Frauenblick: Abschiede

Monika Wrzosek-Müller

Zuerst war der Hund, unser Mini-Dackel genannt Zitta aus unserem Leben verschwunden. Zugegeben, in der letzten Zeit war sie sehr anhänglich, aber dass das Ende naht, haben wir wirklich nicht geahnt.

Tier und Mensch
So viele Jahre ohne Tier schon
Kein Klagen an der Tür, kein Grüßen
Kein sehnsuchtsfeuchter Blick, kein Drängen
Kein Streichen um das Bein, kein Schnurren
Kein selbstvergessenes Mahl, kein Lecken
Kein traumverlorenes Ruhn, kein Schlummern
So viele Jahre schon gar kein richtiger Mensch mehr.
(Robert Gernhardt)

Nicht so viele Jahre, erst vor einem Monat mussten wir sie einschläfern lassen; es ging nicht anders.

Im Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Pankow hatte eine Mitarbeiterin einen Zwergdackel, der sehr lebendig, lustig und pfiffig war. Er sauste immer wieder über die langen Flure des Instituts, hielt sich an keine Regeln, an keine Verbote, Gebote, Gesetze. Es war ein Weibchen – sehr resolut und hübsch. Wir/ich haben uns sofort in den Hund verliebt. Man sagte mir, dass sie aus einer Hundezucht nicht weit von Posen stamme, dort könne man schnell und preiswert so einen Hund kaufen. Die Auswahl fiel dann auch gar nicht schwer, es sollte so ein kleines, süßes aber auch eigenwilliges Hündchen sein. Wir brachten bald einen Winzling, so in der Größe eines Eichhörnchens, nur etwas dunkler, nach Hause. Die ersten Tage und Wochen waren nicht leicht, weil der Winzling überall pinkelte, in der Nacht jaulte und man ständig mit ihm beschäftigt war. Doch bald wurde es Zitta genannt, auch ein Weibchen, weil sie sehr lange nicht gebellt hatte und eher sehr still war [aus dem italienischen: stai zitta!, sei stil!l]. Die Italiener mahnten mich dann immer wieder, wenn ich sie auf dem Weg zum Strand rief, Zitta, Zitta! – Aber: – signora, lei é zitta [sie ist doch still]. Wegen ihrer Größe – Mini konnten wir sie überall hin mitnehmen und so reiste der Hund viel in Europa herum, sie durfte auch mit in die Kabine im Flugzeug, weil sie nur etwas über 5 kg wog. Ich fand sie besonders hübsch, intelligent und eigenwillig, sie war „dürrlaubfarben“, eine Seltenheit bei den drahthaarigen Dackeln. Manchmal ärgerte mich auch, dass wir immer mehr Rücksicht auf sie nehmen mussten; sie wollte bei niemanden länger bleiben, war in den letzten Jahren extrem auf uns fixiert, so dass wir auf einige Reisen verzichten mussten. Doch auf langen Wanderungen in der Uckermark war sie eine treue Begleiterin, freute sich immens, dort überall zu schnüffeln und herumzulaufen; ich denke unsere Einsiedelei im Wald hat ihr einige Jahre geschenkt.

Immer noch habe ich mich nicht daran gewöhnt, dass ich morgens nicht mit ihr rausgehen muss. Neue Routine für sich aufzubauen, für Bewegung zu sorgen, ist ohne den Hund nicht einfach. Immer wieder sammelt man Essensreste, die sie gemocht hat, und merkt plötzlich: umsonst… Es sind immerhin 14 gemeinsame Jahre gewesen.

In Warschau habe ich die Wohnung meiner Eltern ausgeräumt, zum letzten Mal dort geschlafen; es war die Wohnung, in der sie ihr ganzes gemeinsames Leben verbracht haben und ich meine Kindheit und Schuljahre. Im Vergleich zu mir, die in ihrem erwachsenen Leben ständig umgezogen ist und überall in Europa gelebt, gewohnt hat, äußerst ungewöhnlich. Aber was ist ungewöhnlich: mein Lebensweg oder ihrer? Eine durchschnittliche Dreizimmerwohnung aus den 70er Jahren, volksrepublikmäßig, mit einem Standardbalkon aber mit einem hübschen Gärtchen davor. Die meisten Familienfotos wurden eben auf diesem Balkon aufgenommen, mit obligatorischen langen Haaren und Sonnenbrillen; ein Erinnerungsort einer Familie…

Diese Wohnung haben wir alle gemocht, auch wenn das Familienleben nicht immer rosig war und ich deshalb schon sehr früh ausgezogen war.

