Frauenblick auf Europa

Monika Wrzosek-Müller

Für Europa in Italien

Heute am 15. März um 15.00 Uhr gehen die Italiener in Rom auf die Piazza del Popolo; sie wollen für Europa, den Zusammenhalt, noch nähere Zusammenarbeit demonstrieren. Sie wollen zeigen, dass die Intellektuellen, Künstler, Schriftsteller und einige Politiker inzwischen einsehen, dass ohne ein vereinigtes Europa, das wirklich zusammenarbeitet, kein Gefühl der Sicherheit mehr entstehen kann. Sie wollen ihre Positionen klarstellen und für ein offenes, diverses, gerechtes aber auch sich selbst verteidigendes Europa zusammenstehen.

Seit einiger Zeit bin ich in Syrakus und eigentlich wollte ich mich von der Politik und dem ganzen Weltgeschehen fernhalten; zu sehr haben mich die letzten Entwicklungen mitgenommen. Doch die Zeit ist zu rebellisch, zu viel steht immer wieder auf dem Spiel und zu sehr hängt unser Schicksal von den zwei mächtigen Männern der zwei großen Staaten ab, die wenig Einsicht und Interesse für die anderen zeigen. So verfolge ich die Ereignisse im italienischen Fernsehen und lese immer wieder die Zeitung la Repubblica.

Die Zusammenkunft in Rom soll die Italiener mobilisieren, ihnen Kraft und Hoffnung vermitteln, damit sie an die Idee des vereinigten Europas glauben, sie darin bestärken, dass nur auf diesem Weg, dem europäischen, können sie, aber auch wir, in Frieden und Freiheit leben. Sie sollen auch einsehen, dass der einzige Aggressor im Ukrainekrieg Putin ist. Angesichts der weitverbreiteten russischen Desinformation, gerade auch in Italien, brauchen die Menschen klare Positionen, klare Linien und den Glauben an die europäische Idee. Doch nicht diejenigen verwickeln uns in einen möglichen Krieg, die auch die Entsendung von Truppen in die Ukraine fordern, sondern diejenigen, die ständig über die nukleare Bedrohung schwadronieren und die Entsendung der nötigen Waffen in die Ukraine immer wieder verzögern. Denen sei nur gesagt: Welche Position werdet ihr einnehmen, wenn die russischen Truppen an unseren Grenzen stehen?

Denn ganz realistisch gesehen, ist der Krieg in der Ukraine auch unser Krieg – geführt für unsere Werte, für die Vorstellungen von einer demokratischen, gerechten Welt und für unsere Lebensweise. Das alles sollen die Italiener heute in Rom erfahren und dafür auf die Straße gehen. Es werden viele Politiker und Journalisten, Intellektuelle, Philosophen und Schriftsteller sprechen, einige Sänger singen. Unter den Schriftstellern, die ich besonders schätze, soll Dacia Maraini dabei sein.

Als Vorbereitung auf das Treffen in Rom gab es heute ein kleines Heft mit dem „Manifest von Ventotene“ [Il Manifesto di Ventotene. Per un Éuropa libera e unita] von Altiero Spidelli und Ernesto Rossi, das der Zeitung la Repubblica beigefügt war. Die beiden und noch andere mehr fanden auf der kleinen Insel Ventotene zusammen, als politische Gefangenen (Antifaschisten) 1941/42, ziemlich vom Rest der Welt abgeschnitten. Sie konnten ungestört stundenlang diskutieren, kamen aus den verschiedensten politischen Richtungen, wollten die Fehler der Entwicklungen erörtern, die immer wieder zu Kriegen geführt hatten. So entstand die zentrale Idee des europäischen Föderalismus. Sie sahen die ausgeprägten Nationalstaaten, den bellum omnium contra omnes unter ihnen, als Ursache für den Zweiten Weltkrieg und andere Kriege in Europa. So forderten sie die Gründung eines europäischen Bundesstaats; da sie hauptsächlich von sozialistischen und kommunistischen Vorstellungen ausgingen oder geprägt waren, konnte das auch auf revolutionären Weg geschehen.

Das Manifest wurde auf Zigarettenpapier aufgeschrieben und von Ursula Hirschmann, Ehefrau eines der Gefangenen, im Bauch eines Huhns herausgeschmuggelt. Danach wurde es in Rom als Flugblatt veröffentlicht. Es war einer der ersten Entwürfe für die Entstehung der europäischen Integration. So gut gewappnet werden die Teilnehmer des römischen Treffens heute ihrer Zustimmung Ausdruck geben; ich hoffe, es werden viele Tausende auf die Piazza kommen.

Ich werde das Ereignis im Fernsehen verfolgen und hoffentlich muss ich nicht schon wieder denken, was ist eigentlich mit Deutschland, wo und wie steht Deutschland im Moment zum Europa, warum gehen so wenige Ideen von dem Land, in dem ich lebe? Deutschland entwickelt so wenig Zugkraft in diesem schwierigen und wichtigen Moment für Europa. Vielleicht doch gut, dass ich hier bin.

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