Monika Wrzosek-Müller
Wie erstaunlich es ist, dass ein Treffen mit einem jungen Menschen, der seinen Weg wirklich im Kleinsten, im Detail, in der Hingabe und dem meditativen Tun gesucht und darin die Erfüllung gefunden hat, mir endlich ein bisschen Hoffnung für die Zukunft gibt. Das Streben der ganzen Welt nach dem Großen, Unbeirrbaren, Fantastischen, Super-Exzellenten und vor allem nur nach dem ultimativen Deal macht uns klein und krank. Doch es gibt junge Leute, die zwar strebsam, ehrgeizig und fleißig sind, aber im kleinen Vorwärtskommen ihr Leben gestalten, ohne sich aufzuspielen. Das Beispiel von Marceli Klimek, der ein Künstler, ein Magier der Stickerei ist, zeigt das. Der junge Mensch (21 Jahre alt), noch in Ausbildung, aber schon sichtbar präsent, entwirft und zaubert Unheimliches. Wir sind vielleicht deshalb so fasziniert, weil seine Kunst der Stickerei uns in vergangene Welten führt, uns an unsere Omas erinnert, manchmal auch an die Handarbeiten in der Grundschule. Auf jeden Fall weht ein sanfter Wind der vorsichtigen Nostalgie und der verzaubert uns. Über den Künstler und über seine Ausstellung in der Galerie art.endart in Berlin gibt es hier schon mehrere Einträge und Berichte.
Auch der diesjährige italienische Kandidat für European Song Contest ist so einer: Lucio Corsi (31 Jahre alt) mit seiner Ballade Volevo essere un duro [Ich wollte ein starker Typ sein]. Eigentlich sollte, wie sonst immer, der Gewinner des italienischen Musikfestivals von Sanremo – diesmal der sanfte Raper Olly – nach Basel fahren und Italien dort vertreten. Doch wegen seiner zahlreichen Auftritte und Termine verzichtete er darauf und zum Zuge kam deshalb der zweitplatzierte Lucio Corsi. Vielleicht habe ich die ganzen Entwicklungen so detailliert verfolgt, weil Lucio aus der Landschaft in Italien stammt, in der wir jedes Jahr einen guten Monat verbringen, nämlich aus der Maremma, und weil unsere Freundin Sandra aus Grosseto seine Eltern kennt. Geboren wurde Lucio eben in Grosseto und er wuchs zwischen den Hügeln der südlichen Toskana und dem Mittelmeer auf, in Vetulonia, dort betrieben seine Eltern ein Restaurant. Lucio sang und beschäftigte sich mit Musik, seitdem er 14 war. Die Musik ist sein Leben, er schreibt seine eigenen Texte, begleitet sich selbst auf dem Klavier, spielt alle möglichen anderen Instrumente, zum Beispiel die Gitarre (eine seine Gitarren gehörte früher einmal Adriano Celentano), die Mundharmonika oder das Harmonium. Er trat zuerst in seiner Gegend auf, in örtlichen Lokalen oder auf den Dorffesten, von denen jede Menge gibt – ob festa, sagra oder gar palio. Später ging er nach Mailand und verfeinerte seine Musik, die erste Platte Vetulonia Dakar erschien 2015 und 2017 hat er bei Sony Music sein erstes Album aufgenommen. Den Durchbruch brachte ihm sein sehr persönliches Lied Tu sei il mattino [Du bist der Morgen], eine Erzählung über sein Leben, darüber, wo er geboren wurde und wie er aufgewachsen ist…: Fu amore per la prima volta, Io e te tra le gente che non sogna [Wir liebten uns zum ersten Mal, ich und du unter den Menschen, die nicht träumen]; ein Barde, ein Spielmann und ein Troubadour, sehr schlicht und ehrlich die Worte, die Bilder, die er mit seiner Musik untermalt. Genauso verhält es sich mit dem Song beim ESC-Auftritt; ohne große Dramatik und ohne spektakuläre Kulisse, aber das Lied klingt melodisch und lebensnah und auch hier spielt Lucio selbst Klavier und Mundharmonika, wird dabei von seinem Co-Autor, Produzenten und Gitarristen Tommaso Ottomano begleitet, auch er der in Maremma, am Monte Argentario, geboren und aufgewachsen.
