Überall Don Quijote

Ewa Maria Slaska

Rattenbarataria (drei Bücher und eine Skulptur)

Firmin wächst im Keller einer Bostoner Buchhandlung auf und liest sich Buch für Buch durch die Weltliteratur. Er entdeckt, wie spannend das Leben der Menschen ist und macht sich auf, ihre Freundschaft zu suchen. Sam Savage erzählt in diesem gefeierten Kultbuch die traurig-charmante Geschichte eines verkannten Außenseiters.

“Hin und wieder stelle ich mir vor, dass während der ersten Augenblicke in meinem Kampf ums Dasein, begleitet von einem Triumphmarsch, Moby Dick zu Konfetti zerfetzt wurde. Das würde meine angeborene Abenteuerlust erklären. An Tagen, an denen ich mich wie ein echter Außenseiter und Freak fühle, suche ich die Schuld bei Don Quijote. Hören Sie sich das mal an: »Schließlich versenkte er sich so tief in seine Ritterromane, dass ihm die Nächte vom Zwielicht bis zum Zwielicht und die Tage von der Dämmerung bis zur Dämmerung über dem Lesen hingingen; und so, vom wenigen Schlafen und vom vielen Lesen, trocknete ihm das Hirn so aus, dass er zuletzt den Verstand verlor. Zuletzt, da er mit seinem Verstand völlig zu Ende gegangen, verfiel er auf den seltsamsten Gedanken, auf den jemals in der Welt ein Narr verfallen; nämlich es deuchte ihm angemessen und notwendig, sowohl zur Mehrung seiner Ehre als auch zum Dienste des Gemeinwesens, sich zum fahrenden Ritter zu machen.« So steht er vor uns, der Ritter von der traurigen Gestalt: töricht, eigensinnig, ein Narr, naiv bis zur Blindheit, idealistisch bis zur Groteske – und wer soll das sein, wenn nicht ich? Ich war schon immer, und das ist die Wahrheit, ein Spinner. Allerdings greife ich keine Windmühlen an. Ich mache etwas noch Verrückteres: Ich träume vom Kampf gegen Windmühlen, ich sehne mich nach der Attacke auf Windmühlen, und manchmal bilde ich mir ein, ich hätte gegen Windmühlen losgeschlagen. Und was ist am Ende daran so anders? Ein hoffnungsloser Fall ist ein hoffnungsloser Fall. Doch will ich darauf jetzt nicht herumreiten. Das kommt später.” (S. 17)

Es ist ein Buch über eine Leseratte. Die Kritiker preisen es als traurig schön oder melancholich intelligent und vor allem – lustig. Die Adjektive stimmen auf jeden Fall, trotzdem fand ich das Buch überhaupt nicht komisch oder lustig, auch nicht traurig intelligent, sondern schlicht langweilig (sorry, Sven!), da Du es mir aber an der oben zitierten Seite 17 versprochen hast, dass ich im Laufe der Lektüre, wieder an Don Quijote gelange, las ich Deinen Rattenroman bis Ende und fand jede Menge intelligentes Anspielung-Zeugs, z.B. an Finnegan Wake, aber keinen Don Quijote mehr. Eigentlich Schade.

***

Ich las Firmin im Zug nach Warschau und dann in Warschau. Meine zwei weiteren Warschau-Urlaub-Bücher waren von polnischen Autor:Innen und ich las sie selbstverständlich auf Polnisch. In allen beiden fand ich eine Don Quijote Anspielung. Ist er wirklich überall?

Monika Szwaja, Zapiski stanu poważnego / Melchior Wańkowicz, Tędy i owędy.

Und hier noch eine Frage. Das ist Jesus in der Jesus-Christus-Kirche in Berlin-Dahlem. Ist er nicht zugleich der Don Quijote?


