Monika Wrzosek-Müller
Glückskind mit Vater
von Christoph Hein, Suhrkamp Verlag Berlin 2016, schon 3. Auflage
Es gibt Bücher, die in die Zeit und in die Gesellschaft wie Bomben reinfallen und kräftige Reaktionen, Diskussionen und Polemiken hervorrufen. Doch es existieren auch einige andere, für mich die sogenannten stillen Bücher, die sich fast unbemerkt in die Gesellschaft einschleichen und manchmal erst allmählich einen tiefen Eindruck hinterlassen. So erging es mir bei der Lektüre des Romans Glückskind mit Vater von Christoph Hein. Den Autor kannte ich als junge Germanistin in Polen, als einen der wenigen Dissidenten, der auch eine fantastische Novelle Drachenblut veröffentlicht hat. die wir auch lesen konnten. Erst jetzt erfahre ich, dass die Novelle auch in der DDR unter einem anderen Titel erschienen war, und zwar Der fremde Freund. Schon damals war ich von Hein begeistert, wie treffend und unkompliziert er die Sachen beim Namen nennt: sachlich, konkret, schlicht die Wirklichkeit vor dem Auge entstehen lässt, ohne emotionale Zugaben.
Das Gefühl kehrt diesmal verstärkt zurück, der Roman Glückskind mit Vater erzählt fast 60 Jahre deutscher Geschichte, unaufgeregt und doch eindringlich. Die Handlung nimmt bestimmt Bezüge auf persönliche Erlebnisse des Autors, ist aber nicht autobiographisch. Es ist eine zutiefst psychologisierende Erzählung, mit der Moral, dass man seiner Vergangenheit nicht entkommen kann – im Fall von Glückskind mit Vater eben dem kriegsverbrecherischen Vater. Der Schatten des bösen Vaters legt sich wie eine dunkle Wolke über das Leben des jungen Helden, und trotz seiner sehr mutigen Versuche, ihn abzuschütteln, gelingt ihm das nicht. In allen Lebensstadien verfolgt der Vater den Jungen, obwohl er ihn nie gekannt, nie zu Gesicht bekommen hatte. Sowohl die Namensänderung als auch der erste Fluchtversuch nach Marseille enden mit der Erkenntnis, dass es keine Fluchtmöglichkeit gibt; immer wieder wird er mit den Kriegsverbrechen des Vaters und mit dessen Namen konfrontiert. Die ganze Familie, die Mutter und der Bruder, sind in die Vergangenheit verstrickt. Dem Bruder gelingt es aber daraus materiellen Vorteil zu ziehen und reich zu werden, allerdings brechen dann die Familienbande völlig auseinander.
Erstaunlich dabei ist die Tatsache, dass sich das ganze Buch nicht pessimistisch, nicht negativ liest, eher ironisch, manchmal sogar humorvoll, und es sorgt mit erstaunlichen Momenten für Überraschungen. Die negative Pointe des Buches, dass es keine Möglichkeit gibt, der Obsession mit dem verbrecherischen Vater zu brechen, zu entkommen, ist keine Sackgasse, kein sogenanntes Schicksal; der Held meistert sein Leben, obwohl er vom Glückskind zum Unheilkind wird; er findet seinen Platz in der DDR-Gesellschaft, wird sogar, zeitweilig, zum Direktor einer Oberschule. Er behauptet sich ganz munter und tapfer und durchläuft die Stationen des Lebens immer mit der Hoffnung, sich dem Einfluss des Schattens zu entziehen. Irgendwo, ganz in der Tiefe, spürt man aber doch den bitteren Geschmack und die Enttäuschung, dass er nicht frei ist sondern immer wieder davon läuft und sehr allein mit seinen Entscheidungen lebt.
Ganz bewusst versuche ich den Plot nicht zu erzählen, die Stationen des Lebens nicht aufzuzählen, die Konflikte mit dem Bruder, den Ämtern, seine Lieben, das Verhältnis zu seiner Mutter nicht zu beschreiben. Das soll jeder in dem Roman lesen und für sich die wichtigsten Momente und Stellen finden und viel über die Vorgänge in der damaligen BRD aber auch der DDR erfahren und mit eigenen Erlebnissen vergleichen können. Auf jeden Fall ist es ein Buch für die junge Generation, die die Nachkriegszeit nicht erlebt hat, aber auch für die ältere, die sich damit konfrontiert sah. Es ist eine deutsche Geschichte par excellence, das Leben und die Probleme im Nachkriegsdeutschland werden übersichtlicher und klarer durch die Lektüre.
