Frauenblick auf Kunst und Krieg

Monika Wrzosek-Müller

Von Odesa nach Berlin. Europäische Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts

Ich fahre zum Kulturforum; morgen geht die Ausstellung „Von Odesa nach Berlin“ zu Ende. Offensichtlich ist ein Bus ausgefallen, denn meiner ist proppenvoll und alle zwängen sich nebeneinander und übereinander. Vorne schreit plötzlich ein junger, südländisch aussehender Mann: „scheiß Deutschland“, „scheiß West-Berliner“, dann später aber auch „scheiß Türken“, „Scheiße, Scheiße…“ immer wieder und immer lauter. Im Bus werden die Passagiere unruhig, zwei ältere Damen greifen zu ihren Handys, „wen soll man anrufen: Polizei oder erste Hilfe?“ fragen sie. Eine Frau vorne, die neben dem Schreienden sitzt, versucht ihn zur Ordnung zu rufen: „schreien Sie nicht so, wenn es Ihnen nicht passt, dann steigen Sie aus“; da schreit er noch lauter. Auch die Busfahrerin versucht den Passagier zu ermahnen, es hilft nicht. Dann, am Steinplatz, steigt eine Gruppe von sehr entspannten, freizeitgekleideten, mitteljungen deutschen Männern ein; sie lachen, sprechen laut, sind offensichtlich mit sich selbst sehr zufrieden; sie haben den wütenden Passagier nicht in Aktion gesehen, nicht einmal bemerkt. Und plötzlich hört der junge Mann zu schreien auf, er schaut den Männern zu, beobachtet sie, ist von ihnen fasziniert, steigt mit ihnen am Bahnhof ZOO aus und scheint ganz beruhigt zu sein. Immerhin begleitet er mich in die Ausstellung, fährt mit dem weiteren Bus in derselben Richtung ruhig weiter mit. Unheimlich, ich sehe ihn tatsächlich in der Ausstellung; ist er ein Ukrainer, ein Exilrusse? Er geht bedächtig durch alle Räume und ich wage nicht, ihn anzusprechen.

Am 24.01. 2025 öffnete in Berlin eine besondere Ausstellung in der Gemäldegalerie im Kulturforum ihre Pforten. Es war eine fabelhafte Idee der Direktorin des Museums Dagmar Hirschfelder, in den Dialog mit der Sammlung des Museums für westliche und östliche Kunst in Odessa einzutreten und die wertvollsten Bilder nach Berlin zu holen, sie geschützt aufzubewahren und der Welt zu präsentieren. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurden viele ukrainische Kulturstätten ausgeraubt und zerstört. Viele Schätze wurden aus dem Land in Sicherheit gebracht. Der Direktor des Museums in Odessa, Ihor Poronyk, hatte sehr schnell damit begonnen, die Bilder aus den Rahmen zu nehmen, sie zu verpacken und in einen Bunker zu transportieren. Er erzählt, dass inzwischen 40 Museen vorsätzlich von den Russen zerstört worden sind. Leider herrschen im Bunker keine optimalen Bedingungen für die Aufbewahrung der Gemälde; Feuchtigkeit, Staub setzten ihnen zu. Für die jetzige Ausstellung wurden 60 Gemälde von 74, die nach Berlin transportiert wurden, ausgewählt und in neue einheitliche Rahmen gefasst. Dazu kamen 25 Bilder aus der Sammlung der Gemäldegalerie; sie wurden nebeneinander gehängt, manchmal solche desselben Künstlers mit demselben Motiv, manchmal laden nur die Motive zum Vergleich ein.

Die Ausstellung beginnt mit einer großen Karte von Odessa, auf der das Museum markiert ist; an der Wand ein riesiges Foto von der zerstörten Kathedrale im Stadtzentrum. Die ersten Gemälde zeigen Porträts einiger wichtiger Persönlichkeiten der Stadtgeschichte, z.B. ein Porträt von Admiral Joseph de Ribas, von Graf Michail Semjonowitsch Woronzow, von Emilia Boldrini, auch ein Porträt des polnischen Bischofs Vincent Lipski und ein Porträt der Gräfin Olena Tolstoi. De Ribas baute im Auftrag von Kaiserin Katharina II. den Hafen von Odessa, Woronzow war russischer Generalgouverneur dieser Gebiete, die damals Neurussland hießen; er prägte die sich zum Westen öffnende Stadt. Wunderschön anzusehen ist das Bildnis der Gräfin Tolstoi von Domenico Morelli, eines neapolitanischen Malers; sie stammte aus einer ärmeren Familie und fühlte sich immer etwas an den Rand geschoben. Es folgen Marienbilder, die vom katholischen Glauben der Familien, die sie kauften bzw. bestellten, zeugten. Dabei fielen mir zwei wunderschöne, einander ähnliche Bilder von Francesco Granacci auf, eines Florentinischen Renaissancemalers; sie stellen die Thronende Madonna mit Kind und Johannes den Täufer als Knaben dar. So geht es weiter, die Bilder treten in Dialog miteinander, zeigen unmissverständlich, wie eng die Ukraine mit Westeuropa verbunden ist, was die Ukrainer gesammelt haben und was sie für wertvoll hielten. Viele der Bilder gehörten einst den wohlhabenden Familien, die in den Wirren der bolschewistischen Revolution und nach der Gründung der Sowjetunion 1917 fliehen und ihre Schätze zurücklassen mussten. Es folgen Stillleben, Genreszenen und Landschaften. Auffällig ähnlich zwei Bilder des Holländers Cornelis de Heem, Prunkstilleben mit Hummern, herrliche Bilder, natürlich das aus der Gemäldegalerie noch größer und noch exquisiter. Auch einige Bilder der Impressionisten gehörten dazu z.B. ein Gemälde vom Emile Claus, Sonniger Tag. Insgesamt sind es sehr schöne Gemälde und sie könnten genauso in Warschau, Madrid oder eben Odessa hängen; Europa sammelte ähnliche Bilder, den Kern einer Sammlung bildeten oft dieselben Künstler. Gut, dass die Ausstellung vom 19. Oktober 2025 bis 22.03. 2026 im Kurpfälzischen Museum Heidelberg gezeigt wird, später vom 13. August bis 26. Oktober wird die Druckgraphik aus Odessa in Kunsthalle Bremen ausgestellt. Zur Ausstellung ist ein aufwendig ausgearbeiteter Katalog, mit Abbildungen sämtlicher Exponate erschienen.

Anlässlich der Hochzeit von Jeff Bezos mit Lauren Sanchez, die für ihr Event praktisch ganz Venedig für drei Tage gemietet haben, fällt mir ein: Früher hat man die Künstler unterstützt, ihre Werke gekauft. Heutzutage versuchen Leute, die sich königlich geben wollen, etwas nachzuahmen, der Welt etwas Pompöses, meistens Geschmackloses zu präsentieren, offenbar nur sich selbst in Szene zu setzen. Leider bleibt davon für die folgende Generationen nichts übrig. Europa sollte nachdenklich werden, wenn es als bloße Kulisse für alle möglichen Events herhalten soll.

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