Jetzt habe ich im Keller gewühlt, auf dem Dachboden… nach Sachätzen, nach Andenken gesucht; gefunden habe ich drei alte, kaputte Fahrräder und diverse alte Koffer voller Kleider und verblichener Dokumente, die niemandem nützen. Im Keller bleibt ein Sammelsurium von Schrauben, Nageln, Werkzeugen, die mein Vater benutzt hat, auch unzählige leere Weckgläser, sonst Staub und Feuchtigkeit… und die Erinnerungen, die bei manchen Gegenständen ganz stark und sehr präzise kommen.

Was bleibt von meinen Eltern, die so viel erlebt haben? Sind ihre Spuren irgendwo sichtbar, kann man sie verfolgen? Vielleicht sogar besser als meine Spuren, die in der Fremde eigentlich wirklich unsichtbar geworden sind. Mein Vater ist durchaus bekannt – als Kombattant des Warschauer Aufstands von 1944; er gehörte zum Bataillon „Parasol“, von dem nur sechs Kämpfer den Aufstand überlebten. Seine Aufzeichnungen hat mein Vater dem Museum des Warschauer Aufstands überlassen. In seinen letzten Lebensjahren wurde er für das lange Schweigen nach dem Krieg in der VRP entschädigt; in mehreren Büchern wurde er erwähnt, mit militärischen Ehren bestattet, eine Schule trägt seinen Namen. Es hat ihm so viel bedeutet, dass er darüber reden konnte, irgendwann endlich. Jetzt zum 80. Jahrestag des Aufstandes feiert man in Polen, besonders in Warschau, zur Erinnerung an die „Stunde W“, alle bleiben um 17.00 Uhr auf den Straßen still stehen. In Deutschland müssen die jungen Generationen unbedingt mehr darüber erfahren, dass die Gräueltaten sich eben nicht nur gegen die Juden richteten.

Meine Mutter wiederum wurde als kleines Kind aus Lemberg (L’viv) von den Sowjets nach Kasachstan verschleppt; sechs Jahre verbrachte sie dort, am Anfang unter völlig unmenschlichen Bedingungen, dann lebte sie in der Stadt Semipalatinsk, ging dort auch zur Schule und kehrte 1946 – immerhin mit perfektem Russisch und exzellenten Mathematikkenntnissen ausgestattet – nach Polen zurück, nach Warschau, in eine ihr eigentlich völlig unbekannte Stadt, dort wohnte der einzige überlebende Onkel. Doch sie hat sich hochgearbeitet, als Kartografin, als Dolmetscherin, nie parteizugehörig, immer dickköpfig und selbstbestimmt.

So sind diese zwei Abschiede zusammengekommen und lasten auf der Seele. Sich abfinden, weiterschauen, vorwärts und nicht nach hinten, ist leichter gesagt als getan, besonders wenn man eigentlich zwischen drei Ländern im Kopf lebt und nicht angekommen ist, da, wo es eigentlich hätte sein sollen. Irgendwo trägt man das alles mit sich und es bricht in völlig unbequemen und unvorhergesehenen Momenten aus.

One thought on “Frauenblick: Abschiede

  1. Pani Moniko, 

    jakże bliski jest mi ten dzisiejszy wpis!

    Te odchodzenia ludzi bliskich (we wszystkich opcjach bliskości), jak i też bardzo różnych, moich zwierzątek.

    Ostatnie rodzeństwo mych kotków, również opuściło tę planetę, ale nigdy serce…

    Kiedyś miałam więc potrzebę, by napisać coś takiego :

    Kotka Lili

    Piękny,
    elegancki chód,
    cichej pantery…

    Oczy
    szmaragdy,
    z ironią wyższości.

    Błysk
    czarnego aksamitu
    odbijał księżyc,

    a w dzien
    lśnił w słońcu
    wielokaratowo…

    Położyła się
    na mym sercu
    jak w łóżku…

    I nie pozwala
    mi go na długo,
    teraz zaścielić.

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