Anselm Neft, Januar 2022, Porta Polonica
Alli Neumann – eigentlich Alina-Bianca Neumann – ist ein Phänomen. Schon früh lebte sie ihre Liebe zur Musik aus, brach als Dreizehnjährige dafür sogar vorübergehend die Schule ab und hat mit gerade mal 26 Jahren ihren Kindheitstraum bereits verwirklicht: Sie lebt von der eigenen Musik, tourt durch Deutschland und begeistert mit ihren alternativen aber eingängigen Songs, emanzipatorischen Texten und ihrer Bühnenpräsenz ein größer werdendes Publikum. Obendrein kann die junge Sängerin bereits auf Rollen in drei Spielfilmen zurückblicken. Dabei lief es für die in Solingen geborene Tochter einer polnischen Mutter und eines deutschen Vaters keineswegs immer rosig.

Alli Neuman bei dem Konzert Rocken am Brocken 2019, Foto Chris W. Braunschweiger
In ihrer Jugend sang Alli Neumann ihre Lieder auf Englisch. Wenn Freund:innen ihr sagten: „Sing doch mal auf Deutsch, das ist bestimmt noch geiler“, konnte sie das nicht nachvollziehen. Bis sie einmal spontan einen Songtext von sich ins Deutsch übersetze, um den Anderen zu zeigen, wie bescheuert das klang. Tat es aber nicht. Sie war selbst erstaunt darüber, wie die Worte nun eine viel direktere Wirkung erzielten.
Dabei hat Alli Neumann zwei Muttersprachen: Deutsch und Polnisch. Ihre polnische Mutter siedelte für den deutschen Vater zunächst in dessen Heimat um, fühlte sich dort aber ziemlich allein. Es zog sie zurück ins Land ihrer Freund:innen und Familie. So reiste die kleine Alina-Bianca kurz nach ihrer Geburt in Solingen zusammen mit ihren Eltern in die Nähe von Rzeszów, der Hauptstadt der Woiwodschaft Karpartenvorland ganz im Südosten Polens. Sie erinnert sich gerne an ihre Zeit im Land der Mutter: „Ich habe meine Kindheit in Polen geliebt“, sagt sie. „Wir haben da auf einem Bauernhof mit allen möglichen Tieren gelebt. Außerdem gab es vor Ort viele Kinder und ich habe eigentlich im ganzen Dorf gelebt: mal bei der Tante geschlafen, mal bei Nachbarskindern.“ Die Erinnerung an diese unbeschwerte Zeit voller ungezwungener Nähe zu ihren Eltern, Schwestern, Verwandten und Freund:innen bewahrt Alli Neumann wie einen Schatz. Bis heute blüht für sie die wundervolle Zeit ihrer Kindheit wieder auf, sobald sie in Polen ist. Sie liebt die polnische Musik, die Sprache, die „wunderschönen Städte, die so erfüllt sind von Kunst und Geschichte“. Auch ist sie beeindruckt von der Solidarnosc-Bewegung, mit der große Teile der polnischen Bevölkerung über Jahrzehnte friedlichen Protest übten. Heute bewundert Alli Neumann die Ausdauer mit der Frauen im Rahmen des „Strajk Kobiet“ („Frauenstreik“) in Polen für ihre Rechte eintreten.
Mindestens ein- oder zweimal im Jahr fährt Alli Neumann nach Polen, wo der größte Teil ihrer Familie lebt. Außerdem hat die Sängerin Freund:innen in Warschau und Kraków. Gerade Kraków zieht sie magisch an: „Zum Schreiben ist das für mich die inspirierendste aller Städte“, sagt sie und ergänzt: „Ich liebe es in Kazimierz im Café zu sitzen und zu lesen oder zu schreiben.“
Aber auch in Deutschland fühlt sich die Künstlerin wohl. Vor allem der Norden hat es ihr angetan. Hamburg beschreibt sie als die perfekte Mischung aus „gesellschaftlichem Regenbogen und nordischer Ruhe“, die hanseatische Mentalität als „bodenständig, aber weltoffen“. Neumann erlebt die Zusammenarbeit und Freundschaft mit Menschen aus unterschiedlichen Szenen und Kulturen als große Bereicherung, wünscht sich aber, dass die polnische Kultur noch sichtbarer wird. Sie sagt: „Erst durch den Strajk Kobiet habe ich auch in Deutschland neue polnische Freund:innen getroffen. Ich fände es toll, wenn wir als polnische Community auch öfter mal in einem unbeschwerteren Kontext zusammenkommen würden.“ Aus Neumanns Sicht leben die Pol:innen ihre Kultur oft nur zuhaue im Privaten und geben sich in der Öffentlichkeit als angepasste Deutsche. Sie träumt von einem polnischen Festival in Hamburg: „Brodka, Quebonafide, Ofelia – alle sollen da spielen. Und an jeder Ecke gibt es Zapiekanka und Kwas!“
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