Frauenblick auf Museum an der Weichsel

Monika Wrzosek-Müller

Gedanken zu der Ausstellung von Daniel Rycharski im Museum an der Weichsel

Der Taxifahrer sprach immer wieder von seinem Schwager aus der Provinz, genauer aus einem Dorf. Irgendwie würden die auf dem Land immer nur klagen, nichts lohne sich, jede Anstrengung sei zu viel; zwar hätte sich viel verändert, doch die Bereitschaft, Verantwortung für etwas Größeres (ein richtiges Unternehmen) zu übernehmen, würde fehlen; oder es wagen doch nur ganz wenige. Sollen sie doch in die Stadt kommen, sich hier ausprobieren, bitte schön… usw… usf.

Das war der Anfang meiner Episode mit dem Nachdenken über das Landleben, die Dörfer, die Bauern in Polen. Mehrere Faktoren haben zusammengespielt. Vor einigen Monaten erzählte mir eine Freundin von einer fantastischen Ausstellung in Krakau, die Stanisław Wyspiański gewidmet war und unheimlich viele seiner Werke versammelte. Er war der Hauptvertreter der „Bauernmanie“ [Chłopomania] aus der Kunstrichtung Junges Polen [Młoda Polska] in der Zwischenkriegszeit. Als Künstler war er nicht nur Maler, Projektant von Glasfenstern und Bildhauer; er schrieb auch – und sein bekanntestes Drama „Die
Hochzeit“ [Wesele] wurde immer wieder aufgeführt; es zeigte das stilisierte, farbenfrohe, manchmal bedrohliche Bauernleben, das die Vertreter dieser Kunstrichtung feierten. Andrzej Wajda drehte 1997 einen monumentalen Film aufgrund des Dramas, „Die Hochzeit“.

Ein anderer wichtiger Schriftsteller dieser Richtung, allerdings eher aus dem Realismus kommend, war Władysław Reymont. Er verfasste das Epos „Die Bauern“ [Chłopi] und erhielt dafür, so lernte ich in der Schule, den Literaturnobelpreis. Er lebte längere Zeit in einem Dorf, das damals Lipce hieß (später erhielt das Dorf den Beinamen Reymontowskie), wohin ich als Kind in die Sommerferienlager (sog. kolonie) fuhr. Im Dorf gab es ein Museum, es sollte sein Haus gewesen sein, mit vielen bunten Stuben, wo kleine Betten standen mit aufgetürmten Kissen darauf. So jedenfalls war meine Erinnerung daran. Der Roman „Die Bauern“ war lang, zog sich über vier Bände, die nach
Jahreszeiten unterteilt waren, und langweilte mich. Doch wir mussten ihn lesen, denn er stand auf der Lektüreliste. Er enthielt wohl auch viele Wahrheiten und treffende Beobachtungen über das Bauernleben in Polen. Für die meisten von uns Städtern meiner Generation existierte das Dorf eigentlich kaum – und wenn dann nur als Fluchtort aus dem mühsamen, strapaziösen Stadtleben; Ort für Ferien, um sich zu erholen. Ein Bewusstsein für Land, Dorf wurde nicht entwickelt, kaum jemand beschäftigte sich damit. Die Tatsache, dass die Bauern diejenigen waren, die uns ernährten, drang gar nicht zu uns vor.

Vor zwei Jahren war ich auf Einladung einer Freundin in ihrem Sommerhäuschen auf dem tiefen polnischen Land. Wir haben uns wunderbar amüsiert, wurden auch auf ein Dorffest eingeladen. Dort wurde so heftig getrunken, getanzt und geredet, dass ich es ungeheuerlich fand, mich fast davor fürchtete. Die Menschen erzählten mir, was für sie die „500 plus“ bedeuteten, das von der PiS-Regierung eingeführte großzügige Kindergeld; einige von ihnen hatten zum ersten Mal so viel Geld auf einmal gesehen, konnten zum ersten Mal nachdenken, was sie mit Geld anfangen würden, ob sie zum ersten Mal irgendwohin weg fahren würden. Neuerdings rücken die Bauern, das Landleben, die Landwirtschaft mehr in den Vordergrund, in das moderne Bewusstsein aller Menschen; sei es durch das zunehmende ökologische Bewusstsein, besonders nach dem heißen und trockenen Sommer des letzten Jahres, oder als Alternative zum Stadtleben, schließlich durch die Suche nach Wählerstimmen, die da noch zahlreich zu gewinnen waren.

