

Die Verhöre mit dem KGB interessieren meinen Vater besonders. Ich beschwere mich bei der Chefin des KGB Büros, die darauf sagt, ich sei ein böser Mensch, aber man lässt uns mit dem nächsten Flug nach Bulgarien ausreisen. Mein Vater dazu: „siehst du bei den Sowjets muss man standhaft bleiben“.

Alle hier gemachten Angaben sind aus der Erinnerung heraus geschrieben worden. Sie basieren auf den Erzählungen meiner Mutter, meines Vaters, meiner Tanten, meines Cousins und den Erlebnissen von mir. 

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