Frauenblick auf Toscana

Monika Wrzosek-Müller

Maremma-mare ma

Schon wieder ist ein Jahr um; ich merke es nicht einmal so deutlich an meinem Geburtstag wie am Aufenthalt in der südlichen Toskana. Die Signora grüßt uns überschwänglich, für sie ist auch ein Jahr glimpflich vergangen. Der heiße Sommer ist nun vorüber, die schöne ruhigere Zeit mit wenig Touristen aber doch sonnigen, klaren Tagen beginnt. Das Meer ist immer noch warm, erstaunlich warm, die Blaukrebse vermehren sich darin überraschend schnell, vor allem begünstigt durch die Lagune mit ihrem Brackwasser.

Die Maremma war schon immer ein besonderes Eckchen innerhalb der Toskana, südlich von Siena, viel wilder und eher unberührt, nicht von menschlicher Hand geformt; am Meer erstreckt sie sich von Punta Ala, manche sagen von Follonica, über Massa Maritimma bis nach Capalbio an der Grenze zu Latium; unzählige wunderschöne alte, teilweise etruskische Städte: Vetulonia, Sempriano, Chiusi, und die vielen Tuffsteinstädte: Sovana, Sorano, Pitigliano, Manciano, Montemerano, Saturnia mit seinen warmen Schwefelquellen und schließlich der Hauptort Grosseto in der Ebene. Früher ein sumpfiges, unzugängliches Gebiet am Meer entlang, dahinter sanfte Hügelketten und der dominanten Berg Monte Amiata, vulkanischen Ursprungs, mit seinen 1738 Metern für die Toskana sehr hoch, ein Wanderziel, ein anderes die Monti dell`Uccellina, ein streng geschütztes Naturreservat, mit vielen Wanderpfaden. Im Meer sichtbar von der Küste mehrere Inseln: Gilio, Gianutri, Monte Christo, Elba, Monte Argentario, Pianosa, darüber habe ich hier schon einmal geschrieben. Jahrhunderte lang mischten sich auf dem Territorium alle möglichen Kulturen; sowohl Spanier als auch Franzosen kämpften darum, auch der Papst war immer interessiert. Nach der Zerschlagung der Republik Siena der Teil der südlichen Maremma mit Orbetello, Porto Ercole, Porto Santo Stefano an Spanien, sogar noch Talamone, wo später Garibaldi mit seinen Tausend „Garibaldini“ Proviant fasste und eine Verschnaufpause einlegte, bevor er nach Sizilien aufbrach. Der andere Teil blieb in der Hand der Medici. Es entstand für fast 150 Jahre ein „Stato dei Presidi“, regiert und verteidigt von Spaniern. Es gab, lese ich jetzt, eine große Seeschlacht um Orbetello mit den Franzosen, auch der Papst war involviert. Letztendlich entschied ein Sturm, der die ganze französische Flotte von Galeeren, Fregatten und großen „Brandern“ auseinandertrieb; so blieb es für längere Zeit bei der spanischen Vorherrschaft in der Region. Sichtbare Zeichen der Spanier blieben bis heute erhalten: Die Mühle von Orbetello „mulino spagnolo“, vor der jeder Tourist ein Foto in der untergehenden Sonne über der Lagune knipst, die Kathedrale und die Reste der Befestigung im Ort, dazu die Festungen rund um Porto Ercole (drei, darunter eine sternförmige) und eine im Porto Santo Stefano, erstaunlich gut erhalten. Über die Mühle gibt es folgende Erzählung: Eigentlich gab es vorher, also vor den Spaniern, neun Mühlen in der Lagune, die von den Gezeiten angetrieben wurden, also durch Wasserkraft, erst die Spanier montierten mit Segeln versehene Flügel darauf, sodass die Mühlen vom Wind bewegt wurden. Geblieben ist eine einzige, dafür gut sichtbar vom Monte Argentario und von Orbetello.

Die spanische Kultur spürt man irgendwie schon in der Bauweise der Häuser, vor allem in Porto Santo Stefano und in Orbetello, sie sind alle verputzt, drei bis vierstöckig, anders als die Häuser in der Städtchen in den Hügeln, die hauptsächlich aus Feldsteinen gebaut wurden. Auch der Begriff Maremma, stammt nicht nur aus dem lateinischen Maritima regio, sondern es schwingt dabei auch das spanische Wort „marisma“ (Sumpfland) mit. Es war eine sehr unzugängliche Gegend, aber durchaus bekannt; schon Dante schrieb darüber: „Sienna mi fé, disfecemi Maremma“ [Es schuf mich Siena, es zerbrach, zerstörte mich die Maremma]. Die Sumpflandschaft war einerseits unzugänglich und durch die Malaria auch gefährlich, andererseits war der Boden sehr fruchtbar, es wuchs und wächst immer noch alles. Wenn man die frisch gepflügten Felder mit der schwärzlichen, manchmal rostroten fetten Erde sieht, weiß man, dass es hier alles wachsen kann – Wein, Gemüse, Olivenbäume; aber es gibt auch Gärtnereien mit Setzlingen von Palmen, Olivenbäumen, Zypressen, Heckenpflanzen und Schirmpinien, dazu Rosen und anderen Blumen und natürlich auch alle Sorten von Getreide. Manche der Gärten auf dem Monte Argentario sind weitläufig und wunderschön angelegt, es blüht immer etwas.

