Monika Wrzosek-Müller
Eichwerder
Darüber habe ich schon ganz am Anfang meiner „Karriere“ bei Ewas Blog geschrieben; jetzt ist mir wieder so ein Fall passiert. Er gehört in die Reihe „Zufall oder Schicksal?“ Ich beschreibe das inzwischen als zufällige Schicksalhaftigkeit oder schicksalhafte Zufälligkeit, auch wenn ich eigentlich daran glaube, dass alles vielleicht einen tief verborgenen Sinn hat. Wir erkennen ihn erst Jahre später, wundern uns dann, fragen, was war damals, warum, wie ist das möglich? Irgendwo ist aber doch der sprichwörtliche Hund begraben.
„Die Formel schien: Wenn es so aussieht, als gäbe es einen Zusammenhang, dann gibt es ihn auch. So spricht die Schöpfung. Nicht in Flüchen, sondern in Poesie. Mit Blättern, die Tierköpfen oder Regenschirmen ähneln, mit Vögeln, die den Regen anzukündigen scheinen, oder, wenn ich es auf mein eigenes Leben ummünze: mit Träumen über Regenwald, mit Büchern über Raouls, die nach stillen Plantagen suchen, mit Männern, die Vätern ähneln und einen genau an dem Tag in einem Café ansprechen, an dem man angezogen ist wie ein afrikanischer Prinz. Wenn etwas kein Zufall sein kann, dann deshalb, weil es keiner ist.“
Raoul de Jong, Jaguarmann, S. 110
Ich sitze mit mehreren Freunden in einer schönen Café-Bar; wir feiern den Geburtstag von einem von ihnen. Es ist laut aber angenehm, die Musik noch dezent und im Hintergrund, bald aber wird die Tanzfläche geöffnet und wir landen dort. Einige von den Personen um mich herum kenne ich gut, andere sind mir völlig unbekannt und einige mag ich von weitem, aber sehe sie sehr selten, obwohl wir uns schon seit Jahren immer wieder in verschieden Konstellationen und Orten treffen. Dann unterhalten wir uns immer sehr angeregt und intensiv und ich habe den Eindruck, etwas verbindet uns; sie ist eine gute, bekannte Slawistin, schreibt viel; die zwei Vorträge, die ich von ihr gehört habe, waren brillant. Irgendwie spüre ich eine verwandte Seele. Wir sprechen über unsere inzwischen fast oder erwachsenen Kinder, Arbeit, Freizeit, Projekte, so wie man das eben in einem zwanglosen Gespräch tut. Irgendwann fragt sie mich dann: warum Deutsch? Warum hast du damals in Polen, in Warschau Germanistik studiert? Deine Eltern, die haben doch nichts mit Deutschstämmigen zu tun, oder? Da kommt mir als Antwort eine längst vergessene Tatsache in den Sinn: Ja, eigentlich war es wegen einer Ortschaft, eines Dorfs und eines längst vergessenen Sommers. Das Dorf, nicht weit von der polnischen Grenze, kennt wirklich niemand. Sie will es natürlich wissen, den Namen des Dorfes und was hat es damit auf sich. Eichwerder, da war ich als Gymnasiastin einen Sommer lang als Au-pair Mädchen bei einer deutschen Familie. Wie bitte? Fragt sie völlig überrascht nach: – Eichwerder, bei Writzen, an der polnischen Grenze? Dieses winzige Dorf mit wenigen Häusern entlang einer einzigen Straße, früher Kopfsteinpflaster? Das meinst Du? – Ja exakt, das meine ich, dieses verschlafene, kleine Dorf, gdzie diabeł mówi dobranoc [wo der Teufel Gutenacht sagt].
Sie räuspert sich und spricht jetzt ganz langsam: – Jetzt setz dich erst mal fest hin; ich komme aus Eichwerder. Mein Vater wohnt noch immer da. Ich bin nach Writzen in die Schule gegangen. Ich schaue sie verdutzt an, natürlich bin ich total überrascht und kann das kaum fassen. Wir haben jedes Mal über Gott und die Welt gesprochen: Bücher, Schriftsteller, Polen, Warschau, Prag und nie diese für uns beide essenzielle Verbindung erwähnt. – Ja, weißt du, nach diesen fast zwei Monaten in Eichwerder war ich in Deutsch die Klassenbeste. Eigentlich wollte ich Kunstgeschichte studieren, aber in meinem Jahrgang waren zu viele Bewerber pro Studienplatz, so dass ich Angst vor der Aufnahmeprüfung hatte. Im letzten Moment habe ich meine Papiere aus dem Institut für Kunstgeschichte abgeholt und bei der Germanistik eingereicht. Interessant, denn darauf basiert jetzt mein ganzes Leben, das war der Ursprung, die Quelle, Eichwerder, da nahm das Experiment Deutsch, Deutschland seinen Anfang. Wir konnten beide diese Nähe, Zufall und Schicksal, nicht fassen und wir beschlossen, dass wir irgendwann einen Ausflug zurück in die Zukunft der Vergangenheit, nach Eichwerder machen.
