Monika Wrzosek-Müller
Zirkus Roncalli, Weihnachtszirkus in Tempodrom 2025
Eigentlich dachte ich, ich mag den Zirkus nicht und doch, als ich von einer Freundin eingeladen wurde, habe ich mich sehr auf das Event gefreut. Vielleicht und zumal, weil das alles im Tempodrom stattfand und die Anlage mir immer von weitem gefallen hat. Schon in der S-Bahn habe ich die Menschenströme beobachtet, die in meine Richtung fuhren, dann die Trauben von Menschen, die vor den Eingängen standen. Es war proppenvoll, alles ausverkauft.
Aufgeregte Großeltern liefen hin und her und betreuten übermäßig angestrengt die ihnen anvertrauten Kleinen, wahrscheinlich ihre Enkel. Vor allem fielen mir die Kinder auf, mit ihren kleinen Gesichtchen, leuchtenden Augen, geröteten Bäckchen, manchmal verschwitzter Stirn, nachdenklich, konzentriert. Ja, Kinderscharen auf allen Gängen und Sitzen, dazwischen führte manchmal eine Mutterperson bis zu zehn Kindern an; wahrscheinlich hat sie sie alle in der Nachbarschaft oder bei Freunden aufgesammelt. Man sah auch Geburtstagsgrüppchen, noch vor dem offiziellen Anfang gab es auf der Manege extra Vorführungen eben für diese Kindergruppen; da sah man viele Prinzessinnen auch einige kleine Cowboys und überall spürte man Neugierde, Spannung und Begeisterung. Auch – klar – wurde tüchtig Popcorn gefuttert und Cola oder etwas Anderes getrunken, die Großeltern, auch in beachtlicher Zahl, hatten sich in Schale geworfen und spendierten, was das Herz begehrte. Nur vor den Toiletten bildeten sich lange Schlangen und manch einer schaffte es während der Pause nicht rein.
Zirkus Roncalli ist nicht irgendein Zirkus, sondern einer mit einer besonderen Vorgeschichte, mit einer famosen Familie und vor allem mit einem bekannten Gründer, Bernhard Paul. Das alles wusste ich nicht und doch spürte ich eine Brise von Melancholie und die Ästhetik der vergangenen Zeiten mit den Darbietungen aufsteigen, die ich selbst in einem kleinen Zelt in Polen, aber auch später in Italien erlebt habe. Fast alles zum Anfassen, zum Bestaunen, zum Berühren nah. Die Artisten auch ansprechbar, die Auftritte zwar kompliziert und kunstvoll, aber ohne unheimliche Maschinerie und ohne lange Vorbereitungen in der Manege. Das alles erlebte ich jetzt bei Roncalli, natürlich größer und vielleicht professioneller, aber dieser Hauch der Verträumtheit und des zurückversetzten Seins in die Vergangenheit war dabei, vielleicht liegt das auch nur an der Kraft meiner Kindheitserinnerungen. Das Programm, die Bühne, die Kostüme, das Orchester – alles fabulös, wirklich zum Träumen. Die Mischung aus Poesie mit nachdenklichen Clowns, Artistik, Äquilibristik, Zauber-, Illusionskunst mit farbenprächtigen Kostümen, alles glitzert, vibriert, versetzt in Staunen und erzeugt Glücksmomente, die wir doch so sehr brauchen. Schon lange (seit 2018) gibt es bei Roncalli keine Tierdressuren mehr, stattdessen: ganz raffinierte Akrobaten, Äquilibristen bevölkern den Zirkushimmel und Clowns, Jongleure sorgen am Boden für Lachsalven. Eine Nummer hat sich mir besonders eingeprägt; das war, als die ganze Manege mit einem Meer aus Federblumen bedeckt wurde, die aus einem kleinen Kästchen herausgezogen wurden, von einem Clown in den Boden katapultiert wurden und dank der daran befestigten Pfeile dort steckenblieben. Die Blumen hat der Zirkusdirektor Bernhard Paul der Witwe des großen Magiers Dinardi abgekauft; so erlebt man eine Nummer wieder, die vor und nach dem Krieg Erfolge gefeiert hatte. Vor allem aber spürt man den Teamgeist, die Begeisterung auch der Artisten und ihr Engagement für ihren Zirkus erlebt man während der Pause in den Gesprächen und kleinen Vorführungen für die Kinder. Die Kostüme und das Bühnenbild sind manchmal großen Künstlern, Malern abgeschaut; so erleben wir die Welt der Uhren von Salvador Dali oder prächtige bunte Blumengebilde wie die bei Frieda Kahlo. Angeblich gibt es jedes Jahr neues Thema, das das ganze zusammenhält.
Zu Hause, auf dem Sofa habe ich überraschend in der ARD-Mediathek eine dreiteilige Dokuserie: „Zirkus Roncalli. Macht der Manege“ entdeckt. Da erfährt man, wie ein Wiener Graphiker Bernhard Paul am Anfang mit André Heller einen Zirkus in Wien gründet, der eine ohne Geld, der andere vielleicht mit zu viel, und wie sie schnell auseinandergehen; was bleibt ist die Begeisterung für den Zirkus bei Bernhard Paul und der trotz Schulden und vielen Kämpfen, die er mit anderen Zirkusinhabern ausfechten muss, seiner Idee treu bleibt. Die ganze Geschichte seines Zirkus werde ich hier nicht nacherzählen, man kann sie wirklich gut aus dem Dokumentarfilm erfahren. Interessant fand ich, dass der Zirkus letztendlich in Köln, also in Deutschland, sein Hauptquartier gefunden hat, dass sie immer noch in den Zirkuswagen herumreisen, auch wenn die auf Züge verladen werden. Auch dass sie in die Sowjetunion, nach Moskau 1986 eingeladen wurden, dort den weltberühmten Clown Bolek Popow kennenlernten und erlebten. Und immer wieder kommen die Connections zu italienischen Artisten, Künstlern zum Vorschein – so zu den Fumagalli-Brüdern mit ihrer Nummer „Bienchen gib mir Honig“, die diese Traurigkeit des Spaßmachens besonders beherrschen; auch die Frau des Zirkusdirektors stammt aus Italien. 2023 wurde der Zirkus nach New York eingeladen und hat vor vielen bekannten Persönlichkeiten ihr Programm präsentiert. Alle Tourneen tragen bunte, phantasievollen Namen z.B.: Reise zum Regenbogen, Commedia dell`Arte, Salto vitale, Teatro Paradiso, Zwischen gestern und Morgen, All you need is Love, Art is Art etc…
Mit Berlin ist der Zirkus auch sehr verbunden, 1987 gastiert er hier zur 750-Jahrfeier der Stadt, aber auch nach dem Mauerfall, zur Wiedervereinigung kommen die Artisten an die Spree, in die neue Hauptstadt. Jetzt tritt der Zirkus in Berlin nicht in einem Zelt auf, sondern mietet schon seit einiger Zeit und für länger das Tempodrom an.