Bei meinem letzten Besuch in Warschau habe ich eine Ausstellung in dem neu entstandenen Museum für Moderne Kunst („Museum an der Weichsel“) gesehen, die sich auch mit der Bauernproblematik auseinandersetzt, auf sehr interessante Weise. An jenem Abend war eine herrliche Stimmung schon vor dem Gebäude zu spüren. Auf den schönen Holzterrassen, und an Deck der Schiffe am Weichselufer saßen Unmengen von jungen Leuten, in einer fröhlichen, ausgelassenen Stimmung, die sich echt und ohne Events und viel Alkohol ausbreitete und in der Luft vibrierte. Die letzten Sonnenstrahlen schienen auf die wunderschöne neue Swiętokrzyski-Brücke und das Nationalstadion.
Das frische, feine Frühlingsgrün der Bäume und Sträucher auf dem anderen Weichselufer hob sich bewusst von dem regulierten, verbauten auf der Museumsseite ab. Drinnen, in dem provisorisch errichteten Gebäude, gab es eine Ausstellung, die mich gefesselt und gebannt hat, wie seit längerer Zeit keine mehr.
Es handelte sich um die Ausstellung von Daniel Rycharski „Strachy“ [Angst, Furcht, Schreck, Vogelscheuche]; sie enthält Arbeiten aus der langen Zeit der Suche des Künstlers nach Antworten auf die Fragen nach religiöser, gesellschaftlicher Identität, nach Gemeinschaft, nach der Andersartigkeit. Der Künstler kehrte nach seinem Studium an der Krakauer Kunstakademie in sein Heimatdorf zurück und setzte sich mit dem dortigen Leben auseinander. Er selbst suchte einen Weg, um sich mit der Kirche zu versöhnen und seinen Glauben zu praktizieren, obwohl er zur Gruppe der LGBT-Leute gehört und somit von der Kirche eher ausgegrenzt wird. Alle Exponate, die in der Ausstellung gezeigt werden, fand der Künstler irgendwo auf dem Dorf herumliegen und bearbeitete sie so, dass er sie als tragende Objekte seiner Ideen hinstellen oder aufhängen konnte. Doch sie haben ihre eigene Geschichte und diese schimmert durch die vom Künstler erzählte hindurch. So finden wir eine Tafel mit einem eingravierten Text aus dem Katechismus, aus dem hervorgeht, dass Homosexuelle zu den Riten der Kirche zugelassen werden sollen. Die Objekte sprechen den Betrachter durch ihre authentische Geschichte an und zugleich sind sie Stellungnahmen des Künstlers zu den bewussten Fragen. Er ist gläubig und will den Glauben auf eigene Art praktizieren. Seine Vogelscheuchen entstehen aus alten Kreuzen verschiedener Bekenntnisse, die er sammelt und in fröhlichen Farben bemalt und
entsprechend verkleidet. Hinter den bunten Farben verstecken sich aber bei näherem Hinsehen viele grausame Praktiken. Zu den Vogelscheuchen gelangt man durch ein bunt bemaltes Tor – für mich ein Tor, das man immer durchschreiten muss, um ins Innere zu kommen, um sich zu erklären, wozu man gehören will. Diese Momente der bewussten Entscheidung für eine Gemeinschaft bilden den Kern der Aussagen in seinen Arbeiten; es gibt auch einen Ornat, dem Rycharski eine Ku Klux Klan-Haube aufgesetzt hat. Er geht mutig mit den sakralen Gegenständen um, ohne in irgendeinem Moment die Institution zu
verletzen, doch er hinterfragt einige ihrer Praktiken, setzt sich mit ihnen auseinander. Seine eigene Biografie und seine familiäre Situation bilden den Ausgangspunkt für seine Reflexionen. Er setzt sich mit Vorurteilen und eben mit der Angst vor Neuem, vor dem Unbekanntem auseinander und da er das sehr intensiv, intuitiv aber auch leidenschaftlich tut, wird der Betrachter angesprochen und muss sich selbst mit den Fragen beschäftigen.

Ich fand die Ausstellung sehr gut und fühlte mich so direkt angesprochen, dass ich die Exponate lange nachdem wir die Ausstellung verlassen hatten, vor meinen Augen immer wieder sah. Es wurde mir plötzlich auch bewusst, wie wenig wir uns mit den Fragen der Menschen, die auf dem Land leben, auseinandersetzen. Und dann kamen mir auch all die Gedanken, die ich oben aufgeschrieben habe.

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