Liebe Leser:innen: Morgen liest die Autorin im Sprachcafé Polnisch
Monika Wrzosek-Müller
Anmerkung zum Film
Wir haben im Blog über den Film geschrieben. Wichtig war, schien mir, ob der Film dem Auschwitz-Grauen gerecht wird, ob diese Form der Verarbeitung, der Verfremdung dieser ungeheuerlichen Geschichte hilft, sie besser verständlich zu machen. Die Meinungen waren geteilt und schon selbst diese Tatsache ist auf jeden Fall hilfreich, denn sie lässt nicht zu, diese Momente der Geschichte zu vergessen. Für mich wichtiger ist, dass wir eben darüber sprechen und es nicht der Vergangenheit überlassen; auch darüber, was mit den Menschen, die diesen Ort des Grauens am Laufen hielten dann nach dem Krieg geschah. Gerade lese ich in der aktuellen Ausgabe der ZEIT ein Interview mit Peter Kalb, der die Zeugen bei dem Frankfurter Auschwitz-Prozess, 1964-1965, begleitet hat. Als junger Mensch hat er ehrenamtlich geholfen, die Zeugen, die damals aus der ganzen Welt: aus Israel, aber auch aus Amerika und Kanada zum ersten Mal nach dem Krieg nach Deutschland/in die BRD kamen, vom Flughafen, von der Bahnstation in die Hotels zu bringen und dann aber auch mit ihnen im Gericht zu warten bis sie mit ihren Zeugenaussagen an die Reihe kamen. So kam es dazu, dass er die Verhandlungen genau mitbekommen hat und sie verfolgt hat. So ist das Gespräch mit ihm sehr interessant, auch durch einige hier mitgeteilte Anekdoten.
Laut ZEIT haben in Auschwitz über die Jahre ungefähr 8.000 SS-Männer und 200 SS-Frauen die industrielle Tötung am Laufen gehalten. Am Ende saßen in Frankfurt 20 Männer auf der Anklagebank. Im August 1965 endete der Prozess: sechs Angeklagte wurden zu lebenslanger Haft verurteilt, zehn Angeklagte erhielten Haftstrafen zwischen drei und vierzehn Jahren. Einer wurde zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt, da er noch Schüler war, als er als SS-Unterführer nach Ausschwitz versetzt worden war. Drei Beschuldigte wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen…
Mir ist erst in den letzten Jahren bewusst geworden, wie wenig die Verantwortlichen wirklich zur Rechenschaft gezogen wurden. (Siehe den berühmten Bürgermeister von Westerland auf Sylt, Heinz Reinefarth, der Henker von Warschau, der dort das Bürgermeisteramt nach dem Krieg 13 Jahre ausüben konnte). Es wurde in der Bundesrepublik zu schnell mit dem Wiederaufbau begonnen, mit dem Geld verdienen, mit dem Schaffen und Anschaffen, vielleicht wegen des Kalten Kriegs.
Zurück zum Film und seinen Hauptfiguren. Rudolf Höß, der Kommandant von Auschwitz, konnte sich 1945 nach Flensburg retten und in der Gegend untertauchen, bis er von dem englischen Ermittlungsteam aufgespürt und festgenommen wurde. Mehrmals wurde er verhört, nicht zuletzt als Zeuge bei den Nürnberger Prozessen, immer wieder lieferte er erstaunlich detaillierte Angaben zu den Massenvernichtungen. Angeblich bis zum Schluss verstand er nicht, warum man ihn beschuldigte, denn er hatte nur Befehle ausgeführt. Höß wurde nach Polen ausgeliefert und dort durch ein Gericht zum Tod durch Erhängen verurteilt. Vollstreckt wurde das Urteil 1947 in Oświęcim, auf dem Gelände des Konzentrationslagers Auschwitz.
Seine Frau, die in Polen berühmte Hedwig Höß, geb. Henkel, „Königin von Auschwitz“, wurde nie für etwas belangt. Sie und ihre fünf Kinder lebten in Norddeutschland. Sie trat als Zeugin bei dem Frankfurter Auschwitz-Prozess auf und laut ihren Aussagen konnte sie sich an nichts erinnern. Dazu erzählt Peter Kalb in der ZEIT folgende Anekdote: „Ich will mit dem Zeugen Stachek Kaminski auf die Zuschauertribüne im ersten Stock. Wir steigen in den Aufzug. Die Tür ist schon am Zugehen, als plötzlich eine Hand die Tür aufhält. Eine Dame und eine jüngere Frau steigen dazu. Ich merke, wie bei Stachek augenblicklich etwas passiert. Er wird ganz blass und beginnt zu zittern. Der Aufzug fährt hoch, wir steigen aus, die Frauen gehen weg. Ich frage: ‚Stachek, was ist denn los?‘ Er fragt: ‚Weißt du, wer das war?‘ Wusste ich natürlich nicht. ‚Das war Hedwig Höß mit ihrer Tochter, die Frau von Rudolf Höß, dem Lagerkommandanten von Auschwitz‘.“
Kalb: „Stachek war als 16-Jähriger nach Auschwitz deportiert worden. Um zu überleben, hatte er angegeben, Schreibmaschinenmechaniker zu sein. Stimmte zwar nicht, aber so ist er bei der Selektion nicht auf die Seite derer gekommen, die ins Gas gingen. Einmal wurde er mit ein paar anderen Häftlingen zu Reparaturen in die Höß-Villa geschickt, die gleich neben dem Lager stand. Hedwig Höß erteilte ihnen dort ihren Arbeitsauftrag für den Tag. ‚Und wenn ihr nicht repariert‘, habe sie zu ihnen gesagt und durchs Fenster nach draußen aufs Lager gezeigt, ‚dann geht ihr da durch den Kamin‘. Die Höß war auf freiem Fuß, sie wurde auch später nie belangt. Sie musste im Prozess aussagen. Aber das Einzige, was sie sagte, war. Ich kann mich nicht erinnern.“
Ich denke, Sandra Hüller hat sie gut getroffen.