Die Figur ist von berühmten deutschen Bildhauer, Bernhard Heiliger (1915–1995), gefertigt. Die 1983 gemachte Skulptur geht unmittelbar auf eine erste Fassung zurück, die Heiliger bereits 1963–64 für die neu erbaute Kirche am Lietzensee entwarf. Damals wurde diese ausgesprochen moderne Jesus-Darstellung abgelehnt. Erst nach zwanzig Jahre gelangte die überarbeitete Version nach Dahlem. Wenngleich die Darstellung des Gekreuzigten, schreibt der portal museum-digital.de, aus verschieden geformten scharfkantigen Eisenteilen nicht figurativ ist, so ist der gemarterte Körper dennoch in abstrahierter Form erkennbar. Insbesondere die Dornenkrone arbeitete Heiliger deutlich heraus.

Die Jesus Figur an der Fassade der Kirche ist ein Werk von Ludwig Isenbeck (1882-1958) aus dem Jahre 1931.

One thought on “Überall Don Quijote

  1. WordPress wollte keinen Kommentar von Ela Kargol akzeptieren. Mal sehen, ob er einen von mir aufnimmt.

    Also, das ist der Kommentar, oder eh, eine Ergänzung, von Ela:

    Wenn es um Heiliger geht, um den Künstler, Bernhard Heiliger und seine Christusfigur in Dahlemer Jesus-Christus-Kirche, da muss ich etwas ergänzen.

    Folgendes:

    Es ist ein zweites Exemplar der Christus-Figur (hängt seit 1992 in dieser Kirche)

    Das erste Exemplar hängt seit dem 1983 in Dahlemer St. Annen-Kirche.

    Es sollte eigentlich woanders hängen und viel größer sein.

    Diese Skulptur war ursprünglich für die neue von Egon Eiermann erbaute Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche geplant gewesen. Egon Eiermann wünschte sich für den neuen oktogonalen Neubau der Kirche eine „moderne“ Kreuzigungsdarstellung. Die Darstellung war aber zu modern, zu extravagant, für damaliges Publikum. Drei Tage hing das Modell aus Gips und Draht in der Kirche. Aufgrund von Protesten aus der Bevölkerung, aber vor allem der damaligen Bischof Dibelius, musste die Skulptur wieder entfernt werden.

    Das Gleiche ist zehn Jahre später in der Kirche am Lietzensee  passiert. Man wollte auch hier nicht diesen “Gekreuzigten”.

    Erst 1983 dank des damaligen Pastors der St. Annen Gemeinde, Berend Wellmann gelang die Skulptur in kleineren Form (deshalb die zweite Fassung) in die St. Annen-Kirche.

    Es gab einige Proteste, aber die meisten sprachen sich für den Erwerb der Skulptur aus. Die Gemeinde musste nur für die Materialkosten aufkommen.

    Was hat das ganze mit dem Don Kichot zu tun?

    Erster Blick, erster Eindruck? Die Skulptur ähnelt Don Kichots-Darstellungen.

    Jetzt kommt nur die Frage wer ist wer?

    War Christus einer von den vielen Don Kichoten, die vergeblich mit den Windmühlen kämpften?

    Oder der Künstler?

    Auf die Frage, was den Künstler zu der Christusskulptur veranlasst habe, erzählte Bernhard Heiliger:

    „Mit 10 Jahren besuchte ich mit meiner Mutter eine Kirche. Da sah ich eine überlebensgroße Christusskulptur.
    Expressionistisch gestaltet, drückte sie das ganze Elend der Welt aus. Die Züge waren eingefallen und abgehärmt, die Augen quollen aus ihren Höhlen. Ich war von dem Eindruck so bewegt, dass mich das Bild nicht mehr losgelassen hat.“

    Und das war in Stettin. Bernhard Heiliger (1915–1995) war ein gebürtiger Stettiner.

    Jetzt ruht er im Frieden auf dem Dahlemer Friedhof bei St.-Annen-Kirche.

    Heiliger hat sich nie zuvor und nie danach in seiner Arbeit mit Themen der religiösen Tradition befasst.

    Es war nur die eine Kreuzigung.

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