Gut, dass beim ESC-Finale in Basel, auf dem Bildschirm eine englische Übersetzung von Lucios Lied in Untertiteln lief, denn es kommt hier schon sehr auf die Bedeutung der Worte an. Lucio erzählt von seinem Erwachsenwerden und den Erwartungen an Männlichkeit, die die Gesellschaft auf ihn überträgt. Er wollte zwar ein starker, ein harter Typ sein, ein Dealer, doch er sieht ein, dass er diesen Vorstellungen nicht entsprechen kann und er akzeptiert das. Er versöhnt sich mit seiner Verletzlichkeit, mit seinen Ängsten. Am Ende des Lieds kommt die bewegende Erkenntnis: Non sono altro che Lucio [Ich bin niemand anderes als Lucio]. Zwar gewann Lucio Corsi im ESC-Finale letztlich nur den fünften Platz, doch er wurde sehr wohl positiv wahrgenommen und es umgab ihn eine eigene Aura, weil er auch ein besonderer Künstler ist. Interessant, dass die Lieder mit den opulenten Kulissen und den szenischen Megaeffekten eher weniger Zustimmung fanden, offensichtlich kam es den Zuhörern doch mehr auf die Stimme und die Musik an, denn letztendlich gewann den song contest ja der österreichische Opernsänger Johannes Pietsch mit seiner außergewöhnlichen Countertenor-Stimme.
Lucio Corsi steht mit seinen Balladen in der Tradition italienischer Liedermacher wie Lucio Dalla, doch er wird oft auch mit David Bowie in Verbindung gebracht. Da seine Lieder nicht nur durch die Musik getragen werden, sondern auch durch die Texte, die Worte, will ich hier den Text von Volevo essere un duro zitieren, auch in der Übersetzung:
Volevo essere un duro che non gli importa del futuro
Un robot un lottatore di sumo uno spaccino in fuga da un cane lupo
Alla stazione di Bolo` una gallina dalle uova d´oro
Pero non sono nessuno non sono nato con la faccia da duro
Ho anche paura del buio se faccio a botte le prendo
Cosi mi truccano gli occhi di nero
Ma non ho mai perso tempo è lui che mi ha lasciato indietro
Vivere la vita è un gioco da ragazzi
Me lo diceva mamma ed io cadevo giù dagli alberi
Quanto è duro il mondo per quelli normali
Che hanno poco amore intorno o troppo sole negli occhiali
Volevo essere un duro che non gli importa del futuro
No un robot medaglia d´oro di sputo lo scippatore che t`aspetta nel buio
Il re di Porta Portese la gazza ladra che ti ruba la fede
Vivere la vita è un gioco da ragazzi
Me lo diceva mamma ed io cadevo giù dagli alberi
Quanto è duro il mondo per quelli normali
Che hanno poco amore intorno o troppo sole negli occhiali
Volevo essere un duro
Però non sono nessuno cintura bianca di judo invece che una stella
Uno starnuto i girasoli con gli occhiali mi hanno detto `stai attento alla luce`
E che le lune senza buche sono fregature
Perchè in fondo è inutile fuggire dalle tue paure
Vivere la vita è un gioco da ragazzi
Io, io volevo essere un duro però non sono nessuno
Non sono altro che Lucio
Non sono altro che Lucio
Hier in meiner Übersetzung:
Ich wollte ein harter Typ sein, dem die Zukunft egal ist
Ein Roboter, ein Sumo-Ringer, ein Drogendealer auf der Flucht vor einem Schäferhund
An der Bolò-Station, Eine Gans, die goldene Eier legt
Aber ich bin niemand, ich wurde nicht mit einem harten Gesicht geboren
Auch habe ich Angst vor der Dunkelheit
Wenn ich in eine Auseinandersetzung gerate, nehme ich die Schläge hin
So bekomme ich meine Augen schwarz geschminkt
Aber ich habe nie meine Zeit verschwendet
Es ist sie, die mich hinter sich gelassen hat
Das Leben zu leben ist ein Spiel für Kinder
Das sagte mir immer meine Mutter und ich fiel vom Baum
Wie hart die Welt für die Normalen ist, die wenig Liebe um sich haben
oder zu viel Sonne in der Brille
Ich wollte ein harter Kerl sein, dem die Zukunft egal sein kann
Kein Roboter, der eine Goldmedaille spuckt, ein Straßenräuber, der im Dunkeln auf dich wartet
Der König des Portese-Tors, die Elster, die dir den Glauben stiehlt
Das Leben zu leben ist ein Spiel für Kinder
Das sagte mir immer meine Mutter und ich fiel vom Baum
Wie hart die Welt für die Normalen ist, die wenig Liebe um sich haben oder zu viel Sonne in der Brille
Ich wollte ein harter Kerl sein
Aber ich bin ein niemand, ein Judo-Weißgürtel statt eines Sterns
ein Niesen, die Sonnenblumen mit den Brillen sagten mir `Vorsicht vor dem Licht`
Und falle nicht auf die Monde ohne Löcher rein
Denn am Ende kann man nicht vor den eigenen Ängsten fliehen
Das Leben zu leben ist ein Spiel für Kinder
Ich, ich wollte aber ein harter Kerl sein, doch ich bin ein niemand
Ich bin kein anderer als Lucio, kein anderer als Lucio