Ganz früh lebten die Maremmani von Viehzucht und Bergbau, besonders Pyrit – Katzengold wurde abgebaut, auch gab es Schwefelgewinnung. Immer schon gab es Thermen mit dem Schwefelwasser, das warm, heiß sprudelnd aus der Erde kam. Die Thermen waren schon in der Römerzeit bekannt und werden weiter benutzt, die Cascate del Mulino in Saturnia mit ihren angelegten Becken, wo alle zu jeder Jahreszeit im warmen, schwefelhaltigen Wasser immer noch kostenlos baden können, sind weltweit bekannt.

Der Sumpflandschaft hat sich erst Großherzog Leopold II. (der Granduca) aus dem Hause Habsburg-Lothringen angenommen. Er startete 1828 das große Projekt der Anlage von Entwässerungskanälen, die die Ebene durchzogen und teilweise die Sumpfgebiete um das Delta des Flusses Ombrone trockenlegten. Er ließ auch Chinin gegen die Malaria unter den Arbeitern verteilen! Erst ein Jahrhundert später, also 1930, wurden weitere Maßnahmen zur Drainage durchgeführt und vor allem Pinien und Eukalyptusbäume angepflanzt, dadurch wurde auch die Malaria-Epidemie bekämpft. Die Geschichte dieses Stückchens Landes ist wirklich faszinierend. In Albarese erkenne ich an den Bauten, dass es sich um typische faschistische Anlage handelt. Nach längerem Suchen finde ich Folgendes heraus: Der „Granduca“ Leopold II. hatte hier große Ländereien erworben, die nach langen Streitereien über die Eigentumsrechte 1921 staatlich enteignet und dem „Nationalen Veteranenwerk“ (Opera Nazionale Combattenti) übertragen wurde. Mit großer Unterstützung durch die faschistische Regierung wurden die Ländereien modernisiert, die Neustadt angelegt. Nach der Auflösung des Veteranenwerks (1977) ging der Besitz an die Region Toskana über, an die „Azienda regionale agricola di Alberese“. Die alte Villa des Großherzogs wurde restauriert und den örtlichen Honoratioren zur Verfügung gestellt. Das riesige Gut produziert alles in biologischer Weise und der Wein Morellino ist sehr zu empfehlen, auch das Fleisch der Rinder, die auf den unendlichen, nach der Trockenlegung entstandenen Weiden grasen und von den „Butteri“, einer Art der italienischen Cowboys, gehütet werden.

Da ist mir hoffentlich ein sanfter Übergang zur Küche der Region gelungen. An sich wundert man sich, dass, wenn die Einheimischen von den Spezialitäten der Region sprechen, keine Fischgerichte erwähnt werden. Inzwischen ist es aber doch so, dass man direkt an der Küste eigentlich nur einfache Fischgerichte bekommt: fritto misto, spaghetti alle vongole, risotto allo scoglio (gleich risotto ai frutti di mare). Doch sobald man sich 10 Km vom Meer entfernt hat, herrscht überall Fleisch mit Pasta in allen möglichen Variationen vor und eben die gelten als Spezialitäten der Maremma; vor allem wird Wildschwein in allen erdenklichen Variationen verarbeitet, cinghiale alla cacciatora, aber auch als ragu für die pici, einer Art von sehr dicken Spaghetti, die per Hand vorbereitet werden und übrigens auch mit wenigen Steinpilzen schmecken. Bei der tagliata di manzo handelt es sich wirklich meistens um Fleisch von den Rindern, die man auf den Wiesen sieht, was man auch entsprechend schmeckt. Gegessen werden auch Kaninchen oder Perlhuhn, auch (leider?) manche Kleinvögel wie Tauben, und alles schmeckt wunderbar. Die Wurstauswahl, Salami, ist unendlich. Es gibt auch einige traditionelle vegetarische Gerichte aus der bäuerlichen Küche wie panzanella, vor allem mit dem gerade neuen, noch nicht ganz klaren Öl, gleich Ende Oktober, zubereitet; aquacotta, eine Art von Gemüsesuppe, oder die typischen und überall zu bekommen tortelli maremmani mit der Füllung aus Ricotta und Spinat, allerdings muss man sie ganz schnell ohne Soße bestellen, denn diese besteht meistens aus schwerem Wildschweinragu. Dazu trinkt man meistens den roten Morellino, der mir manchmal zu sauer ausfällt, aber oft auch wunderbar schmeckt. Bei dem Weißwein handelt sich oft um den bianco di Pitigliano, aus dem unheimlich malerischen Tuffsteinstädtchen mit seiner lebendigen jüdischen Kultur. Jedes Jahr entdecken wir neue Spezialitäten extra für uns.

Es handelt sich wirklich um ein von Gott begnadetes Stückchen Erde, das von den Menschen bis jetzt noch einigermaßen geschützt und von Massentourismus verschont geblieben ist.

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