Monika Wrzosek-Müller
Vier Kurzfilme von Wes Anderson nach Erzählungen von Roald Dahl
Ewa hat uns über die beiden neuen polnischen Filme Znachor und Chlopi informiert. Ich bin ihr sehr dankbar, weil man immer wieder etwas verpasst, oder zu spät reagiert und manche Filme verschwinden sehr schnell auf Nimmerwiedersehen.
Daher möchte ich heute gerne über die vier neuen Kurzfilme von Wes Anderson nach Erzählungen von Roald Dahl auf Netflix berichten; ich habe sie mir zwei Mal angesehen und fand sie faszinierend, vielleicht nicht gerade filmisch, aber durchaus theatralisch und ästhetisch. Nach den Filmen Grand Budapest Hotel und The French Dispatch, die sich ähnlicher Kulissen, oder besser gesagt ähnlich ausgedachter Kulissen bedienen, konnte man auch vielleicht diese Art von Filmen erwarten. Sie entstehen nur im Auge des Regisseurs und haben meistens wenig mit der wirklichen Umgebung zu tun. Nun gut, The French Dispatch, der an einem fiktiven Ort in Kansas spielt, wurde doch in einer realen Stadt in Frankreich gedreht, in Angoulême. Sie wurde aber sehr verfremdet.
Ich sehe, was du nicht siehst, Der Schwan, Der Rattenfänger, Gift: vier Kurzfilme, von denen der erste, der längste ca. 40 Min dauert; die anderen wesentlich kürzer je ca. 17. Min. sind, bedienen sich völlig künstlicher Kulissen, oder reale Räume werden so umgestaltet, dass sie diese spezielle Aura der pastellfarbenen und geordneten Unordnung aufweisen, die mich sehr fasziniert. Natürlich, denke ich, ist da der Kameramann sehr wichtig, tatsächlich derselbe wie im French Dispatch: Robert D. Yeoman. Man kann nach diesen inzwischen, nach mehreren Filmen, auch alles als manieriert empfinden und es kann vielleicht auch irgendwann langweilig werden, doch es gibt immer wieder etwas zu entdecken, neue verrückte Farbkombinationen, neue Bühnenbilder, aber im Grunde ähneln sich die Filme und diese Art Filme, zu machen, sehr. Dies kann zu einer Falle für den Regisseur werden, in eine Sackgasse führen. Kein Wunder, denn so wie die Kameraführung ist auch für die Kostüme und das Bühnenbild eine feste Gruppe von Menschen verantwortlich, die für Anderson arbeiten, darunter die polnischstämmige, in den USA lebende Kostümbildnerin Kasia Walicka-Maimone. Für die Handschrift von Wes Anderson sorgen eben diese Personen. Gerade in den Kurzfilmen spielt kaum reale Umgebung eine Rolle, das ganze Bühnenbild ist arrangiert, wird, wie auf einer Theaterbühne von dem Hilfspersonal zurechtgerückt, verschoben, angeheftet, weggebracht, aufgestellt, zugemacht; dieses Personal gehört sozusagen zum Bild, trägt auch entsprechende Kleidung, jeweils passend zu dem Bild.
Es spielen hervorragende Schauspieler, wirklich solche, auf die man sich zu 100% verlassen kann, allerdings gibt es keine Frauenrollen, alles spielt sich unter Männern ab. Mir scheint, als ob sie etwas Postkoloniales an sich hätten, mit der Vergangenheit in der Gegenwart kämpfen würden. In diesen Filmen wird das meiste einfach von einem neutralen Beobachter erzählt, nur die wesentlichen Szenen werden gespielt, und zwar sehr entfremdet. Und sie handeln von Gewaltphantasien und von der Welt des Geldes; denn ob es der Henry Sugar ist oder andere Protagonisten, sie sind wohlhabend und haben keine Geldsorgen. Henry Sugar gelangt an ein Büchlein über einen Vorfall in einem Krankenhaus, wo sich ein Mann meldet, der seine Fähigkeit zum Hellsehen von den Ärzten bestätigt haben will, die er sich mit Ausdauer nach Yoga-Anleitung aneignet hat und im Zirkus vorführt. Henry Sugar liest dieses Büchlein und übt solange nach dessen Anleitung, bis er auch verdeckte Karten erkennen kann; diese Fähigkeit nutzt er dann zum Geldscheffeln in den Casinos. Um sein Gewissen zu beruhigen, spendet er dann dieses Geld an Waisenhäuser. Bei dem Schwan ist die sinnlose Brutalität interessant, bei dem Rattenfänger eigentlich der Schauspieler, der ihn spielt, und die sehr menschliche Ratte, vielleicht auch die Erkenntnis, dass die Ratten sehr viel cleverer, klüger als die Menschen sein können. Bei Gift ist das ganze ad Absurdum geführt; denn es gibt keine Schlange im Bett des von Benedict Cumberbatch gespielten weißen Mannes im kolonialen Indien und es geht nur darum, die Anstrengungen zu seiner „Rettung“ zu beschreiben und die Unterwürfigkeit der indischen Bediensteten zu zeigen. Allerdings sind sie es, die retten können und gute Einfälle haben. Alles ist schnell mit englischem Humor erzählt und endet im nirgendwo. Die Erzählungen von Roald Dahl wurden vor kurzen neu herausgegeben und übersetzt, und „mit hundert Veränderungen versehen um empfindsame Gemüter zu schonen“ (laut Wikipedia). Ihm wurden antisemitischen Äußerungen vorgeworfen. Offensichtlich sind sie aber sehr filmisch oder für das Theater tauglich, denn es wurden schon mehrere Filme nach dessen Vorlagen gedreht. Unabhängig davon schrieb er selbst Drehbücher (z.B. für James Bond). Er hat auch viele Kinderbücher für seine zahlreichen Kinder geschrieben und vielleicht sind die Inszenierungen der vier Filme etwas auch diesen Werken abgeschaut.
Auch wegen Ralph Fiennes, der den Schriftsteller Dahl spielt, und den Rattenfänger, Benedict Cumberbatch, Dev Patel und Ben Kingsley würde ich die Filme empfehlen.
